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Musikpreis der Stadt Goslar verliehen

GZ Plus IconGoldener Ton: Starke Momente mit Sven Regener und Leander Haußmann

Sven Regener präsentiert den Ring.

Goldener Ton: Sven Regener ist der erste Ringträger des neuen Musikpreises. Foto: Neuendorf

Sven Regener hat den ersten Goldenen Ton erhalten. Der Musikpreis der Stadt Goslar wurde ohne Störungen verliehen und hatte starke Momente.

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Von Frank Heine
Samstag, 01.11.2025, 18:30 Uhr
Die Geschichte des Goldenen Tones beginnt mit der Musik von Siegfried Translateur: Der jüdische Komponist und Kapellmeister schreibt mit seinem „Wiener Praterleben“ einen frühen Gassenhauer, der in den 1920er Jahren als Berliner Sportpalastwalzer berühmt wird und künftig bei Sechs-Tage-Radrennen nicht fehlen darf. Als die Stadt Goslar ihren Musikpreis am Samstagnachmittag vor 220 Gästen im ausgebuchten Saal des Hahnenkleer Kurhaus an Sven Regener übergibt, erklingt die Melodie das erste Mal und schlägt eine Brücke in jene Zeit, als der Preis noch Paul-Lincke-Ring hieß. Das „Praterleben“ soll auch bei allen künftigen Preisverleihungen die Feierstunde eröffnen. Diese Botschaft verkündet Goslars Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner zuallererst. Denn Translateur war nicht nur ein bekannter Musiker, sondern auch ein guter Freund von Paul Lincke. Beide feiern Silvester zusammen und Geburtstage. Bis 1933 die Nazis an die Macht kommen. Und Lincke von seinem jüdischen Wegbegleiter nichts mehr wissen will. Translateuer kommt ins Konzentrationslager nach Theresienstadt, wo er nach einem Jahr stirbt. Lincke hofiert derweil das Regime.
Mit 220 Gästen ist der abgeteilte Hahnenkleer Kurhaussaal voll.

Dem Publikum gefällt die Feierstunde: Mit 220 Gästen ist der abgeteilte Hahnenkleer Kurhaussaal voll. Foto: Neuendorf

Erinnerung an verfolgte Künstler

„Den Sportpalastwalzer spielen wir daher insbesondere auch im Gedenken an die verfolgten Künstlerinnen und Künstler, deren Leben in der Zeit des Nationalsozialismus durch politische Willkür zerstört worden ist“, sagt Schwerdtner. Eine starke Botschaft, aber auch vergleichsweise harter Tobak zum Start in eine Veranstaltung, die anders ist als sonst. Die anders sein muss als sonst. Wo früher ausführlich an Lincke erinnert und dessen Liedgut gespielt wurde, garnieren Patrick Baumann, Ansgar Ruppert, Bogdan Izdebski und Barbara Töppel jetzt Medleys aus Songs von Regeners Band Element of Crime. Wie der Beifall kündet: Das kommt bestens an.
Leander Haußmann hält die Laudatio.

Welch eine Laudatio: Leander Haußmann spricht launig über Sven Regener und sich selbst Foto: Neuendorf

Was für den zwanglos-launigen Auftritt von Leander Haußmann fast noch untertrieben ist. Der Berliner Regisseur und Freund von Regener legt einen ebenso unkonventionellen wie umjubelten Part am Mikro hin. Beide waren vorher zusammen im Auto aus der Bundeshauptstadt in den Oberharz angereist – viel Zeit zum Erzählen. Laudator? Für Haußmann zunächst „die Gelegenheit, über mich zu sprechen.“ Aber auch Angst vor dem späteren Urteil des zu Lobenden. Wie das so ist, wenn man mit Müttern im vollen Ernst jeweils über ihre immer besonders hübschen Kinder spricht. Oder sprechen muss...

„Kennst ja Sven“

Über Zufälle lernen sich der in Quedlinburg geborene Berliner Haußmann und der in Bremen aufgewachsene Regener kennen, weil Leadsänger Ray Davies von The Kinks für ein Projekt absagt. „Ein Glücksfall“, ist Haußmann heute überzeugt. Obwohl und weil Regener „der beste Nein-Sager aller Zeiten“ sei. Hahnenklee, Goslar und alle Paul-Lincke-Freunde haben das gerade erlebt. Der „wandelnde kantsche kategorische Imperativ“ verfüge über einen klaren moralischen Kompass und widersetze sich jedweder Bevormundung. „Du bist ein Gesamtkunstwerk, wenn auch möglicherweise ein postmodernes“, sagt Haußmann an Regener gewandt. Der Typ „Kennst ja Sven“. Wo sich manche Menschen vielleicht wundern, bleibe er standhaft. Oder stur? Auf jeden Fall aufrecht und gerade. Gegenreden hilft nicht. Denn: „Kennst ja Sven“.

