Kaiserring: Plädoyer für die Freiheit der Kunst

Auf engem Raum rückten die Schülerinnen und Schüler von vier Schulen aus Goslar und Bad Harzburg in der Däle, auf der Treppe und der Balustrade darüber zusammen, um Katharina Fritsch nach ihrem Kunstschaffen zu befragen. Foto: Kaspert
Mit einer lebendigen Schülerdiskussion startete Katharina Fritsch am 10. Oktober im Mönchehaus-Museum für moderne Kunst das Goslarer Kaiserring-Wochenende, dessen Höhepunkt die Auszeichnung der Düsseldorfer Bildhauerin in der Kaiserpfalz ist.
Goslar. Als Miriam Bettin, neue Direktorin des Mönchehaus-Museums für moderne Kunst in Goslar, der designierten Kaiserringträgerin Katharina Fritsch für ihre Offenheit im Gespräch mit den Schülern dankte und diesen für ihre Neugier und gute Vorbereitung, hatte sie guten Grund dazu: Eine solch lebendige, ungekünstelte Schülerdiskussion gibt es nicht jedes Jahr. Bettin hatte die Moderation übernommen – eine ihrer vielen Premieren in diesen Wochen und Monaten. Vielleicht hat sie auch mit ihrer Erwähnung, dass sie selber vor 21 Jahren als Schülerin des Ratsgymnasiums die erste Frage an die Künstlerin stellte, das Eis gebrochen. Damals erhielt auch eine Katharina den Kaiserring, Katharina Sieverding.

Die blauen Männer mit Handy haben das Zeug dazu, das meistfotografierte Motiv der Ausstellung von Katharina Fritsch im Mönchehaus zu werden. Foto: Kempfer
Neben dem RG waren das CvD, das „Werner“ aus Bad Harzburg und die Berufsbildenden Schulen aus der Baßgeige gut vertreten.
„Warum mögen Sie so gerne Muscheln?“, lautete die erste Frage. Sie habe gar keine besondere Vorliebe dafür, antwortete Fritsch, die einige Muscheln in der Goslarer Ausstellung hat; ihre erste Muschelskulptur sei von Andenkenfigürchen auf Elba inspiriert, der „Urknall“, seitdem habe sie immer wieder mal mit diesen Formen gearbeitet. Schnell gingen die Fragen tiefer, und die Bildhauerin erklärte, dass in ihren Augen Kunstwerke ein Eigenleben entwickelten. Natürlich arbeite ein Künstler nicht für sich allein, sondern für andere Menschen: „Ich bin ja auch nur ein Mensch in dieser Zeit.“
Laden für ausgestopfte Tiere
Den Hahn, nach dem gefragt wurde, habe sie in Münster in einem Laden für ausgestopfte Tiere entdeckt – und auf die Seite gelegt. Er sei in der Kunst eigentlich ein abgegriffenes Motiv – aber genau das habe sie gereizt, sich selber etwas dazu einfallen zu lassen. Als seine Stunde schlug, war er längst eingestaubt; damals wurde sie eingeladen, an einem Wettbewerb teilzunehmen, um einen leeren Sockel auf dem Trafalgar Square zu bestücken. Sie bekam den Zuschlag und der Hahn seinen Auftritt: Sie machte ihn „knallblau“ und platzierte ihn neben den Generälen, ein ironischer Verweis.
Die Frage, ob denn der Einsatz von Kunststoff als Material nachhaltig sei, machte die Künstlerin nachdenklich. „Da denkt man als Künstler nicht so dran“, räumte sie ein, erzählte von den 80er Jahren („damals konnte es gar nicht giftig genug sein“) und gab zu: „Da habe ich nicht wirklich eine Antwort drauf.“
Die Schülerinnen und Schüler erfuhren dank interessierter Nachfragen viel über die Arbeitsweise der Künstlerin, die Farben nach „Intuition“ auswählt, auch mal bewusst mit Farben arbeitete, die „sich falsch anfühlten“ – das habe auch etwas mit Sehgewohnheiten zu tun – Fritsch hat längst ihre eigene Farbpalette, die sie immer einsetzt. Die Schüler entlockten ihr auch ihre Lieblingsfarbe: „Rot. Ein schönes, kräftiges Rot.“ Ob sie auch Ideen hatte, die sie nie umsetzte? „Jede Menge!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Einmal wurde ihr eine Idee geklaut, weil sie diese nicht schnell genug realisieren konnte – und Damien Hirst machte den Haifisch in Plexiglas.
Figuren wie eine Vision
Dass sie sich vor allem für Skulpturen entschieden hat, liege darin, dass man um sie herumgehen könne: „Das ist etwas sehr Drektes.“ Durch die Einfarbigkeit würden sie sehr bildhaft: „Sie sollen funktionieren wie Erscheinungen, eine Vision.“ Die dritte Dimension hätte sie immer interessiert: „Man irritiert Menschen mehr mit etwas, das ihr Gegenüber wird.“ Und so strahlen auch ihre zweidimensionalen Siebdrucke in den Raum hinein – oder werden mit Skulpturen kombiniert.
Manche Werke dauern „drei, vier, acht Jahre“, antwortet sie auf eine Zeit-Frage. Privatleben? Fehlanzeige. An besagtem Hahn habe sie mit sieben Leuten ein Jahr modelliert. Zuvor hatte sie ihn gescannt und vergrößert; insgesamt dauerten die Arbeiten am Hahn zwei Jahre. „Am schwierigsten ist, etwas zu machen, was ganz einfach ist.“ Momentan stecke sie in einigen großen, teuren Produktionen, die sie alle selber finanziere, weil sie sie einfach realisieren wolle. Ob ihre Arbeit zeitlos sei? „Das weiß man erst in 200 oder in 1000 Jahren. Ich bemühe mich.“ Den Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig – nein, das sei kein Film-, sondern ein Kunstfestival – hat sie nach ihrem Geschmack zu früh bekommen, fühlte sich alt, denn er war für das Gesamtwerk. „Furchtbar.“
Kunst braucht Freiheit
Ihre Ideen kommen aus ihrem Kopf, ihrem Leben, „was zig Millionen Menschen auch leben, also aus dem Alltag“, sagte Fritsch, während genau dieser nebenan in Form eines Museumsmitarbeiters einbrach, den die Veranstaltung nicht davon abhielt, seinen Job zu machen – und im angrenzenden Raum erst einmal geräuschvoll den Müll zu leeren.
Den Schülerinnen und Schülern, die sich für Kunst interessieren, legte Katharina Fritsch nahe, dran zu bleiben, an sich zu glauben, hartnäckig und stur zu sein wie sie selbst und sich die notwendigen Freiräume an den Kunstakademien zurückzuerobern. „Wir hatten kein Handy, das war ein Segen“, blickt sie zurück auf die Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie, in der man sich selber erfunden habe: „Das war eine große Zeit der Individualität.“ Katharina Fritsch empfahl dem Nachwuchs, „das Konforme, das da in den sozialen Medien vorgegeben wird“, zu ignorieren, sich das Revolutionäre zu erhalten und frei von Systemen der Künstlichen Intelligenz zu bleiben. Bei aller Leidensfähigkeit, die der Beruf des freien Künstlers erfordere, machte sie auch Mut: „Wenn man an die Sache glaubt, dann kann man alles.“
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