Nach Havarie vor einem Jahr: Wie es in der Zuckerfabrik weitergeht

Vor dem alten Extraktionsturm der Zuckerfabrik Schladen entsteht das Fundament für die neue Anlage. Foto: Gereke
Dieser Knall erschütterte vor einem Jahr den Nordharz: Die Havarie der Zuckerfabrik beschäftigte nicht nur Rübenanbauer, Transporteure und Zuckerkocher, sie bewegte viele. Auf einem Infoabend sprach der Werkleiter jetzt über die Zukunft des Werks.
Schladen. Es ist die Kampagne 1 nach dem großen Knall, der beschreibt den Zeitpunkt, als es im Extraktionsturm zu einem Schaden kam, der die Zuckerfabrik vor einem Jahr wochenlang lahm legte. Was damals im Werk passierte, bewegte viele Menschen – nicht nur Schladener. Wie es um die Fabrik steht, unter anderem darum ging es auf der traditionellen Informationsveranstaltung von Gemeinde und Nordzucker AG. Vor allem Zukunftsfragen standen im Mittelpunkt.
Welche Bedeutung die Zuckerfabrik für die Schladener hat, das bekam der neue Werkleiter Ulrich Overwin gleich zu Beginn zu hören. „Wo ist denn euer Wahrzeichen?“, fragte eine Besucherin – und meinte die Dampfsäule, die sonst aus dem Schornstein aufsteigt. In den vergangenen Tagen war die Schladener Fahne, die von Herbst kündet, nicht zu sehen. „Wir wissen gar nicht mehr, aus welcher Richtung der Wind kommt“, ergänzte die Frau. Damit die Dampfsäule aufsteigen kann, je kälter es ist, desto beeindruckender, muss die Trocknung laufen. „Das tut sie derzeit aber nicht, weil wir aktuell keine Futterpellets herstellen“, erklärte Overwin. Ein Anwohner berichtete in diesem Zusammenhang von Rußpartikeln aus der Trocknung, die sich auf Auto oder Wäsche bei bestimmten Windlagen fänden. Overwin räumte ein, dass das bei einer Hochtemperaturtrocknung möglich sei, sagte aber auch, dass das nicht das Ziel sei: „Wir haben Emissionswerte zu erfüllen und wollen sie sogar unterbieten.“

Gleichmäßig muss der Beton verteilt werden. Die Fundamentarbeiten sollen noch im September enden. Foto: Gereke
Im vergangenen Jahr war die Dampfsäule auch nicht zu sehen – und das wochenlang. „Da hörte man einen Knall und die Fahne ist weg“, erinnerte sich eine Bürgerin. Es waren die Folgen des Schadens im Extraktionsturm, der die ganze Fabrik lahm legte. „Es war nicht nur ein Einschlag im Turm, es war für Sie als Schladener auch ein emotionaler Einschlag, als plötzlich die Zuckerfabrik nicht mehr lief“, sagte Overwin. Dem Extraktionsturm galt bei der Instandsetzung zwischen den Kampagnen wegen der Vorgeschichte auch ein Hauptaugenmerk. Um künftig schneller in einem Schadensfall reagieren zu können, wird das Bauteil noch mit Sensoren ausgestattet. „Wir wollen in den Turm hineinhören können“, sagte Overwin.

Insgesamt rollen rund 60 Betonmischer an, um den ersten Teil des Fundaments zu gießen. Die weiße Dampffahne steht nicht über der Fabrik, weil die Trocknung nicht in Betrieb ist. Foto: Gereke
Es soll die letzte Kampagne für den alten Extraktionsturm sein, denn die Bauarbeiten für den Nachfolger haben bereits begonnen. Zuvor gab es offenbar auch Unkenrufe: „Ein neuer Extraktionsturm für Schladen eine Luftnummer? Nein, war es nicht“, betonte der Werkleiter und unterstrich noch einmal, welch positive Nachricht das für den Standort Schladen sei. Rund 20 Millionen Euro investiert Nordzucker mit dem Neubau.
Betonmischer rollen in Zuckerfabrik an
Der entsteht direkt neben dem alten Bauwerk. Erfolgt ist bereits die Anpassung des Kanalsystems. Ziel ist, in ein paar Tagen die Fundamentarbeiten abzuschließen – am Donnerstag rollten Betonmischer um Betonmischer an – insgesamt knapp 60. Rund 480 Kubikmeter Beton flossen in die Grube mit dem Baustahl. Nach einer Aushärtungsphase wird der Rest des Fundaments gegossen. Angesichts der zusätzlichen Transporte ins Werk – bis zu 600 Lkw steuern während der Kampagne Schladen ohnehin binnen 24 Stunden außer sonntags an – bittet Overwin um Verständnis. „Wir sichern den Standort Schladen, wir sichern Arbeitsplätze“, unterstrich er.

