Wohin fließen die Milliarden, Herr Südekum?
Jens Südekum stammt aus Goslar und ist Professor an der Heinrich-heine-Universität in Düsseldorf. Südekum zählt zu den renommiertesten Volkswirten in Deutschland. Foto: Ivo Mayr
Der gebürtige Goslarer Jens Südekum ist einer von vier renommierten Wirtschaftswissenschaftlern, die das Konzept der künftigen Bundesregierung vorbereitet haben. Was das Infrastrukturpaket bringt, erklärt Südekum im GZ-Interview.
Goslar/Düsseldorf. 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in Infrastrukturprojekte haben Bundestag und Bundesrat der schwarz-roten Koalition genehmigt. Vier führende deutsche Wirtschaftswissenschaftler waren daran als Impulsgeber beteiligt. Einer davon ist der gebürtige Goslarer Jens Südekum, Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Südekum ist SPD-Mitglied, war aber beispielsweise auch im Wissenschaftlichen Beirat des früheren Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU). Im ersten Teil des großen GZ-Interviews erklärt Südekum, was das Infrastrukturpaket bringt, woher das Geld kommt und wohin es fließen soll. Im zweiten Teil des Interviews geht es kommende Woche um Arbeitsmarkt, Jobs, Steuern und die Frage, woher die Bundesregierung überhaupt das nötige Geld bekommt.
Herr Professor Südekum, welchen Anteil haben Sie an dem milliardenschweren Infrastrukturpaket der neuen Bundesregierung? Sie waren ja im Hintergrund daran beteiligt.
Das Handelsblatt hat dies ja sehr genau aufgedröselt. Die Sondierungen zwischen CDU und SPD nach der Bundestagswahl begannen am 28. Februar. Und am 27. Februar wurde eine Runde von vier Ökonomen zusammengerufen – auf Initiative des saarländischen Finanzministers Jakob von Weizsäcker (SPD).
Warum?
Es lag in der Luft, dass beim Thema Schuldenbremse etwas passieren muss. Es ging finanzpolitisch nicht mehr anders. Außerdem war nach der Wahl klar, dass es im neuen Bundestag keine Zweidrittelmehrheit für dieses Vorhaben geben würde, weil AfD und Linke eine Sperrminorität haben. Es musste also etwas passieren, aber es gab zu diesem Zeitpunkt noch keine Struktur dafür. Somit kam der Gedanke, dass Ökonomen – lagerübergreifend – etwas vorlegen. Die Runde auf Initiative von Jakob von Weizsäcker kam dann noch am Abend des 27. Februar digital zusammen, und dabei haben wir dann relativ schnell einen Vorschlag entwickelt. Der ist dann in der Nacht in beide Richtungen der Sondierer von CDU und SPD gegangen. Und wie wir dann gehört haben, hatte der Vorschlag auch zu Beginn der Gespräche am 28. Februar einen maßgeblichen Einfluss.
Welche drei Ökonomen waren außer Ihnen noch mit von der Partie?
Es waren Clemens Fuest, der Chef des ifo-Instituts in München, Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, und Moritz Schularick, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel.
Für Laien verständlich erklärt: Was hat sich bei der Schuldenbremse in der politischen Praxis verändert?
Wir haben zwei Elemente. Das eine ist der Bereich der Verteidigung. Da wurde entschieden, dass alle Ausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr aus dem Kernhaushalt des Bundes aus Steuermitteln bezahlt werden müssen. Alles, was darüber hinausgeht, darf aus Krediten finanziert werden. Dabei geht es nicht nur um Militärausgaben im engeren Sinne, sondern um den sogenannten erweiterten Sicherheitsbegriff. Dazu zählen auch Geheimdienste, Heimatschutz, aber auch Hilfen für die Ukraine. Nun sind die Ausgaben oberhalb dieser Marke von einem Prozent tatsächlich auch nach oben offen. Das hat ja auch der baldige Kanzler Friedrich Merz (CDU) gesagt: „Whatever it takes.“ Es gibt also keine Grenze für Verteidigungsausgaben.
Wie kommt die schwarz-rote Koalition auf dieses eine Prozent vom Bruttoinlandsprodukt? Eigentlich waren doch für die Nato-Staaten jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Verteidigungsausgaben vereinbart.
Die Nato-Quote von zwei Prozent hat Deutschland ja zuletzt schon erfüllt. Durch die Änderung bei der Schuldenbremse werden wir dies locker einhalten. Zudem gibt es längst die Diskussion, dass auch zwei Prozent vom BIP eigentlich gar nicht ausreichen, sondern eher drei oder dreieinhalb Prozent erforderlich wären, um uns aufzustellen gegen mögliche Angriffe von Wladimir Putin.