Und bevor es (zu) ernst im Saal wird, verrät Haußmann, was ihm bei offiziellen Reden so durch den Kopf geht. Nachdem er gerade von drei Trauerreden auf ein und dieselbe Person komme, herrsche dort der Gedanke vor: „Ein Glück, dass es dich nicht erwischt hat.“ Bei Preisen sieht das völlig anders aus. „Warum habe ich den nicht gekriegt?“, lautet die erste Frage. Und das, wo Haußmann doch Schmuckträger sei und sich jetzt einen so schönen Ring wie den Goldenen Ton wohl selbst kaufen müsse. „Ich schaue neidisch auf den Talent“, sagt Haußmann – und überlässt die Bühne Schwerdtner und Regener.

Exakt um 14.58 Uhr steckt der erste Goldene Ton an der linken Hand von Sven Regener. Schwerdtner darf ihn einem der „vielseitigsten Kunstschaffenden Deutschlands“, einem „Multitalent zwischen Musik und Literatur“ – ausgerechnet auf den Mittelfinger ziehen. Was mit hundertprozentiger Sicherheit keinen Symbolwert hat. Der Ausgezeichnete spricht mit großem Wohlwollen von einem „Hammerring“, den er stellvertretend für die Gesamtbesetzung von Element of Crime in Empfang nehme („die Band, in der ich singen durfte“). Den Namen Goldener Ton finde er insbesondere auch deshalb gut, weil sie ihm in Bezug auf seine Stimme sehr schmeichle und bestärke – gute Gefühle eben.

„Kleet kein Hahn mehr nach“

Und das Umbenennen des Preises? Er finde, Goslar und Hahnenklee hätten das sehr gut gemacht. Es gehe ihm aber auch überhaupt nicht darum, über Paul Lincke, dessen Musik und Leben den Stab zu brechen. Die „Berliner Luft“? Völlig okay, das Stück zu spielen. Aber einen nach Lincke benannten Preis annehmen? Das habe er eben nicht gewollt und nicht gekonnt. Er habe sich leider erst richtig informiert, als er den Preis schon angenommen hatte, wie er zuvor auf der Pressekonferenz erklärt hatte. Er hätte aber auch keinen Johannes-R.-Becher-Preis oder Hans-Pfitzner-Preis angenommen. Wie andere Preisträger reagiert hätten, wenn sie es gewusst hätten? „Ich will das nicht kommentieren“, sagte Regner vor den Medien. Er sei sich aber sicher, sagte er und warnte vor einem Kalauer: „In ein paar Jahren kleet da kein Hahn mehr nach.“
 Sven Regener und Goslars Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner stehen an der neuen Klanginstallation im Kurpark.

Neue Klanginstallation im Kurpark: Der Programmpunkt mir Sven Regener und Goslars Oberbürgermeisterin Urte Schwerdtner fällt regenbedingt kurz aus. Foto: Neuendorf

Zurück zur Zeremonie: Als Schwerdtner auch noch einen Fresskorb als Geschenk für Regener aus den Kulissen zauberte, machte der erste Goldene-Ton-Ringträger der Historie humorvoll Schluss mit dem Kursaal-Geschehen: „Jetzt habe ich alles, jetzt können wir aufhören“. Draußen wartete bei Wind und Regen allerdings noch Regeners Verewigung in der neuen Klanginstallation im Kurpark. Wetterbedingt fiel die Zeremonie kurz, schmerzlos und nass aus, bevor es noch zu einem Abstecher in die Stabkirche ging. Und der Weg führte über den Paul-Lincke-Platz vorbei an der Paul-Lincke-Büste. Und zwar ohne Berührungsängste und ohne Störungen, wie sie im Vorfeld befürchtet waren. Protestaktionen blieben aus oder blieben jedenfalls unbemerkt.

Goldener Ton: Starke Momente mit Sven Regener und Leander Haußmann
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