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Aktion des Vereins Spurensuche

GZ Plus IconIn Goslar erinnern sieben weitere Stolpersteine an NS-Opfer

In der Breiten Straße nimmt ein besonderer Spaziergang seinen Anfang, bei dem sieben neue Stolpersteine verlegt werden. In der Haunummer 58 lebte der Schuster Josef Schacker, dessen Schusterwerkstatt in der Kristallnacht auseinander genommen wurde.

In der Breiten Straße nimmt ein besonderer Spaziergang seinen Anfang, bei dem sieben neue Stolpersteine verlegt werden. In der Haunummer 58 lebte der Schuster Josef Schacker, dessen Schusterwerkstatt in der Kristallnacht auseinander genommen wurde. Foto: Kempfer

Sieben weitere Stolpersteine erinnern mit ihren glänzenden Oberflächen im Goslarer Pflaster an eine Zeit, die alles andere als ruhmreich war – und an menschliche Schicksale, die sich im Nationalsozialismus mitten in der Stadtgesellschaft ereigneten.

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Von Sabine Kempfer
Donnerstag, 26.06.2025, 04:00 Uhr

Goslar. Es war ein Stadtrundgang der besonderen Art, der sich gestern über mehrere Stunden von der Breiten Straße über verschiedene Stationen bis hin in die Von-Garßen-Straße erstreckte. Dieses Mal war es nicht die Schönheit der Stadt, die hier im Fokus stand, stattdessen ging es um die Schicksale einzelner Goslarer Bürger während des Nazi-Regimes. Die Initiative Stolperstein im Verein Spurensuche Harzregion hatte gemeinsam mit der Stadt Goslar und weiteren Partnern zur Verlegung sieben weiterer Stolpersteine eingeladen.

Menschentraube begleitet das Gedenken

Gedacht war an sich nur an einen kleineren Kreis; dass der größer wurde, war schon klar, als sich vor 14 Uhr bereits eine beachtliche Traube an Menschen nahe des Breiten Tores versammelt hatte und auf beiden Straßenseiten auf den Startschuss wartete. Als der dann fiel, sperrte die Goslarer Polizei vorübergehend das Breite Tor, damit der erste Stolperstein in Ruhe verlegt werden konnte. Mit ihm gedenkt die Initiative, die Stadt und alle, die den Messingquader auf dem Bürgersteig vor dem Haus Nummer 58 in Zukunft erblicken, Josef Schackers. Schülerinnen und Schüler der Adolf-Grimme-Gesamtschule, die sich in einer AG intensiv mit dem Thema beschäftigen, führten ins Leben des Schusters ein, der angesehen war und dessen Geschäfte gut liefen – bis sein jüdischer Glaube ans Tageslicht kam.
Die Mitarbeiter des Städtischen Betriebshofes sind an diesem Tag gleich mehrmals gefragt.

Die Mitarbeiter des Städtischen Betriebshofes sind an diesem Tag gleich mehrmals gefragt. Foto: Kempfer

Schacker, gebürtiger Litauer, erlebte zwei Weltkriege; einen als Soldat, der in Kriegsgefangenschaft kam und zur Zwangsarbeit in den Rammelsberg geschickt wurde, den zweiten als jüdischer Zwangsarbeiter. 1922 machte er sich in der Breiten Straße 58 selbständig. Ayamudddin Stanikzai, Maik Klehr, Aliyah Bittaye und Leonie Machner von der AGG berichten, wie seine Schusterwerkstatt in der Kristallnacht auseinander genommen wurde. Schuhe lagen auf der Straße, der Laden war ausgeräumt; Augenzeugen hatten gesehen, wie mehrere Kisten und Kartons auf Autos verladen wurden.

Nach dem Krieg blieben Schackers Versuche, in die USA auszuwandern, aufgrund seines Gesundheitszustands erfolglos. Er lebte noch zwei Jahrzehnte in Bayern, wurde 1965 auf dem jüdischen Friedhof in Nürnberg begraben. 20 Jahre, in denen er vergeblich für irgendeine Form der Wiedergutmachung kämpfte.

Hier wie an den sechs weiteren Orten des Weges vollzog sich ein kleines Ritual: Rainer Buhl (Gitarre) und Francis Julien Lahmer (Cello) spielten jüdische Lieder, zwei Mitarbeiter des städtischen Betriebshofes setzten den „Stolperstein“ in die dafür vorbereitete Pflasterlücke – in der Breiten Straße mussten sie ihn gleich zweimal festklopfen, weil Initiator Stefan Cramer vom Verein Spurensuche noch aufgefallen war, dass die Schrift nicht in die gewünschte Richtung zeigte: Sie soll zu lesen sein, wenn man mit Blick auf den Eingang vorm Haus steht, das die „letzte freiwillige Adresse“ des NS-Opfers war. Dann wurde der Fugensand noch mit einem weichen Lappen vom Messing gewischt und anschließend weiße Rosen neben dem Stolperstein und der alten Fotografie von Schuster Josef Schacker niedergelegt.

Der Stadt „sehr wichtig“

Das Erinnern an die Greueltaten aus der Zeit des Nationalsozialismus sei der Stadt Goslar sehr wichtig, hatte Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner eingangs betont; „gerade heute, wo wir einen deutlichen Rechtsruck verspüren“. Sie verwies auf vergangene Veranstaltungen im Kulturmarktplatz. Die sieben neuen Stolpersteine seien „ein weiteres wichtiges Mahnmal gegen das Vergessen“, beschwor sie ein stadtgesellschaftliches und bürgerliches Verantwortungsbewusstsein. Die große Runde zeige, „wie viele Menschen dahinter stehen“.

Ihr Weg führte sie zu weiteren Orten in Goslar, an denen Menschen lebten, die aus der Mitte ihres Lebens, ihrer Familien und der Gesellschaft gerissen wurden (Bericht folgt).

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