Auf dieser Grundfläche wird der neue Extraktionsturm der Zuckerfabrik Schladen entstehen. Foto: Gereke
Während der weiteren Kampagne ruhen dann die Bauarbeiten, um direkt im Anschluss wieder loszulegen, damit zum Beginn der Kampagne 2026 der Turm in Betrieb gehen kann. Um ausreichend Zeit für die Bauarbeiten zu haben, soll die diesjährige Kampagne in Schladen auch bereits Mitte Januar enden. Im Januar soll dann auch die Montage des Turms starten, die Fertigstellung ist für August 2026 geplant. Die alte Anlage hatte einen Durchmesser von neuneinhalb Metern, der neue Turm wird auf zwölf Meter im Durchmesser kommen. Die Höhe wird bei beiden etwa 21 Meter betragen. Wegen des etwas größeren Durchmessers wird der neue Turm auch eine höhere Tonnageleistung pro Tag haben, er wird effizienter sein, erklärte Overwin. Dadurch wird nicht die Verarbeitungsleistung der Fabrik insgesamt steigen, aber „der Energieverbrauch pro erzeugter Menge sinkt und wir können unsere ‚Go-Green‘-Ziele für 2027 ein Jahr früher erreichen.“ Das „Go-Green“-Fernziel des Unternehmens ist es, dass bis 2050 die Produktion CO₂-neutral erfolgt.

Die Roder holen aktuell die Rüben aus teils knüppelharten Böden. Foto: Gereke
Der alte Turm bleibt zunächst stehen, er wird aber nicht mehr Teil der Produktion sein. „Es wäre die Doppelung eines nicht unerheblichen Teils der Infrastruktur, ein Parallelbetrieb ist aber auch nicht möglich, da die Kapazität hinter dem Turm das gar nicht hergeben würde“, erläuterte der Werkleiter. Die Frage, ob es Alternativen zu einem Extraktionsturm gebe, verneinte er. Es sei das effektivste und effizienteste Verfahren.
Probleme mit der Orientierung
Ein positives Fazit zog er in Sachen Geruchsbelästigung. Gerüche, die aus den Absetzteichen gen Schladen hätten dringen können, konnten fast komplett unterbunden werden. Gründe dafür: Grundsätzlich war die Menge Erde in den Teichen geringer als in den Vorjahren, was unter anderem an sauberen Rüben der Kampagne 2024 lag. Auch die Organik-Konzentration im Wasser – wenn bei steigenden Temperaturen die Organik in Gang kommt, entstehen die Gerüche – lag 30 Prozent niedriger. Erfolgreich habe funktioniert, die Abwassermenge zu begrenzen und sie entsprechend zu reinigen.

Landwirtschaftliches Ballett: Zwei Rübenroder begegnen sich auf dem Schlag bei der Ernte. Foto: Gereke
Ein Anwohner merkte an, dass immer wieder Lkw, die zur Zuckerfabrik wollen, noch in Schladens Ortsmitte landen – vor allem zum Start der Bio-Rübenverarbeitung. Der Grund: Als Adresse sei in einigen Navigationssystemen immer noch die Bahnhofstraße als Anschrift hinterlegt. Nordzucker arbeite daran, dass möglichst über all die Straße „Zur Zuckerfabrik“ angegeben werde. Zudem seien neuralgische Punkte bei der Ausschilderung des Werks aufgefallen, die abgestellt werden sollen. Bio-Rüben waren auch ein Stichwort für Overwin – er ging kurz auf den Kampagnestart ein. Er sprach von durchschnittlichen Rübenerträgen bei sehr hohen Zuckergehalten. Da mache sich bemerkbar, dass ein Wachstumsschub im Sommer aufgrund des fehlenden Regens ausblieb. Fürs Wochenende sei die Umstellung auf die Verarbeitung von Rüben aus konventionellem Anbau vorgesehen.

Die Rodegemeinschaft Nordharz verfügt über zwei neue Rübenroder – auf diesem großen Schlag bei Wöltingerode sind auf gleich drei Fahrzeuge zeitgleich im Einsatz. Foto: Gereke
Auch das Thema Biogas sprach ein Zuhörer an. Und sollte das für die Schladener Zuckerfabrik aktuell werden, dann würde das sozusagen eine Revolution bedeuten. Eine Überlegung für die kommenden Jahre ist, Pressschnitzel nicht mehr zu Viehfutter-Pellets zu verarbeiten, sondern als Gärmittel in eine Biogasanlage zu geben. „Wenn wir über eine Anlage verfügen, benötigen wir keine Trocknung mehr“, erläuterte Overwin. Auf dem Werksgelände solle aber keine Anlage entstehen, Nordzucker führe zu diesem Thema Gespräche. Keine Trocknung bedeutet auch weniger Energieverbrauch – und keine Dampfsäule. Das Schladener Wahrzeichen würde der Vergangenheit angehören – und der Schornstein nur noch ein Ausrufezeichen in Schladens Silhouette bilden.
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