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GZ-Redaktionsgespräch mit FDP-Vize

GZ Plus IconSvenja Hahn in Goslar: FDP soll die modernste Partei werden

Optimismus für die FDP strahlt Svenja Hahn im GZ-Redaktionsgespräch aus. Mit von der Partie ist der FDP-Landesvorsitzende Konstantin Kuhle.

Optimismus für die FDP strahlt Svenja Hahn im GZ-Redaktionsgespräch aus. Mit von der Partie ist der FDP-Landesvorsitzende Konstantin Kuhle. Foto: Sebastian Sowa

Nach dem Ampel-Aus und dem Desaster bei der Bundestagswahl ist die FDP auf der Suche nach einem neuen Ich. Die Liberalen wollen näher an die Menschen rücken, verspricht die neue stellvertretende Bundesvorsitzende Svenja Hahn im GZ-Gespräch.

Von Von Jörg Kleine Montag, 08.09.2025, 14:00 Uhr

Goslar/Hamburg. Nach dem Ampel-Aus und dem Desaster bei der Bundestagswahl ist die FDP auf der Suche nach einem neuen Ich. „Wir wollen die modernste Partei Deutschlands werden“, heißt der Slogan – mit neuem Grundsatzprogramm, einer gründlichen Parteireform und neuen Protagonisten. Dazu gehört die neue Vizeparteichefin Svenja Hahn (36). Vor allem soll die FDP wieder näher zu den Menschen rücken, unterstreicht die quirlige Hamburgerin und Europa-Abgeordnete im GZ-Redaktionsgespräch.

Alles neu machte der Bundesparteitag im Mai. Nach dem Abschied von Christian Lindner lenken mit dem neuen Parteichef Christian Dürr (Ganderkesee) und seiner Stellvertreterin Svenja Hahn (Hamburg) zwei Nordlichter die Freidemokraten auf Bundesebene – dazu die deutsch-jamaikanisch-schweizerische neue FDP-Generalsekretärin Nicole Büttner. Da hat Dürr reichlich Frauenpower um sich, was die 36-jährige Svenja Hahn auch mit Verve ausstrahlt.

Erst Edding AG, dann für die FDP nach Brüssel

In der Bundespolitik ist sie noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Nach ihrem Master-Studium in Medienwissenschaft in Berlin arbeitete sie von 2015 bis 2019 in der PR-Abteilung der Edding AG in Ahrensburg bei Hamburg. Dann markierte sie mit einem dicken Ausrufezeichen ihre europäischen Ambitionen: Mit einer Kampfabstimmung sprang sie auf Platz zwei der FDP-Bundesliste für die Europawahl und zog politisch nach Brüssel und Straßburg. Der Unterstützung ihrer wortgewaltigen liberalen Kollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im EU-Parlament war sie sicher.

Auf europäischer Ebene hat sie bei den Liberalen schnell Akzente gesetzt. Sie ist seit Oktober 2024 Präsidentin des Dachverbandes der liberalen Demokraten in Europa (ALDE), sie sitzt im EU-Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, im Ausschuss für internationalen Handel und ist zugleich Koordinatorin im Sonderausschuss für Künstliche Intelligenz (KI) und Digitales.

EU braucht mehr Mut im Ring mit Donald Trump

Was ist da schiefgelaufen im Tauziehen der EU mit US-Präsident Donald Trump um Zölle und Handel? Weil die deutsche EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) „nicht die nötige Kraft hatte“ und „weil die EU-Kommission sich nicht getraut hat“, sagt Svenja Hahn forsch. 15 Prozent Zoll gelten seit August auf Waren aus der EU, bei Aluminium- und Stahlprodukten liegen die US-Einfuhrzölle sogar bei 50 Prozent. „Das ist schlecht“, betont Hahn – und verweist auf ein ganzes Arsenal von Gegenmaßnahmen, die bei von der Leyen aber „in der Schublade liegen“.

Viel mehr Selbstbewusstsein wünscht sich die Liberale von der EU, „Europa als Fackel der Demokratie“ zu begreifen – und dritte globale Macht neben den Kontrahenten USA und China zu werden. Hier sieht sie gerade Kanzler Friedrich Merz in der Pflicht, mehr Durchsetzungsvermögen und Überzeugung auf EU-Ebene zu zeigen.

