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„Neu Harz“ sieht die Region positiv

GZ Plus IconHeimat im Aufbruch: Ex-Buntenbocker widerspricht NDR-Film

Auf den ersten Blick ein abgestorbener Stamm, auf den zweiten zeigt sich, wie daraus etwas erwächst: ein Bild aus dem Buch "Neu Harz".

Auf den ersten Blick ein abgestorbener Stamm, auf den zweiten zeigt sich, wie daraus etwas erwächst: ein Bild aus dem Buch "Neu Harz". Foto: Lars Wiedemann

Nach dem umstrittenen NDR-Film, der den Harz im „Niedergang“ sieht, gibt es nun ein Buch, in dem der ehemalige Buntenbocker Christian Hille auf seine Heimat schaut. Er sieht anders auf die Region als der NDR und blickt auf eine Region im Aufbruch.

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Von Oliver Stade
Samstag, 24.05.2025, 04:00 Uhr

Harz. Befindet sich der Harz nun vor einem Abgrund, oder besteht doch Hoffnung? Nur drei Wochen nach der viel kritisierten und diskutierten NDR-Story „Heimat Harz: Wer stoppt den Niedergang?“ würdigen ein wuchtiger Bildband und eine Ausstellung am Rammelsberg in Goslar eine Region im Aufbruch. „Neu Harz“ nennen Autor und Fotograf ihr Werk und verstehen den Titel als Aufruf, positiv auf die Region zu blicken und sie mit guten Ideen zu entwickeln.

Noch immer wirkt indes der NDR-Beitrag nach, der viel Kritik hervorgerufen hat. Landrat Dr. Alexander Saipa, zugleich Vorstand des Harzer Tourismusverbands (HTV) in Goslar, fühlte sich herausgefordert, dem NDR-Intendanten einen bösen Brief zu schreiben, in dem er sich über eine „tendenziöse“ Berichterstattung beschwerte und eine Richtigstellung forderte.

Es gibt Problemecken

Bei aller Kritik an dem NDR-Beitrag auch unter vielen Lesern der Goslarschen Zeitung, die sich in Zuschriften zeigte: Es gibt ebenso Harzer, die die Region in dem 45-minütigem Fernsehbericht wiedererkennen. Sie erinnern daran, dass das, was der Autor Michael Höft zeigt, tatsächlich existiert. Die Problemecken in St. Andreasberg und das monströs wirkende Panoramic-Hotel in Bad Lauterberg, ein 16-stöckiges Hochhaus aus den 1970er Jahren, gibt es tatsächlich. Ebenso das leere Stadtzentrum von Herzberg und den Einwohnerschwund, den der NDR-Autor erwähnt.

Es finden sich sogar noch mehr solcher Hotel- beziehungsweise Apartment-Hochhäuser im Harz und weitere Orte, die vernachlässigt wirken und in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, im Landkreis Goslar ebenso wie im Harzkreis. Das liegt zum Beispiel daran, dass Investorengeld meist in Städte fließt, die bereits eine gute Entwicklung aufweisen, Orte mit gutem Umfeld. Während abgelegene Dörfer mit lückenhafter Infrastruktur lange Zeit in einem schlechten Zustand verharren. Aber vernachlässigte Viertel lassen sich sogar in Berlin, Hannover und selbst in Hamburg finden und filmen.

Dass der NDR-Mitarbeiter ausgerechnet in Wernigerode, einer Stadt mit imposantem Schloss, einzigartiger Schmalspurbahn, einer Fachhochschule und einem historischen Zentrum fragt, warum es im kleinen St. Andreasberg nicht so gut läuft wie eben in Wernigerode, das hat vermutlich nicht mit echtem Interesse an Erkenntnis zu tun. Und was er den Zuschauern demonstrieren will, wenn er außerhalb der Saison nachts durch eine Stadt wie St. Andreasberg spaziert, darüber lässt sich nur spekulieren.

Der Niedergang des Harzes? Hätte der Autor der NDR-Story berichtet, dass sich der Harz in einer guten Entwicklung befindet, weil die Tourismuszahlen von 2009 bis 2024 von 6,7 auf 8 Millionen gestiegen sind, aber es trotz eines allgemeinen Aufwärtstrends Orte gibt, die wie abgehängt wirken und die dringend Investitionen benötigen, dann wäre ein ausgewogener und dennoch kritischer Beitrag entstanden.

Viele Investitionen

Diese gute Entwicklung hätte der NDR-Journalist selbst mit einem Blick auf fraglose Schwachstellen recherchieren können. Der Tourismusverband etwa erstellt zurzeit eine Liste mit den Investitionen in die Region. Das Papier ist noch unvollständig, aber umfasst von 2001 bis 2025 schon jetzt 120,5 Millionen Euro für Projekte in Braunlage, Torfhaus, Schierke, an der Rappbodetalsperre, in Bad Harzburg, Thale, Hahnenklee, Altenau und Rothesütte.

