Wie sieht die Kirche der Zukunft mit der Hälfte ihrer Häuser aus?
Dr. Jürgen Franz Selke-Witzel (2.v.li.) und Andrea Bock führen die Projektgruppe „Zukunftsräume“ an, in der auch Andreas Pleyer (li.) und Pfarrer Thomas Mogge (re.) mitarbeiten. Foto: Kempfer
Seit 2024 beteiligt sich die Pfarrei St. Jakobus am Pastoral- und Immobilienprozess „Zukunftsräume“, den alle Pfarreien im Bistum Hildesheim durchlaufen müssen. Am 1. März wird auf den Höfen die Bestandsaufnahme diskutiert und um Ideen gebeten.
Goslar. „Keine Angst vor der Zukunft“, das könnte das Credo von Dr. Jürgen Franz Selke-Witzel sein, Pastoralreferent für das Dekanat Goslar-Salzgitter und Leiter der Projektgruppe, die den Pastoral- und Immobilienprozess in der Pfarrei St. Jakobus der Ältere eingeleitet hat. Dazu gehören die Kirchorte St. Benno in Jürgenohl, St. Konrad in Oker und St. Georg in Grauhof sowie die Ortschaften Hahndorf, Immenrode, Jerstedt, Ohlhof und Weddingen.
Angesichts des Gläubigenschwunds (gab es 2004 noch 6481 Gemeindemitglieder in St. Jakobus, sind es mit Stand 2023 noch 4316) wird sich das Bistum in Zukunft nur noch um den Erhalt von 50 Prozent ihrer Gebäude kümmern können. Von der anderen Hälfte will es sich trennen, teilte der Pastoralreferent mit. Das ist die Grundlage für den angeschobenen Immobilienprozess.
Dabei geht es nicht nur um Mauern und Steine, denn diese bilden Orte, an denen kirchliches Leben stattfindet. Dass es dieses Leben weiterhin geben wird, lesen die Fachleute aus den auf niedrigerem Niveau stabilen Geburten- und Erstkommunionszahlen der vergangenen zehn Jahre ab. Was also ist erhaltenswert, was nicht? Kann Gemeindeleben ganz neu gedacht werden? Fragen, mit denen sich die Projektgruppe befasst, in der neben dem Wolfenbütteler Dr. Selke-Witzel auch Andrea Bock aus Immenrode, Caritas-Geschäftsführer Andreas Pleyer und der leitende Pfarrer der Katholischen Kirche Nordharz, Thomas Mooge, mitarbeiten.
Gespräch gesucht
Die Gruppe steht am Ende von „Phase II“, einer Bestandsaufnahme der kirchlichen Infrastruktur, und hat ihre Ergebnisse zur Präsentation aufbereitet – jetzt will sie mit den Menschen in den Gemeinden ins Gespräch kommen, sie am Zukunftsprozess beteiligen. Dazu wird heute um 15 Uhr auf die Goslarschen Höfe eingeladen („Hinterhof“).
Im Pressegespräch erläuterten die Mitglieder der Projektgruppe Hintergründe und Gedanken. „Zukunftsräume“ nennt sich das Projekt, das die pastorale und personelle Situation ebenfalls in den Blick nimmt; dem Immobilienbereich wird seitens des Bistums eine besondere Rolle beigemessen, es könne als „Türöffner innerhalb eines umfassenden Veränderungsprozesses“ dienen, so die Hoffnung. Warum fällt es so schwer, sich von Gebäuden zu trennen? „Weil Erinnerungen daran hängen“, sagt Pfarrer Thomas Mogge. „Wir haben alle die Hochphase von Kirche erlebt, in den 70er und 80er Jahren, das war Bombe!“, sagt der Pfarrer. Beispiel St. Benno, in den 60er Jahren als Standortkirche für den Bundesgrenzschutz gebaut; mit 400 Plätzen, großem Pfarr- und großem Gemeindehaus. An der Vergangenheit zu messen, was in Zukunft sein müsste, sei ein Irrweg, sagt Mogge. „Da müssen wir nicht mehr hin und da kommen wir auch nicht mehr hin.“
Bewertung von Veränderung
Ob der Prozess positiv betrachtet wird, hängt nicht zuletzt an der individuellen Bewertung von „Veränderung“: Gefahr oder Chance? Die Position von Dr. Selke-Witzel ist klar: „Leben ist Veränderung“, sagt er und betont: „Es geht nicht darum, dass wir uns zurückziehen.“ Liegt im Verkleinern und Ausmisten, Entschlacken, nicht auch eine positive Kraft? Mitstreiterin Andrea Bock ist überzeugt davon. Der Prozess eröffne eine „andere Sicht auf unsere eigenen Stärken“, betont Pfarrer Mogge und wendet sich gegen das Gefühl, es gehe ständig bergab. Dieser Blick sei sehr einseitig, denn es gebe viel kirchliches Leben an Orten, die zunächst gar nicht mit Kirche in Zusammenhang gebracht würden, zum Beispiel in den katholischen Kitas: „Wir müssen sehen, dass das auch Kirche ist!“, fordert Mogge. In dem Zusammenhang verweist Pleyer unter anderem auf die werteorientierte Worthschule oder die Goslarschen Höfe; Dr. Selke-Witzel steuert den interreligiösen Abrahamskreis in Oker als wichtiges Beispiel für gesellschaftlichen Zusammenhalt im Stadtteil bei. Der Pastoralreferent fordert „Offenheit für neue Gedanken“ und sagt: „Innovation ist möglich!“
„Positiver Drive“
Pfarrer Mogge pflichtet ihm bei. „Viele halten die Kirche für tot. Das ist sie nicht.“ Er sieht im angestoßenen Prozess den positiven Drive: „Wir können unsere Veränderungen mitgestalten.“ Auf die Bestandsaufnahme (Phase II) soll die Entwicklung neuer Perspektiven folgen (Phase III), Voraussetzung für eine Unterstützung durch das Bistum, das in gute Ideen für die Zukunft auch investieren will. Der Pfarrgemeinderat entscheidet am Ende über das zukünftige Pastoral- und Immobilienkonzept (Phase IV), das dann in einer letzten Phase V umgesetzt werden soll.
Engagement gefragt
Auch auf der personellen Ebene wird kein Weg am Mitgestalten vorbeigehen. Perspektivisch muss die katholische Kirche (das ist bei der evangelischen nicht anders) mit immer weniger hauptamtlichem Personal auskommen. Dann werde noch mehr bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement gefragt sein, sagt Dr. Selke-Witzel.
Die Teilnahme an dem in fünf Phasen aufgeteilten Zukunftsprojekt ist für alle Pfarreien bindend. St. Jakobus macht im pastoralen Raum der Katholischen Kirche Nordharz den Anfang. Liebfrauen in Bad Harzburg wird demnächst ebenfalls in den Prozess eintreten, fehlt als dritte Pfarrei noch St. Mariä Verkündigung in Liebenburg.