600 Millionen Euro für Asphalt und Pflaster oder 300 Jahre warten
Blick auf Goslars Altstadt: Die mittelalterlichen Strukturen sind wunderschön, aber für Straßenbau und Verkehrswege eine teure Herausforderung. Foto: Kühlewind
Im vierten und letzten Teil der Serie „Die Straßen von Goslar“ geht es um viel Geld: Für wirksamen Fortschritt müsste die Stadt zehnmal mehr investieren.
Goslar. „Das Geld liegt auf der Straße“, heißt es im Volksmund. Wenn die Straßen nur nicht so kaputt wären, ließe sich beim Blick auf Goslar anfügen – ob in der Kernstadt oder in den Ortsteilen. Und die Perspektive ist bitter: Wenn die Kaiserstadt nicht mehr Geld investiert in ihre Straßen, dann ändert sich daran auch in Jahrhunderten wenig.
Mit der düsteren Prognose steht Goslar nicht alleine da. Viele Städte in Deutschland, Landkreise, Länder und der Bund haben die Substanz der Infrastruktur in den vergangenen 50 Jahren extrem ausgezehrt. Ehedem für seine Straßen und Autobahnen gerühmt, fühlt sich inzwischen so mancher Südeuropäer an alte Zeiten erinnert, wenn er auf deutschen Straßen unterwegs ist.
Enge Gassen, dünne Straßen
Städte wie Goslar haben noch zusätzliche Besonderheiten. Der mittelalterliche Kern und die engen Straßen in den Wohnvierteln drum herum machen den Verkehr, aber auch den Straßenbau gleichermaßen zur Herausforderung.
Nur ein Beispiel: In etlichen Wohnstraßen am Georgenberg ist kaum Begegnungsverkehr möglich. Wenn diese Straßen grundhaft saniert werden, Bagger und Lastwagen anrücken, dann müssen Anwohner über Wochen oder Monate auf ihr Auto vor der Tür oder wenigstens in der Nähe verzichten. Von den Umleitungen durch enge Nachbarstraßen ganz zu schweigen. Das ist wie der Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.GZ-Serie „Die Straßen von Goslar“
Über heißes Pflaster in der Kaiserstadt
Mehr Verkehr, schwere Autos
Warum ist das doppelt schwierig in Goslar? „Wir haben im Grunde einen Zustand aus den 1930er Jahren. Auf dem wickeln wir eben den heutigen Verkehr ab“, schildert Mathias Brand, Leiter des Tiefbauamts.
Wer hatte vor 90 Jahren schon ein Auto? 1935 gab es im Deutschen Reich gerade einmal rund 440.000 private Pkw. Heute sind es mehr als 44 Millionen in der Bundesrepublik. Da sind die Lkw und Transporter gar nicht mitgerechnet. Zudem bringen Fahrzeuge immer mehr Gewicht auf die Straßen – vom hybriden SUV bis zum Müllwagen und der städtischen Kehrmaschine. So sind die Straßen von Goslar in weiten Teilen von ihren Querschnitten und ihrem Unterbau für die heutige Verkehrsbelastung gar nicht geeignet.
Nachdem der Goslarer Stadtrat 1935 den Bebauungsplan für den Stadtteil Sudmerberg auf den Weg gebracht hatte, entstanden die Straßen in den folgenden Jahren auf alter Schlacke, erklärt Mathias Brand. Obendrauf kam dann die Asphaltschicht. „Das ist natürlich kein neuzeitlicher Straßenbau.“ Auch die Straßen im Stadtteil Jürgenohl, der ab Ende der 1940er Jahre entstand, seien damals schon dünn dimensioniert gewesen, analysiert Brand. Und in der Goslarer Altstadt rollt und holpert der Verkehr im Grunde auf Straßen, die schon 200 Jahre alt seien.
Der Fritz-Reuter-Weg am Georgenberg in Goslar ist ein einziger Flickenteppich mit Schlaglöchern. Das gilt auch für die Bürgersteige. Foto: Jörg Kleine
Was die Stadt investiert
Wie aber kommt Goslar künftig aus dem Dilemma, um zumindest abseits der Altstadtgassen einen spürbaren Fortschritt zu erreichen? Dafür braucht es vor allem Geld, und zwar sehr viel Geld.