Wachstum durch Handel und Künstliche Intelligenz

„Und dazu gehört absolut Wachstum“, fügt Svenja Hahn an. Weniger Bürokratie, Deregulierung und mehr Mut fordert sie ein, sowohl in Brüssel als auch Berlin. Gerade im Bereich von Künstlicher Intelligenz und digitaler Transformation sei mehr Freiheit und Offensive gefragt statt Bedenkenträgerei: „Ich glaube, wir müssen mehr verstehen, dass wir mit dem Rest der Welt im Wettbewerb stehen.“

Doch warum hat die EU nicht längst einmal mit Regulierung der großen US-amerikanischen Tech-Unternehmen angefangen, die mit globaler Macht, aber wenig Verantwortung und noch weniger Steuern die digitale Welt beherrschen? „Ein Punkt, der absolut nicht angeht“, räumt Hahn ein. „Aber wenn wir amerikanische Unternehmen jetzt mit Strafzöllen auf digitale Dienstleistungen treffen wollen, dann treffen wir alle Unternehmen“, sagt die FDP-Bundesvize – auch die europäischen. Stattdessen setzt sie „Mindeststeuern“ für solche globalen Player auf die Agenda, möglichst abgestimmt und vereinheitlicht in Europa. Denn selbst innerhalb der EU sorgen paradiesische Steuerbedingungen für enorme Gefälle – ob Luxemburg oder Irland.

In Sandwich-Lage zwischen China und den USA plädiert Svenja Hahn derweil mit Nachdruck auf freien Handel mit anderen Ländern, um Wohlstand und Wachstum in der EU zu befördern. „Wir brauchen mehr Handelsabkommen“, betont die Europaabgeordnete – ob in Asien, Afrika oder den Mercosur-Staaten in Südamerika, mit denen die EU gerade ein Abkommen auf den Weg gebracht hat. Und wenn Trump und die USA weiterhin nicht mitspielen? „Gerade das ist unsere Chance“, entgegnet Svenja Hahn.

Wie soll Deutschland 2040 aussehen?

Doch was fordert sie nun in den eigenen Reihen als stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP? Wie wollen die Liberalen in Deutschland den Karren wieder aus dem Dreck ziehen? „Neues Grundsatzprogramm“ und „Parteireform“ nennt Svenja Hahn als Marksteine auf dem Weg aus der Krise. Beides soll bis zum Bundesparteitag 2026 in trockene Tücher gebracht werden.

„Wir-arbeiten-dran“ heißt die entsprechende Webseite der FDP, auf der sie Mitglieder online auffordert, sich einzubringen – mit „Beteiligungstool“. „Für mich ist klar, dass wir alte Strukturen hinterfragen müssen. Wir wollen als Partei moderner, digitaler und zugänglicher werden – und vor allem: näher an den Menschen sein.“

„Viele Bürger haben uns als abgehobene Partei wahrgenommen“, die die Sorgen der Menschen nicht kennt, analysiert Hahn selbstkritisch. Deshalb müsse die FDP Lösungen bieten für Probleme im Alltag, einen greifbaren Plan entwickeln. „Wie soll Deutschland 2040 aussehen?“, fragt sie rhetorisch.

Lange Jahre waren die Freidemokraten indes auf ihren früheren Vorsitzenden Christian Lindner fixiert, dem nicht gerade besondere Nähe zu den Menschen attestiert wurde. Doch eine Abrechnung mit Lindner intoniert Svenja Hahn nicht. „Ich gehöre ja zu der FDP-Generation, die stark geformt worden ist von Christian Lindner“, bekennt sie.

Wofür steht eigentlich die FDP?

