Okeraner Mordprozess: Vater beschuldigt schwerstbehinderte Tochter
Zehnter Verhandlungstag vor dem Braunschweiger Landgericht: der Angeklagte und sein Verteidiger im Verhandlungssaal. Foto: Klengel
Ein 50-jähriger Syrer ist angeklagt, er habe seine Frau mit Benzin übergossen. Am zehnten Verhandlungstag im Okeraner Mordprozess droht nun das Verfahren zu platzen
Oker. Der zehnte Verhandlungstag im Brandopferprozess von Oker war ursprünglich für die Plädoyers vorgesehen gewesen. Doch davon ist man im Braunschweiger Landgericht weit entfernt. Zuletzt stellte Verteidiger Matthias Jochmann mehrere Beweisanträge, deren Entscheidung noch ausstand. Vorsorglich wurden bereits weitere Termine im Januar bekanntgegeben. Am Mittwoch ließ Jochmann mit einem Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter, Dr. Ralf-Michael Polomski, geradezu eine Bombe fallen. Würde dieser Antrag Bestand haben, könnte der gesamte Prozess platzen.
Einem 50-jährigen Familienvater wird vorgeworfen, im Mai seine Frau mit Benzin übergossen und angezündet zu haben. Die Frau starb an schweren Verbrennungen. Die Anklage lautet daher: Mord aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam. Der aus Syrien geflohene Angeklagte bestreitet die Tat und behauptet, dass seine schwerst behinderte, bereits erwachsene Tochter die Tat verursacht haben soll.
Konnte die 19-Jährige ein Feuerzeug bedienen?
Die Ärztin der 19-Jährigen gab an, dass die junge Frau in ihrer Entwicklung auf dem Stand eines Kleinkindes verblieben und nicht zu planvollen Aktionen fähig sei. Nun geht es Matthias Jochmann darum zu beweisen, dass die motorischen Fertigkeiten der Tochter ausreichen, um ein Feuerzeug zu bedienen. Um das zu untermauern, wollte er weitere Zeugen hören. So etwa jene Betreuer, die die Tochter lange Zeit in die Förderschule brachten. Angeblich war das Mädchen in der Lage, ihre Sicherheitsgurte zu öffnen, woraus die Verteidigung schließt, dann müsse sie auch ein Feuerzeug bedienen können.
Anstoß nahm die Verteidigung daran, dass der Vorsitzende die rechtliche Betreuerin der 19-Jährigen kontaktierte. Es ging um deren Zustimmung dazu, dass man weitere Versuche starten wolle, um herauszufinden, ob die Tochter fähig sei, ein Feuerzeug zu bedienen. Dabei klärte Polomski die Betreuerin darüber auf, dass der Angeklagte seine Tochter für die Täterin halte und dass diese sich mit einem geglückten Anzünden eines Feuerzeuges selbst belasten könnte. Die Betreuerin stimmte einer erneuten Begutachtung der 19-Jährigen nicht zu.
Staatsanwalt erinnert an Fürsorgepflicht
Staatsanwalt Ulrich Weiland hielt den Befangenheitsantrag zum einen für nicht zulässig, da er verspätet einging. Des Weiteren erachtete er ihn auch für nicht begründet. Der Vorsitzende habe eine Fürsorgepflicht, die sich auch auf die Tochter erstrecke. Die Betreuerin zu informieren, sei nach Ansicht des Staatsanwaltes geboten gewesen. Zwar wäre die Tochter, hätte sie die Tat wirklich begangen, vermutlich schuldunfähig, doch sei dies bislang nicht formell festgestellt. Die Betreuerin sei verpflichtet, die strafprozesslichen Rechte des Mädchens im Blick zu behalten.
Weiland sagte zudem, er halte den Umstand, ob das behinderte Mädchen ein Feuerzeug bedienen könne, für unerheblich. Gemäß der Aussage des Brandsachverständigen habe das Geschehen aus einer Folge von planvollen Einzelhandlungen bestanden. Es sei nicht vorstellbar, dass die Tochter einen so komplexen Vorgang hätte durchführen können. Dem schloss sich die Nebenklagevertreterin Stefanie Artelt-Tiede an.
„Nur ein kleines Steinchen“
Selbst Jochmann gab zu, es sei ein weiter Weg vom Anzünden eines Feuerzeuges bis zur Kausalkette, von der man hier ausgehe. „Es ist nur ein kleines Steinchen“, sagte der Anwalt. Er blieb dabei, dass der Vorsitzende mit seinem rechtlichen Hinweis gegenüber der Betreuerin zu weit ging, was nun nachteilig für seinen Mandanten sei.
Wie geht es weiter? Die Prüfung eines Befangenheitsantrages erfolge in zwei Schritten, erklärte Ulrich Weiland gegenüber der GZ. Die Zulässigkeit des Antrages werde von der 9. Strafkammer selbst geprüft. Wird die Zulässigkeit festgestellt, dann müsse eine andere Kammer über die Begründetheit urteilen. Sieht diese Strafkammer den Antrag als begründet an, dann platzt der Prozess. Er würde später vor einer anderen Strafkammer neu aufgerollt werden müssen. In der Zwischenzeit würde sich die Frage nach der Haftfortdauer stellen.
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