Euthanasie-Morde: Die Namen und Schicksale der Goslarer Opfer
Gegen das Vergessen; Auf der Hokenstraße erinnern seit 2023 vier Stolpersteine an die Opfer aus den Reihen der jüdischen Familie Heilbrunn. Foto: Heine (Archiv)
Es sind neun Namen, die für das Goslarer Morden der Nazis stehen. Als die braunen Machthaber ihre tödlichen Pläne an Kranken in die Tat umsetzen, sind auch Menschen aus der Nachbarschaft unter den Opfern. Dr. Stefan Cramer listet die Schicksale auf.
Goslar. Otto Dienelt. Wilhelm Volkmann. Carl Herrling. Anna Herrling. Auguste Müller. Anna König. Albert Müller. Karl Schlüter. Und Hermann Kassebaum. Neun Namen. Neun Opfer. Sie geben einem besonders widerlichen Kapitel Goslarer Geschichte Gesichter, das die Nazis in ihrer Herrschaft schrieben. Ihnen widerfuhr, was die Täter verbal mit Euthanasie schönfärbten und aus ihrer Sicht eigentlich nichts anderes meinte als die Vernichtung unwerten Lebens. Gemeinhin war dies damals und ist es auch noch heute nichts anderes als organisierter Mord.
„Eu“ bedeutet im Altgriechischen „gut“ oder „schön“. „Thanatos“ steht für „Tod“ oder „Sterben“. Nein, die Opfer fragte niemand, als die Nazis ihre systematischen Krankenmorde begingen. Schönes Sterben? Ein Gnadentod gar? Mitnichten. Angehörige hatten nichts zu sagen, auch wenn sie sich zu wehren suchten. Zwischen 1939 und 1945 verloren insgesamt zirka 200.000 Frauen, Männer und Kinder aus psychiatrischen Einrichtungen im Reich durch Gas, Medikamente oder Verhungern ihr Leben. Fast 100.000 Tote kamen aus den besetzten oder annektierten Gebieten hinzu.
Eine Stolpersteine-Veranstaltung im November 2023, mit vorne v.li.: Erika Hauff-Cramer, Stefan Cramer, Marleen Mützlaff, Dr. Kurt Fontheim. Foto: Kempfer (Archiv)

Professor Dr. Hermann Kassebaum Foto: Privat
Sein Sohn, so schreibt Cramer in aller Kürze, studiert, raucht, trinkt, feiert und macht Schulden. 1934 sei es zu einem ersten Zusammenbruch und zur Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Hildesheim gekommen. „Dort bleibt er bis zur Ermordung am 28. April 1941 in der Gaskammer der Krankenanstalt Schloss Pirna-Sonnenstein bei Dresden“, heißt es weiter.

Künstler Gunter Demnig verlegt im Juni 2023 auf der Petersilienstraße den ersten Stolperstein für Selmar Hochberg. Foto: Heine (Archiv)
AM 25. JUNI SOLLEN WEITERE SECHS STOLPERSTEINE VERLEGT WERDEN
Im Sommer 2023 hat die Initiative Stolpersteine des Vereins Spurensuche Harzregion zusammen mit dem Berliner Künstler und Ideengeber Gunter Demnig die ersten 13 kleinen Tafeln aus Messing zum Gedenken an jüdische Nazi-Opfer in Goslar verlegt. Sie erinnern an die Schicksale von Selmar Hochberg auf der Petersilienstraße, Willy, Henny und Kurt Heilbrunn sowie Richard Löwenthal auf der Fischemäkerstraße, Helene, Alfred, Ernst und Lucie Lebach auf der Rosentorstraße, Dagobert und Margarete Levy sowie Louis Meyer auf der Kornstraße. Die GZ hatte vor der Aktion in einer Serie deren Lebensgeschichten erzählt.
Die zweite Stolperstein-Runde ist laut Dr. Stefan Cramer jetzt für den 25. Juni (Mittwoch) geplant. Vorab hält Cramer zusammen mit Dr. Kurt Fontheim am 5. Juni beim Goslarer Geschichtsverein einen Vortrag mit dem Titel „Das vergessene Leid – Die Morde an Patienten in Goslar während der NS-Zeit“.
Tafeln als Opfer der Nazi-Euthanasie mit einem Bezug zu Goslar erhalten Hermann Kassebaum, der in der Von-Garßen-Straße 6 lebte und in Pirna-Sonnenstein ermordet wurde, Auguste Müller (geborene Theuerkauf), die im Worthsatenwinkel 1 zu Hause war und ebenso wie Anna König (geborene Paulmann) in Hadamar umgebracht wurde. König lebte in der Petersilienstraße 13.
Es gilt weiterhin die von Demnig aufgestellte Regel, dass die Steine möglichst vor dem letzten freiwilligen Wohnort der Opfer vor Einweisung in eine sogenannte Heil- und Pflegeanstalt verlegt werden sollen. Das ist bei den genannten drei Schicksalen der Fall.
Weitere Tafeln sind bestimmt für den jüdischen Schuster Josef Schacker vor der Breiten Straße 56, den katholischen Kaplan Johannes Jäger vor der Zehntstraße 18, und den Polizisten Friedrich Ostheeren vor der Petersilienstraße 17. Der Sozialdemokrat wurde am 29. Juli 1933 von SA-Schlägern im Goslarer Rathaus so schwer misshandelt, dass er am 17. April 1934 in Halberstadt verstarb.
Zu allen Personen hat die Initiative Biografien erarbeitet, die die GZ im Vorfeld der Stolpersteinverlegungen veröffentlicht. fh

Die Anteilnahme ist groß: Viele Menschen verfolgen das Verlegen der Stolpersteine in der Innenstadt. Unter den aufmerksamen Beobachtern befinden sich auch Nachkommen der Goslarer Opfer des Nationalsozialismus. Foto: Heine (Archiv)
Was bleibt noch zu erzählen? Vielleicht, dass „das Bewusstsein über dieses besonders dunkle Kapitel unserer Geschichte schwindet“, wie Cramer in seinem Beitrag bemerkt. Und er erinnert: Es sei noch nicht lange her, dass unbekannte Täter einen Ziegelstein mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“ in eine Einrichtung der Lebenshilfe in Mönchengladbach geworfen hätten.