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Naturschutz im Nordharz

GZ Plus IconWie bei Neuwallmoden alte Obstsorten gerettet werden

Am Westerberg bei Neuwallmoden erstreckt sich die von Ernst gepachtete Streuobstwiese.

Am Westerberg bei Neuwallmoden erstreckt sich die von Ernst gepachtete Streuobstwiese. Foto: Gereke

Streuobstwiesen sind bekannt für ihre Biodiversität. Als Teil der Kulturlandschaft bleiben sie nur durch Pflege erhalten. Gärtnermeister Holger Ernst erklärt sein Projekt.

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Von Andreas Gereke
Montag, 27.10.2025, 14:00 Uhr

Neuwallmoden. Wer möchte nicht mal ein Korallenriff besitzen? Gärtnermeister Holger Ernst wollte immer eins haben, also eines auf dem Land. Streuobstwiesen werden aufgrund ihrer Artenvielfalt auch als Korallenriffe Mitteleuropas bezeichnet. Bei Neuwalloden hat er die Chance dazu genutzt, sich seinen Traum zu erfüllen – und in seiner kleinen Baumschule dort sorgt er dafür, dass alte Obstsorten nicht aussterben.

Eigentlich ist der 59-jährige Salzgitteraner Berufsschullehrer – aber Streuobstwiesen sind seine Passion. „Es ist ein Hobby, das macht mir Spaß“, erzählt er. Und eines, mit dem er dazu beiträgt, ein Biotop zu erhalten. Die Streuobstwiese am Westerberg oberhalb von Neuwallmoden gehört den Landesforsten. Angelegt hat sie einst im Rahmen einer Pflanzaktion der Waldkindergarten Lutter. Vor einigen Jahren hat Ernst sie gepachtet – und pflegt und erhält sie damit nun.

Gärtnermeister Holger Ernst hat sich zur Aufgabe gemacht, in seiner kleinen Baumschule alte Obstsorten vor dem Aussterben zu retten.

Gärtnermeister Holger Ernst hat sich zur Aufgabe gemacht, in seiner kleinen Baumschule alte Obstsorten vor dem Aussterben zu retten. Foto: Gereke

30 Nachpflanzungen hat er seitdem getätigt, 20 weitere Bäumen sollen noch hinzukommen. „Der Baum einer Streuobstwiese benötigt in etwa einen Platz von zehn mal zehn Metern.“ Aber nur mit dem Pflanzen ist es nicht getan – auch ein regelmäßiger Schnitt gehört zum Erhalt dazu. Streuobstwiesen sind nämlich Teil der Kulturlandschaft – für ihren Erhalt sind eben Pflege und ihre Weiterbewirtschaftung notwendig. „Die Bäume oberhalb von Neuwallmoden litten aufgrund fehlender Pflege unter Wachstumsdepressionen“, erzählt er. Das äußert sich beispielsweise in kleinen Früchten und kurzen Trieben. Seiner Meinung schließen sich übrigens Streuobstwiese und Magerrasen aus. „Für den Magerrasen muss eine Fläche ausgehagert werden. Aber darunter leiden die Bäume, denn die brauchen Nährstoffe.“

Neuwallmodener Hotspot der Biodiversität

Erst vor einigen Jahren hat die EU den Wert von Streuobstwiesen erkannt – für Naturschutz und Biodiversität.
Ernst hat es nicht nur Obst angetan: Bei ihm wächst auch die Oldenburger Palme, eine alte Grünkohl-Sorte.

Ernst hat es nicht nur Obst angetan: Bei ihm wächst auch die Oldenburger Palme, eine alte Grünkohl-Sorte. Foto: Gereke

Sie stehen deshalb unter Schutz. Denn Streuobstwiesen gehören in den hiesigen Breiten zu den artenreichsten Lebensräume, sind sogenannte Biodiversitäts-Hotspots. Das liegt an der Vielfalt, für die verstreut angeordnete Bäume und Grasland mit vielen ökologischen Nischen wie Totholz sorgen und damit Tieren und Pflanzen eine Heimat bieten. Mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten sollen dort leben, so das Streuobstwiesen-Bündnis Niedersachsen. Es fängt bei den großen Baumkronen an, die ein Lebensraum für sich seien. Höhlen in alten Bäumen böten Nistmöglichkeit für Vögel wie den Steinkauz und für baumbewohnende Fledermäuse. Das Totholz an älteren Bäumen sei ein wichtiger Lebensraum für Insekten. Im Gegenzug bestäubten sie die Obstbäume, wenn sie Nektar und Pollen sammeln. Die Insekten wiederum dienten vielen Vogelarten als Nahrung. Außerdem sind Obstbäume Futterpflanzen für Schmetterlingsraupen. Und schließlich fressen Igel oder Siebenschläfer das Obst, das von den Bäumen heruntergefallen ist, fasst das Bündnis zusammen.
Obst, was im Rasen liegen bleibt, dient auch kleinen Säugetieren als Nahrung.