Ein Blick in den Haushaltsplan der Kaiserstadt zeigt für die Jahre 2024 und 2025 insgesamt 7,8 Millionen Euro an Investitionen zur Erneuerung von Gemeindestraßen – für Goslar und alle Ortsteile. Darunter fallen aber auch die jährlichen Beträge von rund 500.000 Euro für Bushaltestellen, rund 1,3 Millionen Euro für den Geh- und Radweg Im Schleeke, Geld für den Markplatz im Zentrum sowie die Marktplätze in Jürgenohl und Ohlhof bis hin zu einem Lärmschutzwall an der Bundesstraße 82.
Unterm Strich verbleiben für Investitionen in die Erneuerung von Straßen 2024 und 2025 rund 4,2 Millionen Euro – also im Mittel 2,1 Millionen Euro pro Jahr. Davon ist ein Teil des Geldes noch gar nicht geflossen, weil sich Planungen verschoben haben, Ausschreibungen noch laufen, Personal im Fachbereich Tiefbau fehlt – oder aber ungeahnte Hürden sich auftun. Das Pflaster in der Dedeleber Straße ist ein Beispiel (wir berichteten).GZ-Serie „Die Straßen von Goslar“
Goslars Schlaglöchern digital auf der Spur
Wie lange hält eine Straße?
Hinzu kommen jährlich 1,5 Millionen Euro an den Betriebshof für die Instandhaltung von Straßen. Damit werden aber nur Löcher gestopft, nicht etwa die Straßen grundhaft erneuert.
Wie viel Geld wäre aber eigentlich nötig für Investitionen in Goslars Straßen? 25 bis 30 Jahre hält eine neu gebaute Straße, nach rund 60 Jahren ist sie völlig demoliert, erklärt Mathias Brand. Vor ein paar Jahren hat er deshalb einmal hochgerechnet, „was es eigentlich kosten würde, das gesamte Straßennetz zu erneuern“, sagt er: „Wir sind auf 600 Millionen Euro gekommen.“ Das gilt nur für die Gemeindestraßen, nicht für die Bundes- und Landesstraßen im Stadtgebiet.
Was Goslar investieren müsste
Wenn eine Straße nach 60 Jahren kaputt ist und erneuert werden muss, dann bräuchte es also in Goslar jährlich rund zehn Millionen Euro, um nur die laufende Wiederherstellung zu ermöglichen. Eher 20 Millionen Euro wären erforderlich, um auch eine deutliche Verbesserung auf den Straßen zu erreichen.
Angesichts von zwei bis drei Millionen Euro, die Goslar aus dem städtischen Haushalt derzeit jährlich investiert, würde die Sanierung der Straßen also 200 bis 300 Jahre dauern. Dazwischen dürfte dann aber auch keine Straße kaputt gehen. Von fehlendem Personal, Schwierigkeiten bei den Planungen und jeweils verfügbaren Baufirmen ganz abgesehen.GZ-Serie: Die Straßen von Goslar
Wie marode sind die Straßen in Goslar wirklich?
„Das ist nicht nur in Goslar so“, betont Mathias Brand. Damit hat der erfahrene Tiefbauchef völlig recht, aber trotzdem ist das nur ein schwacher Trost: Von reiner Mathematik und Erkenntnis werden die Straßen ja noch nicht besser.
Die Stadt müsste jährlich fast zehnmal so viel Geld in den Straßenbau investieren wie bisher. Parallel bräuchte die Tiefbau-Abteilung mehr Personal. Um beides zu finanzieren, müsste Goslar entweder rund 20 Millionen Euro pro Jahr an anderer Stelle einsparen – oder aber die Steuern erhöhen.
Kosten runter, Steuern hoch
Bei jährlichen Einnahmen von rund elf Millionen Euro aus der Grundsteuer müsste die Kaiserstadt beispielsweise die Grundsteuerlast etwa verdreifachen, um den Straßenbau wirksam voranzutreiben. Ein Teufelskreis, denn die Bewohner, die sich mit Recht über schlechte Straßen beschweren, würden dafür kräftig zur Kasse gebeten – ob Hausbesitzer oder Mieter.
Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen des Bundes für Infrastrukturprojekte in den Ländern und Kommunen darf Goslar derweil nicht viel erwarten: Das Programm ist über zwölf Jahre gestreckt und bringt für die Stadt rund eine Million Euro pro Jahr, schätzt Mathias Brand. Das durch Schulden finanzierte Sondervermögen ist angesichts der ausgezehrten deutschen Infrastruktur somit nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein – zumal das Geld auch nicht allein dem Straßenbau dient.
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