Wenn wir dies mal konkret an Zahlen festmachen: Deutschland hat ein Bruttoinlandsprodukt von rund vier Billionen Euro, also geht es bei zwei Prozent um mindestens 80 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben jährlich. Stimmt das so?
Das Inlandsprodukt ist sogar mittlerweile bei 4,3 Billionen Euro. Das würde in der aktuellen Rechnung bedeuten: 43 Milliarden Euro müssen für Verteidigung aus dem laufenden Kernhaushalt kommen, für den die Schuldenbremse weiterhin gilt. Alles darüber hinaus kann über Kredite finanziert werden.
Und das zweite Element?
Das umfasst die zivile Infrastruktur. Hier gibt es die Lösung, dass ein Sondervermögen – ein etwas irreführender Begriff, weil es ja um Kreditfinanzierung geht – von 500 Milliarden Euro als zusätzliche Investitionen ausgeben darf. Das gilt für einen Zeitrahmen von zwölf Jahren. Außerdem ist im Grundgesetz sichergestellt, dass das Geld, das bisher im Bundeshaushalt für Investitionen verankert war, auch weiterhin aus Steuermitteln bezahlt wird.
Über welche Summen reden wir?
Das waren bei den Investitionen im Kernhaushalt des Bundes jährlich etwa zehn Prozent des Haushaltsvolumens, also etwa 50 Milliarden Euro. Wenn die Bundesregierung nun mehr investieren will, dann darf sie dies über das Sondervermögen.
Es gibt etliche Kritiker, die sagen, es sei kaum zu überprüfen, ob es sich um zusätzliche Investitionen handelt. Das Sondervermögen solle eher dazu dienen, manches Wahlgeschenk von Union und SPD zu finanzieren – beispielsweise die erweiterte Mütterrente. Wie beurteilen Sie das, und wie lässt es sich kontrollieren?
Dadurch, dass zehn Prozent für Investitionen ja im Kernhaushalt abgebildet sein müssen, wird es erheblich schwieriger, diesen berühmten „Verschiebebahnhof“ zu spielen. Dafür haben übrigens die Grünen bei den Verhandlungen gesorgt. Die Stimmen der Grünen waren ja für die Grundgesetzänderung erforderlich, und die Grünen haben gesagt: Wir geben unsere Stimmen nicht her, wenn Schwarz-Rot das Geld nimmt und anschließend davon die Mütterrente bezahlt. Im Investitionsbereich ist ein Verschiebebahnhof also fast ausgeschlossen.
Und beim Verteidigungsetat?
Hier ist es ein bisschen Verschiebebahnhof, weil alle Ausgaben, die oberhalb von einem Prozent des BIP liegen, für den erweiterten Sicherheitsbegriff aus Krediten finanziert werden können. Im alten Kernhaushalt waren es etwa zwei Prozent des BIP. Das heißt, da hat man jetzt Luft bekommen in einer Größenordnung von rund 40 Milliarden Euro. Aber dieses Geld brauchte man, weil es wegen der schlechten Konjunkturlage ein akutes Loch im Bundeshaushalt gab. Mit dem neuen Spielraum kann dieses Loch gestopft werden. Aber für neue Projekte, etwa die erweiterte Mütterrente, Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, höhere Pendlerpauschale und so weiter, ist akut gar kein Geld da. Auch nicht für Steuersenkungen. Und genau deshalb heißt es im Koalitionsvertrag, dass dies alles unter Finanzierungsvorbehalt steht. Das kann erst dann kommen, wenn das Wachstum und damit die Steuereinnahmen anspringen, wie wir alle hoffen. Aber ich sehe nicht, wie man das sofort umsetzen könnte – und dafür lässt sich auch das Sondervermögen nicht zweckentfremden. Das ist ausgeschlossen.
Welche volkswirtschaftlichen Effekte werden das Sondervermögen für Infrastruktur und die höheren Verteidigungsausgaben haben?
Wenn man sich die mittlerweile vielen Prognosen von Banken und Wirtschaftsforschungsinstituten anschaut, die es mittlerweile gibt, wird das spürbare Auswirkungen auf das Wachstum haben. Nach der neuesten Prognose für 2026 werden jetzt 1,6 Prozent Wachstum erwartet. Beispielsweise hat die große Bank Goldman Sachs ihre Prognose für Deutschland um 0,9 Prozentpunkte nach oben gesetzt. Eine entscheidende Frage ist, wie schnell das Geld aus diesem Sondervermögen für Infrastruktur investiert werden kann. Je schneller quasi das Geld auf die Straße kommt und je zielgenauer, desto eher werden die Wachstumseffekte spürbar sein.
Wo soll und muss die Bundesregierung investieren?
