Diese Menschen bestatten Tote, die sie überhaupt nicht kennen

Ein letzter Gruß für einen Fremden: Regelmäßig gestalten und begleiten die Mitglieder der Tobias-Gemeinschaft Trauerfeiern für Menschen ohne Angehörige. Foto: Schlegel
Eine alte Dame stirbt mit 93 Jahren – allein, ohne Angehörige. Damit sie und viele andere wenigstens nach dem Tod noch Beachtung und Würde erfahren, gestaltet die Harzburger Tobias-Gemeinschaft Trauerfeiern für die, um die sonst keiner trauert.
Bad Harzburg. Wie Gerda Müller (Name von der Redaktion geändert) gelebt hat, weiß man nicht. Nur wie sie starb: allein. Pflegerisch umsorgt zwar im Seniorenheim, aber doch – allein. Keine Angehörigen, keine Freunde, keine Bekannten. Ein Leben von 93 Jahren endet in Einsamkeit, unbeachtet. Doch damit wenigstens der letzte Weg würdevoll ist, nimmt sich in Bad Harzburg die Tobias-Gemeinschaft ihrer an. Zusammen mit örtlichen Bestattern gestaltet die Gruppe regelmäßig kleine Trauerfeiern für Menschen wie Gerda Müller. Menschen, die am Ende ihres Lebens allein sind, die aber wenigstens in auf ihrem letzten Weg begleitet werden sollen. Das ist für die Tobias-Geschwister eine Frage der Würde. Warum tun sie das? Und was ist eigentlich an solchen Bestattungen anders? Für die Bestatter? Für die Trauergemeinde? Für die Geistlichen? Die GZ hat mit ihnen gesprochen.
Was ist eigentlich mit den Kindern?
Die Gründe, aus denen Menschen einsam sterben, sind vielfältig, aber nicht immer zu ergründen. Bei Gerda Müller war es vielleicht das gesegnete Alter: Mit 93 sind die Freunde und Verwandten schon lange tot, auch der Ehemann war schon vor Jahrzehnten gestorben, Kinder hatte das Paar nicht.
Stirbt ein Mensch in einem Seniorenheim, ist die Sache vergleichsweise einfach: Der Bestatter holt sie ab, ein paar Informationen gibt es schon vor Ort. Bei Gerda Müller war schnell klar: Die Dame hatte niemanden mehr. Aber Pfarrerin Petra Rau und Christian Tuitje vom Bestattungsinstitut Sievers kennen auch andere, noch traurigere Fälle. Verstorbene, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben.
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Dann sucht die Stadtverwaltung nach Angehörigen – nach Kindern oder Eltern, die gesetzlich verpflichtet wären, sich zu kümmern und die Trauerfeier zu bezahlen. Doch oft bleibt die Suche ergebnislos, dann bezahlt die Stadt die Beerdigung.

Die Tobias-Gemeinschaft trägt die Urnen der Verstorbenen bis ans Grab. Foto: Schlegel
Wer der Heilige Tobias ist
Petra Rau und Diakon Hans-Peter Funhoff hatten dann vor zehn Jahren die Idee, eine Tobias-Gemeinschaft zu gründen. Der Heilige Tobias gilt als Patron der Totengräber. Von ihm wird erzählt: Obwohl er selbst verfolgt wurde und Not leiden musste, hat er Verstorbene begraben – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer religiösen Überzeugung, ihres Besitzes oder ihrer gesellschaftlichen Stellung.
Religion spielt keine Rolle
Auch wenn die Gemeinschaft kirchlich ist, „spielt Religion keine Rolle“, sagt Pfarrerin Rau. „Uns geht es um die Würde der Verabschiedung.“ Viermal im Jahr gestaltet die gut zwei Dutzend Mitglieder der Trauerfeiern für Menschen, die ihnen völlig fremd sind.
Auf den Stelen, von denen es mittlerweile zwei Stück gibt, sind mittlerweile rund 250 Namen vermerkt. Foto: Schlegel
Aber warum gestalten die Tobias-Geschwister überhaupt Trauerfeiern für wildfremde Menschen? Wer geht schon gern zu Trauerfeiern? „Da ist auch Überzeugung dabei“, sagt Petra Rau. Zudem spiele ein hoher Gemeinschaftssinn und eine hohe mitfühlende Art eine Rolle. „Die Tobias-Geschwister interessieren sich für diese einmaligen Personen“, so die Pfarrerin.
Eine Frage der Würde
Und, ja: „Wir gehen gern zu Trauerfeiern“, gerade weil sie einen so tiefen Sinn haben. „Es gehört zur Würde dazu, Aufmerksamkeit zu erfahren“. Auch im Tod. Gerade im Tod. „Würde“ – ein Wort, das im Gespräch mit Petra Rau und Christian Tuitje immer wieder fällt.
Die Tobias-Trauerfeiern unterscheiden sich nicht von herkömmlichen: Musik, eine Trauerrede, Gesang und Schmuck. Die Bestatter gestalten die Kapelle natürlich nicht so individuell wie bei Verstorbenen, deren Verwandte im Vorfeld Wünsche äußern. Aber es soll auch nicht kalt und nüchtern sein.
Wie die Trauerrede verfasst wird
Und wie ist das für den Pfarrer oder die Pfarrerin eine Trauerrede für einen Menschen zu halten, von dem sie nichts wissen außer Geburtsdatum und Todestag? Es sei durchaus eine Herausforderung, aber allein anhand der Lebensspanne eines Verstorbenen könne man sich ein Bild machen. Gerda Müller zum Beispiel, geboren 1932, ist in Kriegszeiten aufgewachsen, hat also Leid und Entbehrung erlebt, den Wiederaufbau eines ganzen Landes, Wirtschaftswunder, vielleicht auch Wohlstand, eine Ehe. Wohingegen ein 59-jähriger Verstorbener in ganz anderen Lebensumständen aufgewachsen ist.
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DIE TOBIAS-GEMEINSCHAFT
Die Tobias-Gemeinschaft hat ihre Heimstatt in der Propstei Bad Harzburg unter dem Gemeindehausdach der Luthergemeinde, ist aber nicht auf die Kernstadt und ihre Einwohner beschränkt. Allerdings ist ein Bestattungsfeld, das für „Tobias-Fälle“ zur Verfügung steht, nur auf dem Bad Harzburger Zentralfriedhof vorhanden. Dort steht mittlerweile eine zweite Stele, weil die erste bereits kein Platz für neue Namenstafeln mehr geboten hat. Vier Trauerfeiern sind für das Jahr terminiert, die nächste für den 13. November um 13 Uhr. Das nächste Treffen der Gemeinschaft findet am Dienstag, 30. September, um 16 Uhr im Haus der Kirche statt, neue Ehrenamtliche oder auch einfach erst einmal nur Interessierte sind willkommen. Die Gemeinschaft beschäftigt sich auch außerhalb der Trauerfeiern mit der Thematik, beispielsweise mit Fortbildungen oder Vorträgen und Ausflügen rund um die Bestattungskultur. Informationen rund um die Gemeinschaft gibt es auch im Internet unter www.propstei-badharzburg.de unter dem Schlagwort „Hilfe und Seelsorge“.
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