Als ein Hitler-Brief die Vorfreude auf das Heimatfest trübte

Zum Heimatfest-Umzug sind die Straßen voll. Foto: Stade/Archiv
Ein Dankschreiben von Adolf Hitler landet im Jahr 2000 in der Festschrift für das Altenauer Heimatfest. Was folgt, sind Rücktrittsforderungen und Sorge vor einem Ansturm von Rechtsradikalen. Doch Altenau lässt sich nicht unterkriegen.
Altenau. Altenau im Sommer 2000: Eigentlich ist die ganze Bergstadt schon voller Vorfreude auf das 14. Heimatfest. Doch dann kommt der Dämpfer. In der Festschrift taucht ein Schreiben von Adolf Hitler auf, in dem er sich für die Ehrenbürgerwürde „mit deutschem Gruss“ bedankt. In der Folge wird die Vorbereitung auf das Heimatfest das, was es nie sein sollte: politisch. Ein Eklat mit Happy End.
„Die Verleihung des Ehrenbürgerrechts von Altenau erfüllt mich mit aufrichtiger Freude. Ich nehme die Ehrenbürgerschaft an und bitte, dem Stadtrat meinen ergebensten Dank sowie meine besten Glückwünsche für das Blühen und Gedeihen von Altenau aussprechen zu dürfen“ – so die Worte Hitlers 1933. Nun ist die Ehrenbürgerwürde an sich keine Besonderheit, es wird wohl kaum eine deutsche Stadt gegeben haben, die zur Zeit des Nationalsozialismus dem „Führer“ nicht diese Würde zugesprochen hat. Dass das Dankschreiben aber 55 Jahre nach Kriegsende unkommentiert in einer Festschrift landet, wird im Jahr 2000 über die Grenzen der Bergstadt hinaus zum Politikum.

Ohne Einordnung oder Kontext landet das Hitler-Schreiben in der Festschrift. Foto: Archiv
Zeitdokument oder Skandal?
Als „ein bisschen unglücklich“ bewertet der damalige Bürgermeister Gerhard Lindemann die Vorgänge vor gut 25 Jahren. „So etwas gehört in eine Chronik rein, in eine Festschrift nicht“, zitiert ihn seinerzeit die GZ. Einige Exemplare sind zu dem Zeitpunkt bereits verteilt, der größere Teil ist aber noch nicht unter die Leute gebracht. Um weiteren Schaden abzuwenden, verfasst Samtgemeindebürgermeister Wolfgang Mönkemeyer in Abstimmung mit Ortsbürgermeister Lindemann ein Schreiben, das auf die umstrittene Seite der Festschrift geklebt wird.
Die Festschrift selbst wird wie das Heimatfest insgesamt ehrenamtlich organisiert. Dass auch das Hitler-Schreiben darin Einzug gefunden hat, erklärt ein Verantwortlicher, habe keine politische Bedeutung, es sei lediglich ein „Zeitdokument“. Andere wiederum befürchten, die Vorgänge ließen Altenau überregional schlecht dastehen, sorgen sich gar, das Heimatfest könnte von rechtsradikalen Gruppierungen unterwandert werden.

Ob im Zelt oder auf den Straßen: Die Altenauer lassen sich ihre Stimmung nicht vermiesen. Foto: Stade/Archiv
Dann die nachträgliche Einordnung in der Festschrift. Die GZ schreibt 2000: „Auslöser für den redaktionellen Eingriff war eine Sitzung des Organisationsausschusses. Dem Kreis gehören Mitglieder der Altenauer Vereine und Mitarbeiter der Kurbetriebsgesellschaft an. Wie es heißt, sollen die Vertreter von zwei Vereinen Anstoß an dem Schriftstück genommen haben. Nach Diskussion und Abstimmung entschied sich das Gremium mehrheitlich für eine Kommentierung des Hitler-Briefes.“
Zu spät, zu wenig, findet ein Teil der Bevölkerung. Der Fußballverein stellt seine Teilnahme am Festumzug infrage, der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Eckardt fordert eine öffentliche Auseinandersetzung über die Vorgänge. Und die Altenauer Sozialdemokraten fordern gar den Rücktritt von Bürgermeister Gerhard Lindemann. „Sie tragen nun die Last, dass unser sonst so schönes und unpolitisches Heimatfest mit brauner Soße besudelt worden ist“, heißt es in einem offenen Brief.
Applaus im Stadtrat
Lindemann selbst sieht keinen Anlass zum Rücktritt und bezeichnet die Rücktrittsforderung als „Schmierentragödie“. Immerhin habe er sich dazu bekannt, „die Festschrift nicht aufmerksam genug“ gelesen zu haben, und sei grundsätzlich offen für Kritik. Rückendeckung bekommt er nicht nur von CDU-Fraktion und Freier Wählergemeinschaft, etliche Einwohner applaudieren dem Bürgermeister, nachdem er in der Ratssitzung seinen Rücktritt verweigert. Der Rat bekennt sich einmütig gegen Rechtsradikalismus, auch der für den Eintrag des Hitler-Schreibens in die Festschrift verantwortliche Ehrenamtliche erklärt wiederholt, nicht in böser Absicht gehandelt zu haben.

Der Umzug scheint gar nicht aufzuhören, so viele Altenauer beteiligen sich am Festumzug. Foto: Stade/Archiv
Ein weiterer langjähriger Ehrenamtler, Bernd Pichler, mahnt: „Wenn wir unser Heimatfest mit Freude erleben wollen, sollten wir dafür sorgen, dass das Thema nicht vergessen, aber nun abgeschlossen wird. Lassen Sie uns im Sinne derer, die das Heimatfest geschaffen haben, auf diese Tage zugehen.“ Diesen Tenor schlägt auch die Zeitung an. „Sicher kann der Ratsbeschluss mit dem einstimmigen Bekenntnis gegen Rechtsradikalismus nicht rückgängig gemacht werden“, kommentiert GZ-Redakteurin Bettina Ebeling. „Aber er kann für alle Zukunft verhindern, dass Altenau wegen eines unbeabsichtigten Missgriffs in die braune Ecke gestellt wird. Bleiben noch zwei Wünsche für die Bergstadt: Dass ihre Einwohner nach dem reinigenden Gewitter ihr Fest feiern können und dass ihre Ehrenamtlichen nicht den Mut verlieren.“

Parteigrenzen spielen beim Heimatfest keine Rolle: „Die ‚schwarze‘ Siegrun Fuchs und der ‚rote‘ Karl-Heinz Ehrenberg beim Tanz am Sonnabend im Festzelt“, schreibt die GZ im Jahr 2000 als Bildunterschrift. Foto: Stade/Archiv
Beide Wünsche werden erfüllt. Tausende Menschen – unter ihnen auch Abgeordneter Peter Eckardt – strömen zum Festwochenende nach Altenau. Die Causa Hitler? Kaum mehr Thema. Stattdessen Tannengrün an den Häusern, unzählige Menschen beim nicht enden wollenden Umzug durch die Bergstadt und ein rappelvolles Festzelt, in dem Parteigrenzen nun keine Rolle mehr zu spielen scheinen. „Das macht uns nicht jede Gemeinde nach“, resümiert Gerhard Lindemann am Sonntagabend im Konzertgarten.
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