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GZ-Serie zum Kriegsende 1945

GZ Plus IconGoslars erste politischen Gehversuche unter britischer Besatzung

In Goslar übernehmen nach Kriegsende bald die Briten als Besatzungsmacht. Die Bevölkerung beäugt die neuen Herren mit Kolonialerfahrung noch argwöhnisch. Das Bild stammt aus dem Oktober 1945.

In Goslar übernehmen nach Kriegsende bald die Briten als Besatzungsmacht. Die Bevölkerung beäugt die neuen Herren mit Kolonialerfahrung noch argwöhnisch. Das Bild stammt aus dem Oktober 1945. Foto: Repro aus dem Archiv Geyer

Die Amerikaner haben Goslar im April 1945 erobert. Als Besatzer ziehen allerdings die Briten in die nahezu unzerstört gebliebene Stadt ein. Historiker Dr. Peter Schyga zeichnet in einer GZ-Serie die ersten tastenden Politik-Schritte im Frieden nach.

Von Dr. Peter Schyga Dienstag, 12.08.2025, 12:00 Uhr

Goslar. Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung, Dezentralisierung – vier Schlagworte, die den gemeinsamen Willen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Umgang mit dem geschlagenen Deutschen Reich umreißen sollten. Schon zu Beginn ihrer Konferenz in Potsdam am 17. Juli 1945 verständigten sich der US-amerikanische Präsident Harry S. Truman, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Diktator Josef Stalin auf diese Grundsätze künftiger Besatzungspolitik.

Die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Westverschiebung Polens, wie die sowjetische Inbesitznahme Ostpolens bei gleichzeitiger Verschiebung der Westgrenze bis an Oder und Neiße und damit Abtretung der deutschen Ostgebiete an Polen genannt wurde, war schon auf der Vorgängerkonferenz der „Großen Drei“ im Februar 1945 in Jalta grob vereinbart worden. Mit Beschluss am 31. Juli 1945 einigten sich die drei – Churchill war inzwischen durch seinen neu gewählten Nachfolger Premier Clement Attlee ersetzt worden – auf die Reparationsbedingungen und Verwaltungszonen und legten faktisch die Teilung Deutschlands fest. Dass die demokratisch verfassten Westalliierten – Frankreich stimmte im August den Vereinbarungen zu – andere Vorstellungen von der Ausgestaltung und Verwirklichung der vier zentralen Elemente des Umgangs mit den Deutschen haben würden, war den Beteiligten klar.
Der britische Premierminister Winston Churchill (v.l.), US-Präsident Harry Truman und Sowjet-Chef Joseph Stalin (2.v.r.) unterhalten sich bei der Potsdamer Konferenz.

Der britische Premierminister Winston Churchill (v.l.), US-Präsident Harry Truman und Sowjet-Chef Joseph Stalin (2.v.r.) unterhalten sich bei der Potsdamer Konferenz. Foto: picture alliance/dpa/EPA FILE

Unter britischer Besatzung – städtische Verwaltung

Goslar lag seit dem Sommer 1945 im Gebiet der britischen Besatzungszone, die von Flensburg bis ins nördliche Ruhrgebiet reichte. In der Provinz Hannover, den Ländern Braunschweig und Oldenburg kommandierte das XXX. Corps District mit dem 229 (P) Mil. Gov. Det. (Military Government Detachment) mit Sitz in Hannover. Ihm waren Militärregierungen der Regierungsbezirke angegliedert. Für Goslar war das 229 HQ (Headquarter) unter dem Kommando von Major Hinxman zuständig. Die Stadt befand sich zudem am Rand der westlichen Zonen, nur wenige Kilometer entfernt vom nun fixierten Einflussgebiet der Sowjetunion. Die Verantwortlichen der britischen Besatzungsmacht waren durch die imperial-koloniale Geschichte ihres Empire in der effektiven Aufsicht über unterworfene Gesellschaften geschult.
Ein von der US National Archives and Records Administration (NARA) zur Verfügung gestelltes Handout-Bild der Eröffnungssitzung der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli 1945: Präsident Harry S. Truman sitzt im Vordergrund (Rücken zur Kamera), der sowjetische Premierminister Josef Stalin (r.), der britische Premierminister Winston Churchill (l.), Außenminister James Byrnes rechts von Präsident Truman, US-Admiral William Leahy zwei Plätze rechts von Präsident Truman, der britische Außenminister Anthony Eden links von Churchill, der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow links von Premierminister Stalin.

Ein von der US National Archives and Records Administration (NARA) zur Verfügung gestelltes Handout-Bild der Eröffnungssitzung der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli 1945: Präsident Harry S. Truman sitzt im Vordergrund (Rücken zur Kamera), der sowjetische Premierminister Josef Stalin (r.), der britische Premierminister Winston Churchill (l.), Außenminister James Byrnes rechts von Präsident Truman, US-Admiral William Leahy zwei Plätze rechts von Präsident Truman, der britische Außenminister Anthony Eden links von Churchill, der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow links von Premierminister Stalin. Foto: picture alliance/dpa/US NATIONAL ARCHIVES

Wie zivile Verwaltung unter militärischer Kontrolle funktionieren konnte, wussten sie. Die Deutschen waren nun ihre „Eingeborenen“. Deutsche Verwaltungsorgane, die für ein Aufrechterhalten des täglichen Lebens und Miteinanders unverzichtbar waren, blieben unter britischer Kontrolle bestehen. Polizei, Justiz und Bildungswesen wurden in den ersten Monaten rigoros von NS-Elementen geleert, die Polizei entwaffnet. Die eingeschränkte kommunale Selbstverwaltung fand ihren Ausdruck in der Einsetzung eines Magistrats durch die Briten im Sommer 1945.