Ein Grundproblem in der zerstrittenen Ampel-Regierung sieht sie „in strukturellen Dingen“, zum Beispiel die Steuerdebatte oder die von der FDP propagierte Aktienrente. Steuererhöhungen seien schlecht für die Wirtschaft, die Aktienrente dagegen gut für die Altersvorsorge – auch für Otto Normalverbraucher. Die FDP sei damit aber nicht zu Bürgern und Wählern durchgedrungen. Doch sind Steuererhöhungen nicht sinnvoll, zumindest bei Top-Verdienern, wenn selbst Millionäre und Milliardäre in Deutschland schon dazu appellieren? „Mich ärgert die Debatte momentan“, sagt Hahn: „Wir haben hohe Steuereinnahmen wie nie, aber trotzdem hohe Schulden.“ Wer höhere Verteidigungsausgaben nur über Schulden finanzieren will, „packt die strukturellen Probleme nicht an“, kritisiert Hahn den Kurs der schwarz-roten Regierung.

Statt nur über höhere oder niedrigere Steuern zu debattieren, sei es wichtiger, die Aufgaben des Staats unter die Lupe zu nehmen. Mit höheren Steuern sei Deutschland „kein attraktives Zuwanderungsland“ mehr, also Abschreckung für qualifizierte Arbeitskräfte und Wissenschaftler. Dagegen knirsche es bei den Ausgaben für den Sozialstaat „an allen Ecken und Enden“. Und die abgewirtschaftete Infrastruktur in Deutschland sei ein geradezu „historisches Versagen“. Somit seien Investitionen überfällig, aber nicht ohne nötige Reformen und Einsparungen.

Svenja Hahn an der Spitze der FDP-Parteireform

Auch beim nötigen Reformkurs der FDP spart Svenja Hahn nicht mit markigen Worten: „Radikal“, sagt sie wiederholt – und „gerade jetzt in der APO“. APO? Ein Reizwort für Konservative, denn so nannte sich die außerparlamentarische Opposition und Studentenbewegung der 1960er Jahre. Svenja Hahn geht es derweil um Reform und Strategie, um die FDP außerparlamentarisch auf Bundesebene wieder ins Rampenlicht zu bringen.

Für die angestrebte Parteireform hat Svenja Hahn als Bundes-Vize den Hut auf – in einer „Task Force“ aus 28 Mitgliedern mit vielfältiger Expertise, erklärt sie: ob für Stadt oder Land, Deutschland Ost oder West. Es geht um Organisation und Parteiämter, Wahlkampfstrategie, wie die FDP unterschiedliche Talente nutzen möchte „und was wir unseren Mitgliedern zu bieten haben“, schildert Svenja Hahn. Eine nüchterne Analyse: Parteien, mithin die FDP, konkurrieren im freien Zeitbudget „mit Fitnessstudio, Kaffeetrinken, Freund oder Freundin“.

Parteien als Freizeitvergnügen? Keinesfalls. Mit Blick auf die USA, Russland, die Türkei und weitere Länder, in denen Autokraten demokratische Strukturen gezielt untergraben und abschaffen, geht es in Deutschland, der Parteienlandschaft und namentlich den Freidemokraten um Rechtsstaat, Vielfalt und freiheitliche Werte.

Wichtige Wahlfaktoren für die FDP: jung und weiblich

Welche Analysen hat die FDP dabei aus dem Debakel bei der Bundestagswahl gezogen? Junge Menschen haben die FDP „signifikant nicht gewählt“, sagt Svenja Hahn – ganz im Gegensatz zur Wahl 2021. Was die FDP ebenfalls „nicht geschafft hat, ist, unsere Themen so rüberzubringen, dass sie bei Frauen ankommen“, resümiert die stellvertretende Bundesvorsitzende.

Falsche Verpackung für die richtigen Themen? „Warum haben wir es nicht geschafft, deutlich zu machen, dass die Aktienrente gut ist gegen Altersarmut bei Frauen?“, fragt Svenja Hahn rhetorisch. Warum nicht, dass Rüstung, Verteidigung und Sicherheit „gerade für Frauen ein wichtiges Thema sind“? Und warum nicht, dass die FDP für ein „Aufstiegsversprechen“ und Unabhängigkeit stehe, um sein Leben zu gestalten?

Das alles und noch viel mehr wollen die Liberalen nun im Herbst in politischer Werkstattarbeit auf Tour durch die Bundesländer erkunden.

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