Goslar vor 1933: „Der nationale Kandidat heißt Hitler“
Er kommt erst nach 1933 das erste Mal nach Goslar: Adolf Hitler fährt zum Erntefest am 30. September 1934 in einer Wagenkolonne am Bahnhof vorbei über den Marktplatz zur Kaiserpfalz. Foto: Foto: Hermann Stumm/Repro: Martin Schenk
Bürgerliche Presse und Radau-Nazis: Wie kommen sich beide Seiten in Goslar schon vor 1933 nahe? Frank Heine zieht beim Geschichtsverein auch Parallelen zu heute.
Goslar. Was konnten die Menschen eigentlich über die NSDAP wissen, bevor Adolf Hitler ab Ende Januar 1933 an den Schaltstellen der Macht saß? Frank Heine geht dieser Frage am Donnerstag, 4. Dezember, unter dem Titel „Der nationale Kandidat heißt Hitler“ nach, wenn er ab 19.30 Uhr im Sitzungssaal des Kreishauses an der Klubgartenstraße beim Geschichtsverein vorträgt. Der Eintritt ist frei.
Der Aufstieg der NSDAP in Goslar und das begleitende Echo in der Goslarschen Zeitung sind ein Thema, das der 58-jährige Journalist schon Anfang der 1990er Jahre für seine Examensarbeit im Fach Geschichte untersucht hat. Das Anwachsen von einer rechtsradikalen Splitterpartei noch im Jahr 1928 zur anhängerstärksten Politmacht nur fünf Jahre später schafften Hitlers Gefolgsleute zumeist in wohlwollendem Einvernehmen mit der bürgerlichen, nationalkonservativen Presse.GZ-Serie zum Kriegsende 1945
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Stabile Auflagen
Warum waren die Zeitungen so wichtig? Ohne Radio, TV und natürlich Internet war das gedruckte Wort damals häufig die einzige Informationsquelle über das politische Geschehen, wenn man nicht auf Verwandte, Freunde oder eben die Parteien selbst und deren Kundgebungen vertrauen wollte. Interessant: In den Wachstumsjahren der NSDAP vor 1933 blieben die Auflagenzahlen der Publikationen aus bürgerlichem Lager stabil (6,9 Millionen), während die NS-Presse gerade in Klein- und Mittelstädten keine Rolle spielte. Hatte sich mindestens dort also schon eine „weitgehend unbeeinflusste Selbstgleichschaltung“ vollzogen, wie sie Historiker Gerhard Paul beobachtet, der sich intensiv mit der NS-Propaganda vor 1933 auseinandergesetzt hat?Top-Nazi in hohes Amt gehievt
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Kleine giftige „Skribenten“ mit wenig Talent
Nicht nur Zeitgenossen erkannten, dass Hitler Journalisten aus bürgerlichem Lager tausendmal mehr verdanke „als den kleinen giftigen und wenig talentierten Skribenten der eigenen Presse“. Das ist schon einem Werk von Walter Oehme und Kurt Caro aus dem Jahr 1930 zu entnehmen. Es heißt: Kommt das „Dritte Reich?“ Noch war es eine bange Frage… Die Nazis selbst formulierten 1932 übrigens in einer Denkschrift zur NS-Pressepolitik, dass „eine nur leicht freundlich kommentierte Nachricht über die Bewegung, die von 50.000 Lesern der bürgerlichen Presse gelesen wird, für die NSDAP mehr wert ist, als ein nationalsozialistischer Leitartikel in unserem Parteiorgan, der ins Schwarze trifft, aber 5000 Parteianhängern nur ihre eigene Auffassung bestätigt“.Kriegsende 1945 — 80 Jahre danach
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Massenauftritt von Parteigrößen
Und Goslar? Der Umgang der GZ mit der NSDAP kam in der Tat der von Paul beschriebenen äußeren Einflüssen weitgehend freien Selbstgleichschaltung nahe – auch und vor allem deshalb, weil Journalismus damals anders als heute funktionierte und die Verantwortlichen manches Nazi-Narrativ nur allzu gern glaubten. Goslar erlebte aber auch schon früh einen Massenauftritt von Parteigrößen, der heute kaum vorstellbar erscheint. Die Nazis wussten ihr Publikum früh zu bespielen. Übrigens kosteten politische Veranstaltungen zu jener Zeit noch Eintritt und spülten Geld in die Kasse. Die Harzburger Front wurde in nächster Nachbarschaft geschlossen. Aber war sie tatsächlich so geschlossen? Im zweiten Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl galt am 10. April 1932 bei der GZ jedenfalls die schon die klare Empfehlung: „Der nationale Kandidat heißt Hitler!“. Und das im Duell mit dem erzkonservativen Monarchisten Paul von Hindenburg – noch wenige Monate zuvor wäre dies undenkbar gewesen.
Brüche in der Darstellung
Wo sind Zäsuren in der Berichterstattung zu finden? Was kommt heute seltsam bekannt vor, wenn man auf aktuelles Geschehen blickt? Grundlage des Vortrags ist zwar die Arbeit, deren Erkenntnisse heute aktueller denn je daherkommen. Sie werden aber durch Rückgriffe auf neue Publikationen und einen Blick auf gegenwärtige politische Entwicklungen angereichert, die Grundlage einer hoffentlich fruchtbaren Diskussion im Anschluss sein sollen.
Frank Heine Foto: Sowa
Bei der GZ gelandet
Frank Heine ist gebürtiger Goslarer und in Wolfshagen aufgewachsen. Sein Abitur hat er am Ratsgymnasium gemacht. Nach seinem Wehrdienst studierte er Geschichte und Latein auf Lehramt an der Georg-August-Universität in Göttingen. Für seine Examensarbeit erhielt er 1995 den Goslarer Geschichtspreis. Sie erschien anschließend als Band 45 der Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar/Goslarer Fundus. Nach dem Staatsexamen fand Heine nicht den Weg zur Schule, sondern wandelte auf journalistischen Pfaden. Seit April 1995 arbeitet er bei der Goslarschen Zeitung. Er absolvierte dort schon sein Volontariat und ist inzwischen Leiter der Lokalredaktionen Goslar und Nordharz sowie stellvertretender Chefredakteur.
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