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Zwei Redakteure, zwei Meinungen

GZ Plus IconKirche an Heiligabend – ein Muss oder überflüssige Tradition?

Im Hintergrund ist eine volle Kirche an Heiligabend zu sehen. Im Vordergrund befinden sich Portraitfotos der Autoren Sebastian Sowa und Lisa Kasemir.

Der Kirchengang an Weihnachten ist in vielen Familien ein fester Bestandteil des Heiligen Abends. Doch nicht jeder sieht das so. Foto: GZ-Archiv, Sowa, Privat

Neben der Bescherung und dem Weihnachtsbraten gehört für viele ein Gang in die Kirche dazu. Die GZ-Redakteure Sebastian Sowa und Lisa Kasemir haben dazu verschiedene Meinungen.

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Von Sebastian Sowa,
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Von Lisa Kasemir
Mittwoch, 24.12.2025, 04:00 Uhr

Goslar. Einmal im Jahr sind die Kirchen richtig voll: an Heiligabend. Für die einen ist der Weihnachtsgottesdienst ein unverzichtbarer Moment der Besinnung und Gemeinschaft, für die anderen wirkt er wie ein Pflichttermin ohne Tiefe. In unserem Pro-und-Contra beleuchten zwei GZ-Redakteure das Phänomen aus gegensätzlichen Blickwinkeln:

Sebastian Sowa plädiert dafür, den einmaligen Kirchgang nicht zu belächeln, sondern als Ausdruck gelebter christlicher Werte, von Gemeinschaft und Hoffnung zu verstehen. Lisa Kasemir hält dagegen und fragt, ob Tradition allein ein überzeugender Grund ist – oder ob Weihnachten nicht ehrlicher ohne Kirchenbank gefeiert werden sollte. Zwei Meinungen, ein Thema, das jedes Jahr neu bewegt.

Argumente, die dafür sprechen

Sebastian Sowa: „Glauben an christliche Werte“

Viele Menschen betreten die Kirche nur einmal im Jahr – an Weihnachten. Für manche ist das scheinheilig, für andere überholt. Ich nehme bewusst die Pro-Perspektive ein.

Vorweg: Meine Tochter Jette feiert im Juni ihre Heilige Kommunion, deshalb bin ich derzeit mit meiner Familie häufiger in Gottesdiensten unterwegs. Und gerade dadurch ist mir wieder deutlich geworden, warum der Kirchbesuch an Weihnachten für mich einfach dazugehört.

GZ-Redakteur Sebastian Sowa steht vor einem weißen Hintergrund.

Sebastian Sowa Foto: Privat

Ja, es stimmt: Viele sieht man sonst das ganze Jahr nicht in der Kirche. Aber genau das empfinde ich nicht als Makel, sondern als große Stärke. Im Trubel des Heiligabends ist es wohltuend, für eine Stunde innezuhalten, still zu werden und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Gottesdienste sind Orte der Begegnung – und hier in Goslar gleichen die Weihnachtsmessen oft einem großen Klassentreffen. Verlorene Töchter und Söhne der Stadt kehren zurück, man begegnet sich, nickt sich zu, fühlt sich verbunden. Das zeigt den Zusammenhalt einer Gemeinde und lebt eine Tradition, die weit über reine Gewohnheit hinausgeht.

Natürlich kenne ich auch die andere Seite. Als Kind empfand ich es häufig als anstrengend, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Heute ist das anders. Mittlerweile spüre ich diesen besonderen Spirit – sei es beim gemeinsamen Vaterunser oder beim Singen der Lieder. Bei „O du fröhliche“ oder beim „Ave Maria“ kommen mir nicht selten die Tränen. Es sind diese Momente, die berühren, weil sie tief verankerte Erinnerungen, Werte und Gefühle wachrufen.

Besonders schön finde ich, dass meine Kinder aktiv in die Gottesdienste eingebunden sind – und das gilt für katholische wie evangelische Gottesdienste gleichermaßen. Sie erleben Gemeinschaft, Zusammenhalt und Teilhabe. Und es gibt kaum etwas Schöneres, als in einer voll besetzten Kirche gemeinsam Weihnachtslieder zu singen.

Natürlich kann man darüber streiten, ob ein einmaliger Kirchgang im Jahr ausreicht. Aber vielleicht ist das gar nicht der entscheidende Punkt. Es kommt nicht auf die Anzahl der besuchten Gottesdienste an, sondern auf den gemeinsamen Glauben an christliche Werte wie Nächstenliebe, Gemeinschaft und Hoffnung.

Und wenn Weihnachten der Anlass ist, diese Werte bewusst zu erleben – dann ist auch der einmalige Gang in die Kirche mehr als genug.

Argumente, die dagegen sprechen

Lisa Kasemir: „Tradition ist kein Argument“

Ich sehe das anders. Wer das ganze Jahr nichts mit Kirche zu tun hat, muss an Heiligabend nicht plötzlich dort auftauchen. Glaube ist keine Saisonware. Und Besinnlichkeit lässt sich nicht erzwingen, nur weil Weihnachten im Kalender steht.

Lisa Kasemir steht vor einem weißen Hintergrund.

GZ-Redakteurin Lisa Kasemir Foto: Sowa

Viele gehen nicht aus Überzeugung, sondern aus Pflichtgefühl, Nostalgie oder weil „man das eben so macht“. Die Kirchen sind voll und am nächsten Sonntag wieder leer. Das wirkt auf mich nicht wie gelebter Glaube, sondern wie ein Ritual ohne Inhalt.

Weihnachten kann auch ohne Kirchenbank still und bedeutungsvoll sein: zu Hause, im Gespräch, beim Spaziergang, mit Musik oder einem guten Gedanken. Dafür braucht es keinen Gottesdienst, dessen Botschaft man den Rest des Jahres ignoriert.

Vielleicht täte Ehrlichkeit gut: Wer nicht glaubt, muss sich an Heiligabend nicht verstellen. Und wer glaubt, darf das gern tun, aber ohne den Anspruch, dass alle anderen mitziehen müssen.

Manchmal erinnert der Heiligabend-Gottesdienst eher an eine Facebook-Party als an einen Ort der Stille: Alle sind da, weil alle da sind. Hinzu kommt: Der Heiligabend-Gottesdienst ist oft weniger Glaubensraum als Event. Wer früh kommt, sichert sich einen Platz, wer zu spät ist, steht. Es wird geflüstert, fotografiert, geschaut, wer da ist. Das hat für mich wenig mit innerer Einkehr zu tun. Für die regelmäßigen Gemeindemitglieder bedeutet der Ansturm Stress statt Gemeinschaft und für viele Besucher bleibt es beim Pflichttermin, den man danach innerlich abhakt.

Und schließlich frage ich mich, ob wir Weihnachten nicht überfrachten, wenn wir ihm zwanghaft eine kirchliche Bedeutung zuschreiben. Das Fest lebt längst von mehr als Religion: von Nähe, Miteinander und besinnlichen Stunden mit den Liebsten. Diese Werte brauchen keinen Altar, kein Kreuz und keine Kanzel. Vielleicht wäre es ehrlicher, Weihnachten so zu feiern, wie man lebt und nicht einmal im Jahr an einem fixen Datum so zu tun, als wäre man jemand anderes.

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