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GZ-Serie: „Gründerzeitvillen“

GZ Plus IconEine Burg, die mitten in Bad Harzburg steht

Die Radauburg, abgebildet auf einer zeitgenössischen Postkarte. Die Kastanien vor dem Gebäude finden sich noch heute.

Die Radauburg, abgebildet auf einer zeitgenössischen Postkarte. Die Kastanien vor dem Gebäude finden sich noch heute. Foto: (Quelle) Chronik der Stadt Bad Harzburg

Einkaufsort, Kino, Familienvilla – mitten in Bad Harzburg gibt es ein architektonisch besonderes Gebäude, das aussieht, wie ein kleines Schloss: die Radauburg. Die GZ blickt in die Geschichte des Gebäudes zurück.

Von Michael und Sven Bartsch Sonntag, 05.10.2025, 10:00 Uhr

Bad Harzburg. Ein Bauboom erfasst Bad Harzburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Seit der Reichsgründung 1871 ziehen von Jahr zu Jahr mehr hohe Beamte, Pensionäre, Unternehmer sowie unzählige nationale und internationale Gäste in die Kurstadt, um deren Solequellen, die frische Luft und das Heilwasser zu genießen. Zwischen 1860 und 1914 werden Pensionen, Grandhotels und Villen gebaut, die zum Teil bis heute das Stadtbild prägen. In einer GZ-Serie stellen die Bad Harzburger Michael und Sven Bartsch einige dieser imposanten Gebäude vor und erzählen über deren Geschichte. Diesmal geht es um die Radauburg in der Herzog-Wilhelm-Straße.

Die Gäste, Bewohner und Besucher, die damals in der Stadt waren, wollten in das großbürgerliche Flair eintauchen. Heilbäder, diverse Kultur- sowie Musikveranstaltungen, eine Wandelhalle, Gondelfahrten, Pferderennen Casino, Kutschfahrten rundeten das Angebot ab. Selbstverständlich verzichtete das gut betuchte Publikum nicht auf Einkaufsmöglichkeiten. Und hierzu boten die Geschäftsräume der Radauburg geradezu ideale Möglichkeiten.

Aus heutiger Sicht Millionenprojekt

Der Kaufmann Carl Rautmann plante an der Radau, direkt gegenüber dem Julius Hall und dem Hotel Parkhaus, ein Wohn- und Geschäftshaus, das im Grundriss unwesentlich kleiner ist als sein Grundstück, womit jeder verfügbare Baugrund ausgenutzt wurde. Die ursprüngliche Bauplanung sah ein zweistöckiges Haus mit steilem Dach vor, wobei die Grundstücksfläche in Richtung Karl-Franke-Platz erweitert worden wäre. Der Stadtrat erteilte hierfür keine Genehmigung, sodass das Gebäude um ein Stockwerk wuchs, was letztlich Einfluss auf die Namensgebung hatte. Den unmittelbaren Nachbaren Hotel Julius Hall, Café Peters sowie dem Hotel Parkhaus missfiel das sicherlich, denn ihr Ausblick wurde eingeschränkt.

Den Erzählungen nach ließ Carl Rautmann sich den zwischen 1898 und 1900 entstandenen Bau 125.000 Goldmark kosten, was nach heutiger Kaufkraft umgerechnet etwa einer Million Euro entspräche – hier wurde nicht gespart.

Der Architekt setzte mit Türmchen, Spitzdächern, Balkonen, Risalite, Steildächer sowie Zinnen und einer zur Herzog-Wilhelm-Straße gelegenen Verkaufsfront den gründerzeitlichen Baustil par excellence um.

Wie bei einem Wolkenkratzer

Um neben der Radau bauen zu können, benötigte das Gebäude ein Drainagesystem, das das Wasser und die Feuchtigkeit im Keller fernhielt. Dieses funktioniert bis heute.
Der Bau der Radauburg ist anspruchsvoll: Nicht nur Stahlträger werden verwendet, weil es in die Höhe geht. Auch braucht es ein Drainagesystem aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Fluss.

Der Bau der Radauburg ist anspruchsvoll: Nicht nur Stahlträger werden verwendet, weil es in die Höhe geht. Auch braucht es ein Drainagesystem aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Fluss. Foto: Privat

Errichtet wurde die Radauburg mit Stahlträgern, ähnlich wie bei Wolkenkratzern. Für die spätere Nutzung war das hervorragend, denn dadurch können Innenwände ohne statische Probleme verändert werden.