Es geht um deutlich höhere Ausgaben für Infrastruktur, die nichts mit Militär zu tun hat – also die berühmten Straßen, Brücken, Schienen, öffentliche Gebäude und vieles mehr. Aber auch die Kommunen bekommen einen Teil davon. Also wird hoffentlich auch Geld davon nach Goslar fließen. Die insgesamt 500 Milliarden Euro sind ja aufgeteilt: 100 Milliarden Euro gehen in den Klimatransformationsfonds, 100 Milliarden Euro gehen über die Länder an die Kommunen, und 300 Milliarden Euro liegen beim Bund. Diese 300 Milliarden kann der Bund dort investieren, wo er auch zuständig ist – vor allem für das Autobahnnetz, viele Energienetze und die Bahn. Das werden hier die drei wesentlichen Themen sein.
Und bei den Kommunen?
Da wird es spannend, und das ist ja auch für Stadt und Landkreis Goslar am interessantesten: Man muss jetzt hoffen, dass diese 100 Milliarden Euro, die erst mal an die Bundesländer gehen, von dort auch wirklich an die Kommunen durchgereicht werden. Schließlich sind wir bei den Infrastrukturproblemen, die wir in Deutschland haben, ganz oft in Bereichen, für die Kommunen zuständig sind. Also etwa die Schulen, wo die Schultoiletten
...... noch so riechen wie vor 40 Jahren ...
Ja, das sind alles kommunale Themen. Und genau hier müssen wir sehr genau hinschauen, dass die Länderfinanzminister das Geld nicht nur an die Kommunen durchreichen, sondern auch helfen, dass die Städte und Gemeinden das Geld auch ausgeben können. Denn gerade kleinere Kommunen haben oft akute Probleme: Planungsämter sind oft unterbesetzt. In dieser Situation ist eine Schulsanierung ein Riesenprojekt – und geht nicht mal eben nebenbei.
Wie können die Länder da helfen?
Da gibt es gute Vorschläge, beispielsweise Unternehmensberatungen des öffentlichen Dienstes, die wirklich Erfahrung haben. Hier könnten beispielsweise viele Schritte in der Planung schon vorbereitet werden. Das werden die Aufgaben der kommenden Monate sein.
Zum einen gibt es Personalprobleme, zum anderen aber auch viel Bürokratie und lange Genehmigungsverfahren, um Projekte zu verwirklichen. Was muss hier passieren?
Es ist sehr wichtig, neben dieses viele Geld auch ein Reformpaket zu stellen, das am Ende dafür sorgt, dass aus dem vielen Geld auch wirklich Wachstum wird. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen jetzt dramatisch beschleunigt werden. Dazu steht jetzt auch einiges im Koalitionsvertrag, also lange Kapitel über Bürokratieabbau und Beschleunigung von Verfahren. In diesem Bereich hatte übrigens auch die Ampel-Regierung ganz gut vorbereitet – beispielsweise bei Planung und Umsetzung der LNG-Terminals (Anm. d. Red.: Flüssiggas) in Norddeutschland. Gerade bei den Energienetzen hat es erhebliche Beschleunigung gegeben – unter dem Begriff „überragendes öffentliches Interesse“.
Ein Punkt dabei sind ja auch Einschränkungen im Verbandsklagerecht. Viele haben sich gewundert, warum ein solch kleiner Verein wie die Deutsche Umweltstiftung ein Verbandsklagerecht hat und vieles lahmlegen kann. Aber wer definiert „überragendes öffentliches Interesse“? Kann das auch die Goslarer Oberbürgermeisterin für kommunale Projekte?
Mit dem Begriff „überragendes öffentliches Interesse“ werden genau solche Einspruchsrechte reduziert. Nehmen wir mal den Fall, dass etwa eine besondere Krötenart ein ganzes Verfahren aufhält, dann kann über die Definition von überragendem öffentlichem Interesse der Staat oder die Kommune dem Artenschutz an anderer Stelle gerecht werden. Ob das auch die Goslarer Oberbürgermeisterin tun kann, kann ich schlecht sagen. Ich denke, hier muss Berlin die entsprechenden Weichen stellen.
Zur Person
Jens Südekum wurde 1975 in Goslar geboren und machte vor 30 Jahren sein Abitur am Ratsgymnasium. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Göttingen und Los Angeles, 2003 promovierte er in Göttingen. Nach Stationen an der Uni in Konstanz und der Uni in Mainz wurde er 2007 Professor für Mikroökonomie und Außenwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen. Seit 2024 lehrt Südekum an der Uni Düsseldorf als Professor für International Economics. Südekum gehört zu den Top-Volkswirten in Deutschland, ist in Beiräten aktiv und als Experte im Fernsehen und für Wirtschaftsredaktionen gefragt. Im Juni feiert Südekum 30 Jahre Abi am Ratsgymnasium und ist zu Gast bei der Abi-Verabschiedung in Goslar. jk
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