Der Berliner Fotograf Lars Wiedemann (l.) und der aus Buntenbock stammende Finanzexperte Christian Hille (2. v. l.) stellen am vergangenen Wochenende im Rammelsberg in Goslar ihr Buch "Neu Harz" vor und signieren einige Ausgaben.

Der Berliner Fotograf Lars Wiedemann (l.) und der aus Buntenbock stammende Finanzexperte Christian Hille (2. v. l.) stellen am vergangenen Wochenende im Rammelsberg in Goslar ihr Buch "Neu Harz" vor und signieren einige Ausgaben. Foto: Privat

Dass viel in Bewegung ist, zeigt sich auch an Zahlen der Wirtschaftsförderung für die Region Goslar (Wirego). Von 2018 bis 2022 wurden allein 34,7 Millionen Euro Fördergeld für Unternehmen aus dem Landkreis Goslar aus dem Topf „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW-Mittel) bewilligt. Etwa 40 bis 50 Prozent davon entfallen auf den Tourismus, schätzt Wirego-Geschäftsführer Jörg Aßmann. Für den größeren Landkreis Göttingen wurde im selben Zeitraum übrigens lediglich eine Summe von rund 9,6 Millionen Euro bewilligt. Der Landkreis Hildesheim kommt auf rund 3,7 Millionen Euro, wie die Zahlen Aßmanns zeigen.

Der NDR hat die Kritik an seinem Film zurückgewiesen. In E-Mails an die GZ und an einen Leser heißt es, der Film zeige viel Positives, aber eben auch „die Herausforderungen der Region“. NDR-Redakteurin Julia Saldenholz schreibt einem GZ-Leser, es gebe „einen enormen Bevölkerungsrückgang im Harz und viele empfinden die Region als altbacken und rückständig“. Ein Urteil, das selbst „altbacken und rückständig“ wirkt, es gibt wieder, was früher gerne und zu Recht über den Harz erzählt wurde, aber blendet aktuelle Entwicklungen aus.

Zufällig stammt das Buch „Neu Harz“ wie der Harzer Heimatfilm des NDR auch aus Hamburg, nämlich aus dem Verlag Murmann. Mitarbeiter Lukas Becker kennt den NDR-Beitrag, in einer E-Mail an die GZ bewirbt er Buch und Ausstellung mit folgenden Worten: „Die Bewegung Neu Harz zeigt, wie wir Populisten das Handwerk legen – und wie wir Strukturwandel gestalten, statt ihn zu ertragen.“ In der Verlagsmitteilung zu dem Buch heißt es: „Neu Harz ist mehr als eine Liebeserklärung an eine unterschätzte Landschaft, es ist eine Blaupause für Transformation.“

So wird aus einer Region am Abgrund eine Region, die als Vorbild für Veränderungen dient. In dem Buch werden Menschen aus dem gesamten Harz vorgestellt, die für diesen Wandel stehen, Forstleute, Wissenschaftler, Unternehmer, Sportler, Museumsleiter. Bei manchen wird der Bezug zu einem „Neu Harz“ nicht ganz deutlich. Aber das aufwendig und schön gestaltete Buch von Autor Christian Hille und dem Berliner Fotografen Lars Wiedemann zeigt, wie vielfältig die Region ist, dass sie sich in einem Aufbruch befindet und dass viele engagierte Menschen mit guten Ideen in ihr leben.

„Inspirierende Beispiele“

Vielleicht sollte der NDR demnächst mal Christian Hille befragen, wie er den Harz wahrnimmt. Der ehemalige Banker und Kapitalmarktexperte, der in London arbeitete, mittlerweile in Bad Soden lebt und sich mit einer Vermögensverwaltung inklusive Finanzdienstleistung selbstständig gemacht hat, hat den Harz wiederentdeckt – als eine Region mit Tradition, die ihre Chancen nutzt. Im Vorwort zu seinem Buch schreibt der gebürtige Buntenbocker: „Der Harz bietet unzählige inspirierende Beispiele für nachhaltigen Fortschritt. Menschen, Vereine, Initiativen und Unternehmen, die neue Wege gehen und etwas bewegen.“ Sein Buch, das den Untertitel „Aus Vergangenheit wächst Zukunft“ trägt, solle zeigen, dass es im Harz „nach vorn“ gehe, sagt der 54-Jährige. Derzeit überlegt er mit anderen Harz-Freunden, den Schwung nach Buchveröffentlichung und Ausstellung für weitere Ideen als „Neu-Harz-Plattform“ zu nutzen, für einen Ideenwettbewerb etwa oder einen Podcast, auch eine Stiftung sei im Gespräch gewesen.

Das Buch „Neu Harz“ ist im Murmann-Verlag erschienen und kostet 39 Euro. Die Ausstellung am Rammelsberg ist bis Mitte November zu sehen.

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