Insgesamt umbaute Carl Rautmann somit rund 1000 Quadratmeter Wohn- und Geschäftsfläche. Auf dem rund 600 Quadratmeter großen Grundstück zieht sich die Radauburg in Nord-Süd-Ausrichtung fast komplett über 50 Meter, wohingegen sie lediglich eine Breite von sechs bis zwölf Metern aufweist. Vom Jungbrunnenplatz kommend, sieht der Betrachter einen abgestuften Aufbau, sodass im Erdgeschoss die maximale Länge für Verkaufsräume gewonnen worden ist. Auf den beiden oberen Etagen sind zwei Balkone beziehungsweise ein Wintergarten entstanden. Außerdem finden sich am Gebäude mehrere Türmchen.

In der unteren Etage befanden sich einst die Verkaufsräume eines Luxus Porzellan- und Glasgeschäfts, dessen Lager im zweiten Stock bereits im Jahr 1900 mit dem eingebauten Fahrstuhl verbunden war. In der Belle-Etage wohnte Familie Rautmann großbürgerlich, wobei die Wohnräume dem Grundriss des Haues folgend wie an einer Perlenkette hintereinander folgen. Balkone sowie Erker laden bis heute zum Verweilen ein.

Viele Jahre als Kino genutzt

Durch zwei Eingänge gelangt man ins Innere, einerseits über die Rudolf-Huch-Straße, andererseits über die Herzog-Wilhelm-Straße. Geht der Besucher über die kleine Brücke über die Radau ins Haus, erwartet ihn das authentische steile Treppenhaus, das aus Eisen besteht. Zur Bummelallee hin zeigt ein Oberlichtbleiglasfenster mit den Initialen C R (Carl Rautmann). Eines der wenigen Bleigläser, das die Sprengung und der darauffolgenden Druckwelle der Muna (Luftmunitionsanstalt Stapelburg – Sprengung erfolgte am 10. April 1945) überstand. Das vordere Treppenhaus wurde im Lauf der Jahrzehnte immer wieder verändert. Wärme für die Radauburg erzeugte die Zentraldampfheizung. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz.
Zur Bummelallee hin zeigt ein Oberlichtbleiglasfenster, auf dem die Initialen von Bauherr Carl Rautmann verewigt worden sind.

Zur Bummelallee hin zeigt ein Oberlichtbleiglasfenster, auf dem die Initialen von Bauherr Carl Rautmann verewigt worden sind. Foto: Privat

Zeitweise diente die Radauburg übrigens auch als Kino: Zahlreiche erste zarte Liebesbande wurden dort beim Schauen von Kinoklassikern geknüpft, in einer Zeit, als es noch kein Fernsehen und keine Streamingdienste gab.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg 1913 eröffneten die Kammerlichtspiele in der Radauburg und existierten bis 1991, wobei sicherlich die 50er und 60er Jahre der Höhepunkt des ersten Bad Harzburger Kinos bildeten.

Erhalt ist erklärtes Ziel

Dass die Radauburg heute noch ihr ursprüngliches Äußeres aufweist, ist der heutigen Eigentümerfamilie zu verdanken. Anfang der 1940er Jahre trat bei der Familie Rautmann der Erbfall ein.
Das Gebäude von der Weißen Brücke aus betrachtet, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1971.

Das Gebäude von der Weißen Brücke aus betrachtet, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1971. Foto: Ahrens-Archiv

Die Erbengemeinschaft war dem Vernehmen nach zerstritten, sodass beschlossen wurde, das Gebäude zu verkaufen.

Landwirt Walter Dammeyer, Besitzer eines Schlewecker Hofes, der zu einer Domäne zugeschlagen wurde, investierte die dafür geleitestete Entschädigung in den Erwerb der Radauburg. Rückblickend in vielerlei Hinsicht die richtige Entscheidung, denn das Deutsche Reich befand sich in der Kriegswirtschaft, Geld wurde zunehmend wertloser. Immobilien als Sachwert und Lebensmittel nahmen an Bedeutung stetig zu. Folglich war der Erwerb der Radauburg ein Glücksfall, denn die Verpachtung der Ladenflächen, das Wohnen in der Belle Etage und das Betreiben des Kinos sicherten die Existenz vor allem nach dem Ende des Krieges. Seine Tochter und sein Enkel besitzen die Villa bis heute. In den 80er Jahren ließ Frau Steckel das Dach und die Fassade aufwendig sanieren. Auch entfernten die heutigen Besitzer die Zwischendecken und legten den originalen Sonnenblumenstuck wieder frei.

Nach der Kino-Ära entstanden weitere Wohnungen. Im Mittelpunkt der familiären Bemühungen steht, das Haus und seine Nutzung zu erhalten.

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