Nach 98 Jahren: Vienenburger Tankstelle Schnevoigt in neuen Händen
Gaby und Rainer Schnevoigt und Nachfolger Steven Haßdorf (v. li.) kennen das Vienenburger Tankstellengeschäft. Foto: Roß
Seit 98 Jahren führt die Familie Schnevoigt ihre Vienenburger Tankstelle. Zum Jahresende endet diese Ära – ein Stück Ortsgeschichte geht damit. Doch es gibt Perspektiven.

Die Star-Tankstelle an der Goslarer Straße geht ab Januar in neue Hände über. Foto: Roß
Genau genommen sind es 98.
Der Anfang: Eine Zapfsäule und eine Klingel
1927 übernimmt Stellmachermeister Gustav Schnevoigt, Jahrgang 1898, eine Tankstelle vom Landmaschinenmeister Kramme an der Kreuzung Goslarer Straße, Wiedelaher Straße und Kaiserstraße – genau dort, wo heute die „Eis-Ecke“ süße Erfrischungen anbietet.
Stellmachermeister Gustav Schnevoigt übernimmt 1927 die Aral-Tankstelle an der Goslarer Straße, damals noch am Standort der heutigen "Eis-Ecke". Foto: Privat
Übergabe zum Jahresende
Zum Ende des Jahres 2025 gibt sein Enkel den Familienbetrieb in neue Hände. Zwei Jahre fehlen zum großen Jubiläum, zum 100. Geburtstag der Vienenburger Tankstelle Schnevoigt. „Es hat jetzt einfach gepasst“, sagt der 61-Jährige Rainer Schnevoigt.
Gustav Schnevoigt junior, Vater von Rainer, führt zusammen mit Frau Ruth die Familientankstelle von 1962 bis 1993. Foto: Privat
Personal bleibt – Schnevoigts gehen
Gaby und Rainer Schnevoigt wollen in der Übergangszeit als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Schon immer ein Familienbetrieb: Tankstellen-Unternehmer Gustav Schnevoigt senior Mitte der 1960er Jahre mit den Cousins Jörg Schnevoigt (Bruder von Rainer, Mitte), Bernd und Dieter Reinecke (v.l.). Foto: Privat
Ein Leben für die Familientankstelle
Fällt ihnen dieser Schritt schwer? „Ja“, platzt es gleichzeitig aus den Eheleuten heraus. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ihr komplettes Leben um die Familientankstelle gedreht.
Umbauten, Wachstum und neue Technik
1993 übernehmen Gaby und Rainer Schnevoigt den Betrieb, der 1957 an seinem heutigen Standort umgezogen ist. Als Service-Leistung wurde zunächst nur die Wagenwäsche per Hand angeboten.
Großer Umbau: 1997 wird noch unter Aral-Flagge eine flüssigkeitsdichte Fahrbahn eingebaut und das Dach erweitert. Foto: Privat
Von Aral zu Orlen und Star
2003 erfolgt dann im Zuge der Übernahme von Aral durch britischen Konzern BP und der Umstrukturierung des Filialnetzes die Umbenennung in Orlen – ein polnischer Mineralölkonzern. Aus Blau wird Rot. Fünf Jahre später gibt es die erneute Umfirmierung in Star, eine Orlen-Tochter. Unter dieser Flagge segeln die Schnevoigts bis heute.
Tankstellen im Wandel der Zeit
Die Entwicklung einer Familientankstelle im Autofahrerland Deutschland: Daraus könnte man fast ein fernsehreifes Sittengemälde zeichnen. 1939 bis 1951 bleibt der Betrieb kriegsbedingt und in den Wirren der Nachkriegszeit geschlossen. Ab 1958 gibt es Dieselkraftstoff im Angebot, seit 2008 eine LPG-Gassäule. Wie sich die Tankstellen wohl verändern werden, wenn immer mehr E-Autos auf den Straßen unterwegs sind?
Rainer Schnevoigt hat aus alten Abrechnungen die durchschnittlichen Spritpreise errechnet. 1931 waren es demnach 41 Pfennig pro Liter, 1962 schon 58 Pfennig – Tendenz steigend, wie wir wissen.
Preise früher und heute
„Heute ändert sich der Benzinpreis 30 Mal pro Tag – vollautomatisch“, erklärt Schnevoigt. Sein Vater habe die Preise in den 1980ern alle vier Wochen mal angepasst. Vielleicht auch deshalb so selten, weil er mit der Leiter zu den großen Preistafeln hinaufsteigen musste.
Konkurrenz direkt gegenüber
In den 1980ern habe es allein in Vienenburg noch sieben Tankstellen gegeben und weitere in den Nachbardörfern. Heutzutage gibt es im Harly-Stadtteil die besondere Konkurrenzsituation, dass die beiden einzigen Tankstellen im Ort direkt gegenüber liegen. Und fast jeder Vienenburger kennt wohl das Bild, wenn sich auf der einen Seite ein Stau bis weit auf die Goslarer Straße bildete, weil das Benzin einen Cent oder Pfennig günstiger war, als nebenan, wo niemand tanken wollte. Heute habe man als Betreiber keinen Einfluss mehr darauf, sagt der Tankstellen-Chef.
Werkstatt bleibt wichtig
„Wir haben ein gutes Geschäftsjahr hinter uns“, blickt Schnevoigt zurück. Der Betrieb funktioniere, gerade in Kombination mit der Werkstatt. Das bestätigt auch Nachfolger Haßdorf, der einen nahtlosen Übergang in der Tankstelle plant. Es sei auffällig, dass bei vielen das Geld derzeit nicht locker sitzt. „Die Menschen lassen auch ziemlich alte Autos reparieren“, berichtet der Kfz-Meister. Diesen Trend habe es vor einigen Jahren noch nicht gegeben.
Abschied mit Wehmut – und Weinfest bleibt
Der Eintritt in die Rente wird für das Ehepaar Schnevoigt ein harter Einschnitt, auch wenn sie anfangs noch beratend zur Seite stehen wollen. An dieser Stelle fragt man immer nach großen Plänen für den Ruhestand. „Wir wollen schauen, ob wir unser Haus umbauen und den Urlaub nachholen, den wir in der Vergangenheit nicht machen konnten. Ein Wohnmobil kaufen wir uns aber nicht“, bekräftigt Rainer Schnevoigt mit einem Lächeln. Und so einfach von der Bildfläche verschwinden wollen sie auch nicht. „Wir hatten hier immer ein tolles Betriebsklima“, sagt Gaby Schnevoigt. Seit 2022 gibt es im Juni ein Weinfest auf dem Tankstellengelände. Das klingt erst einmal nach einem ungewöhnlichen Veranstaltungsort. „Aber da ist jedes Mal halb Vienenburg auf den Beinen“, erklärt die Organisatorin. Das jährliche Weinfest solle es weiter geben und somit auch eine Verbindung der Familie Schnevoigt zur langjährigen Familientankstelle.
Copyright © 2025 Goslarsche Zeitung | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.