Obst, was im Rasen liegen bleibt, dient auch kleinen Säugetieren als Nahrung. Foto: Gereke

Ein Schutzstatus für Streuobstwiesen – das war nicht immer so: In den 1950er und 60er Jahren „gab es Kopfprämien auf Bäume“, so Ernst, und der Weg wies in Westdeutschland beim Obstanbau zur Plantage – „die brauchen noch mehr Pflege und Pflanzenschutz zudem“, ergänzt der Gärtnermeister. Mit dem Aufkommen der Niederstamm-Plantagen verschwanden Obstwiesen und damit auch Obstsorten. Auch das Interesse am traditionellen Obstbau und an der Vielfalt der Obstsorten ließ allmählich nach, blickt das Streuobstwiesen-Bündnis zurück. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet - „wer heute eine Streuobstwiese anlegen möchte, kann eine 100-prozent-Förderung bekommen“, sagt Ernst.

Blick in die Baumreihen: Für eine Streuobstwiese müssen es hochstämmige Bäume sein.

Blick in die Baumreihen: Für eine Streuobstwiese müssen es hochstämmige Bäume sein. Foto: Gereke

In seiner Baumschule am Dorfrand von Neuwallmoden züchtet Ernst Obstbäume nicht nur für seine Streuobstwiese. Er berichtet von einer steigenden Anzahl von Interessenten und spricht von einer „Renaissance der alten Sorten“. Dabei gibt es immer weniger Baumschulen, die alte Obstsorten noch vermehren. Und aus den Supermärkten sind Apfelsorten wie Kaiser Wilhelm, Cox Orange oder Gravensteiner längst verschwunden. Stattdessen gibt es neue Sorten, die in Sachen Aussehen und Haltbarkeit den Anforderungen entsprechen.

„Aber den einzigartigen Geschmack eines Cox Orange hat man nie wieder hineingekriegt“, findet er. Für die Supermarktsorten hat er nur den Begriff „Mainstream“ übrig. Sie gleichen sich optisch und geschmacklich, basieren auf fünf Elternsorten – und sind pilzanfällig, sie werden bis zu 30 Mal im Jahr gespritzt, so Ernst. Um einen Apfel richtig beurteilen zu können, ist es übrigens wichtig zu wissen, wann man die Frucht am besten verzehrt: „Es gibt Sorten, die schmecken direkt vom Baum, andere sind Lageräpfel, die ihr Aroma erst im Januar entfalten.“

Streuobstwiesen sind Teil der Kulturlandschaft – sie bedürfen Pflege und Bewirtschaftung, um sie zu erhalten.

Streuobstwiesen sind Teil der Kulturlandschaft – sie bedürfen Pflege und Bewirtschaftung, um sie zu erhalten. Foto: Gereke

In seiner kleinen Baumschule setzt er auf die Wurzel eines Wildtriebs, die Veredelungsunterlage, die Edelsorte – das sogenannte Okkulieren. „Wichtig ist eine stark wachsende Unterlage für einen hochstämmigen Wuchs, Edelsorten auf einer anderen Unterlage würden es auf den extensiv genutzten Flächen einer Streuobstwiese ansonsten nicht schaffen“, erklärt er. Bei ihm findet sich auch noch die Volkacher Riesenquitte. „Von ihr war der letzte Baum gefällt worden, aber ich konnte mir Triebe besorgen, sodass ich sie inzwischen 30 Mal vermehrt habe, um die Sorte zu retten.“ Die Quitte ist übrigens die älteste Obstsorte. Sie gab es schon 6000 vor Christus. Die Römer haben dann vor 2000 Jahren die Äpfel veredelt. Der Apfelbaum war in allen euro-asiatischen Kulturen das Symbol für das Leben, die Fruchtbarkeit und die Liebe, referiert Ernst.

Reiche Ernte dank Bienenflug und Blüte ohne Frost

Von Anfang September bis Ende Oktober/Anfang November ist er regelmäßig auf der Streuobstwiese zu finden – denn das ist Erntezeit. Immer ist irgendeine andere Sorte reif. „Es gibt Tafeläpfel und Nutzäpfel“, verweist er auf Unterschiede. „Ein Nutzapfel ist geschmacklich nicht so lecker, aber gut fürs Mosten.“ Kein Wunder, dass eine dieser Sorten Trierer Weinapfel heißt. Seine Heimat ist eigentlich die Moselregion. Angesichts des Klimawandels versucht er jetzt, diese Sorte auch im Harzvorland heimisch werden zu lassen. „Wird er sich durchsetzen können?“, fragt er sich.

Die Quitte ist die älteste Obstsorte – auch sie gedeiht am Neuwallmodener Westerberg.

Die Quitte ist die älteste Obstsorte – auch sie gedeiht am Neuwallmodener Westerberg. Foto: Gereke

In diesem Jahr gibt es viel zu ernten – dafür sorgten Bienenflug und Blüte ohne Frost. Beides hat in diesem Jahr gepasst. „Übrigens sind die Wildbienenarten beim Bestäuben viel fleißiger als die Honigbiene“, wirft er ein. Negativ war allerdings das trockene Frühjahr – das stresst die Bäume. „Um gesund zu bleiben, brauchen sie Wasser und Nährstoffe.“ Seine Berufsschüler nehmen am Rhythmus der Streuobstwiese teil. „Ich vermittele ihnen den Jahresablauf – vom Veredeln der Bäume über den Baumschnitt auf der Wiese, von der Ernte der Früchte über ihre Verarbeitung bis zur Vermarktung.“ Jetzt im Herbst lassen sie wieder Apfelsaftpresse und Pasteurisierungsanlage arbeiten. Angesichts der diesjährigen Ernte besonders oft.

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