GZ-SERIE ZUM KRIEGSENDE

Im zweiten von drei Abschnitten wendet sich Historiker Dr. Peter Schyga in der GZ-Serie „Kriegsende 1945 – 80 Jahre danach“ der Situation in Goslar im Sommer zu. Im März hatte er sich mit dem Ende der NS-Macht beschäftigt und berichtet nun in zwei Folgen über die ersten politischen Gehversuche in der vom Krieg weitgehend unzerstörten Stadt. Im Herbst geht es schließlich um den demokratischen Neubeginn.

Schyga ist Goslarer Geschichtspreisträger von 2021. Er zeichnet unter anderem für die beiden Werke „Goslar 1918 – 1945“ (Von der nationalen Stadt zur Reichsbauernstadt des Nationalsozialismus) und „Goslar 1945 – 1953“ (Hoffnung – Realitäten – Beharrung) verantwortlich. Sie sind 1999 und 2017 als Band 46 und 58 in der Reihe Beiträge der Stadt Goslar/Goslarer Fundus erschienen. fh

Das neue Personal an der Spitze

Ihm gehörten an: Der langjährige Syndikus und 1933 aus der Stadt gejagte Dr. Rudolf Wandschneider als Oberbürgermeister (zuständig für die allgemeine Verwaltung), der viele Jahre in Weimarer Zeit tätige SPD-Senator Wilhelm Söffge (Forst- und Landwirtschaft; Schlachthof), den der SA- und NS-Mob am 5. Mai 1933 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Selmar Hochberg im Fleischerkarren durch die Stadt getrieben hatte, und der ehedem republikanische Kaufmann Gustav Schwikkard (Stadtgärtnerei, Friedhof, Stift Neuwerk, Fremdenverkehr), ein langjähriger Fremdenverkehrschef.

Als Stadträte wurden eingesetzt: Der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Schacht (Sozialamt), der neu hinzu bestimmte Bauarbeiter Heinz Elles (Bau- und Wohnungswesen) und der Unternehmer Dr. Otto Fricke (Wirtschaft und Verkehr, Ernährung), ehemals DNVP-Mitglied und 1933 Bürgerschaftskandidat der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, sowie die auch in der Verwaltung der NS-Zeit tätigen und als unbelastet geltenden Stadtkämmerer Heinrich Wulfert, Stadtbaudirektor Karl Schneider und Stadtforstmeister Alexander Grundner-Culemann.

Die Verantwortung war also Personen übertragen worden, die wegen ihrer republikanischen Vergangenheit als integer erschienen. Die Ausnahme bildete der als Stadtassessor eingesetzte Jurist Helmut Schneider. Dieser war im Januar 1945 vor den anrückenden sowjetischen Truppen aus Auschwitz-Monowitz geflohen, wo er seit 1943 als Abteilungsleiter der IG Farben tätig gewesen war.
Kleiner Zeitsprung: Am 20. Dezember 1948 leitet Friedrich Klinge, langjähriger und letzter Oberbürgermeister in Goslar vor der Nazi-Zeit, wieder seine erste Ratssitzung in Amt und Würden. Im Bild rechts neben Klinge sitzen Oberstadtdirektor Helmut Schneider und sein Stellvertreter Heinrich Wulfert.

Kleiner Zeitsprung: Am 20. Dezember 1948 leitet Friedrich Klinge, langjähriger und letzter Oberbürgermeister in Goslar vor der Nazi-Zeit, wieder seine erste Ratssitzung in Amt und Würden. Im Bild rechts neben Klinge sitzen Oberstadtdirektor Helmut Schneider und sein Stellvertreter Heinrich Wulfert. Foto: Archiv Geyer/Stadtarchiv Goslar

Große Aufgaben vor der Brust

Am 29. Juni 1945 eröffnete Senator Söffge die erste Magistratssitzung der Nachkriegszeit mit den Sätzen: „Es ist ein trauriges Erbe, das wir antreten. Wir werden alles daransetzen müssen, um die Schwierigkeiten zu meistern. Wir beide – Senator Schwikkard und ich – haben uns als geborene Goslarer und aus Liebe zu Wald und Feld entschlossen, dieses Amt wieder anzunehmen.“
SPD-Senator Wilhelm Söffge sollte die erste Magistratssitzung der Nachkriegszeit am 29. Juni 1945 eröffnen. Ihn hatten der SA- und NS-Mob am 5. Mai 1933 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Selmar Hochberg im Fleischerkarren durch die Stadt getrieben.

SPD-Senator Wilhelm Söffge sollte die erste Magistratssitzung der Nachkriegszeit am 29. Juni 1945 eröffnen. Ihn hatten der SA- und NS-Mob am 5. Mai 1933 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Selmar Hochberg im Fleischerkarren durch die Stadt getrieben. Foto: Stadtarchiv

Diese Schwierigkeiten bestanden in der Verwaltung des allgemeinen materiellen Mangels: Schaffung von Wohnraum, Sicherstellung von Ernährung und Kleidung, medizinische Versorgung. Die Wiederherstellung beziehungsweise Schaffung von Transportkapazitäten, städtischer Infrastruktur und Arbeitsplätzen waren neben der Aufrechterhaltung von innerer Sicherheit die zentralen materiellen Probleme, denen sich die Verwaltung und die Stadtbürgerschaft annehmen mussten. Ohne radikalen Bruch mit der politischen Praxis der vergangenen zwölf Jahre schien dies kaum möglich. Fortsetzung folgt.

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