Flüchtlingshilfe: Was ist aus den Geflüchteten von 2015 geworden?

Die Flüchtlingshelfer von einst um Hanna Kopischke (l.), Karin Niemeyer (3.v.l.) und Renning Duckstein (4. v.r.) mit (v.r.) Ahmed, Rita, Yara, Heba, Hasan und Ammar aus Syrien, die in Bad Harzburg ein neues Zuhause gefunden haben. Foto: Nachtweyh
Vor zehn Jahren wurde in Bad Harzburg ein „Unterstützerkreis“ aus der Taufe gehoben, aus dem sich die Flüchtlingshilfe gründete. Zeit, zurückzublicken auf den Herbst 2015. Und auch Zeit zu fragen: Was ist aus den Geflüchteten von damals geworden?
Bad Harzburg. „Wir wollen die Probleme angehen, die nicht von den Behörden sondern schon immer durch soziales Engagement gelöst wurden“, mit diesem Vorsatz hatte Hanna Kopischke im Herbst 2015 beim Blick auf die Fernsehbilder von der Flüchtlingskrise einen „Unterstützerkreis“ ins Leben gerufen, aus dem der Verein „Gemeinsam – Flüchtlingshilfe Bad Harzburg“ hevorging. Das liegt jetzt fast genau zehn Jahre zurück. Den Verein gibt es nicht mehr, dennoch lohne ein Blick zurück, meinen die Initiatoren von einst. Dabei drängt sich eine Frage auf: Wie geht es den Geflüchteten von damals eigentlich heute?
Ahmed (32) beispielsweise war schon 2011 aus Syrien nach Libyen geflohen und kam von dort 2015 mit einem der vielen Flüchtlingsboote nach Europa. Mit rund 600 Menschen war das Boot total überladen, erzählt er und nicht alle Passagiere hätten die Fahrt überlebt. Auf diesem Boot war aber auch Yara (32) mit einem Teil ihrer Familie auf der Flucht. Die beiden lernten sich kennen, blieben in Kontakt. In Bad Harzburg haben sie 2017 geheiratet, 2019 wurde Tochter Rita geboren, Yara studierte Bauingenieurswesen an der TU Braunschweig, Ahmed machte eine Umschulung zum Systeminformatiker und ist für ein namhaftes deutsches Unternehmen als Teamleiter im Einsatz. Soweit die Ultrakurzvariante dieser Geschichte.
Basar überlaufen
Noch ganz lebendig ist bei beiden die Erinnerung an die Flüchtlingsbasare in der Berufsschule. Fünf solcher Basare hat die Flüchtlingshilfe zwischen November 2015 und Mai 2017 organisiert. Für den ersten Basar hatten die Bad Harzburger schon vor dem Beginn der Spendenannahme so viel Material geliefert, dass die Anlieferung gestoppt werden musste. „Das fand nicht jeder gut“, weiß Hanna Kopischke, aber die Resonanz sei „absolut überwältigend“ gewesen.
Förmlich überrannt sind die Basare, die von der Flüchtlingshilfe von 2015 bis 2017 in der Aula der BBS organisiert worden. Foto: Schlegel/Archiv
„Bei diesen Basaren gab es einfach alles“, sagt Heba (37) schmunzelnd. Sie war 2017 als Familiennachzug aus Syrien nach Bad Harzburg gekommen, wo ihr Mann und ihr damals achtjähriger Sohn bereits Fuß gefasst hatten. Hasan (17) war mit Vater, Onkel und Cousin 2016 über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet. „Hasan hatte damals nur seinen Kindergartenrucksack dabei“, erinnert sich Mutter Heba, die mit den jüngeren Sohn in Aleppo zurückblieb und auf Nachricht wartete. Durch Zufall seien sie damals in Bad Harzburg gelandet, meint Hasan, der inzwischen die 11. Klasse am NIG besucht. Karin Niemeyer von der Flüchtlingshilfe habe ihnen eine kleine Wohnung in Schlewecke vermittelt. Das war der Anfang.
Eine zweite Familie
Das Modell einer dezentralen Unterbringung der Geflüchteten im Landkreis Goslar sei der richtige Weg gewesen, meint Hanna Kopischke. Ein wichtiger Baustein für eine gelingende Integration, bestätigt auch Karin Niemeyer. „Aber auch eine Unterstützung, wie der Verein sie geleistet hat, war sehr, sehr wichtig für uns“, fügt Ammar (34) hinzu. Er war 2015 über ein Sprachvisum für Ärzte nach Deutschland gekommen, doch als Zahnarzt arbeiten durfte er mit seinem syrischen Studienabschluss nicht so einfach. Seine Frau ist Apothekerin, Ammar selbst ist inzwischen verbeamtet und arbeitet bei der Ausländerbehörde im Landkreis Goslar. Karin Niemeyer und ihr Mann sind für Ammar zur zweiten Familie geworden, sagt er, und sie ergänzt lachend: „Wir haben sogar noch ein Enkelkind bekommen“. Gemeint ist Ammars drei Monate alte Tochter Marta.
Sprachkurse, Abschlüsse
Immer wieder drehen sich diese ganz verschiedenen Fluchtschicksale um die gleichen Themen: Sprachkurse, Abschlüsse, Anerkennungen, Formalien. Auf die Frage, ob die Sprache oder die Bürokratie die größte Herausforderung sei, antwortet Heba: „Am schwierigsten ist es, akzeptiert zu werden“. Ihr Sohn Hasan ergänzt: „mit Kopftuch“. Um die Anerkennung von Abschlüssen und Lebensleistungen zu ringen, koste Nerven und Zeit, bestätigen alle. „Aber trotzdem bin ich diesem Land sehr, sehr dankbar“, sagt Ammar. Heba erzäht, als sie vor zwei Jahren von einem Besuch in Syrien zurück nach Bad Harzburg kam, habe sie sich schon am Flughafen auf Zuhause gefreut: „Das ist jetzt hier mein zweites Heimatland“.
Für Hanna Kopischke, Karin Niemeyer und Renning Duckstein ist es „einfach nur schön“, das alles zu hören. Bei der Jubiläumsfeier (siehe Kasten) wird davon noch viel mehr zu hören sein.
Jubiläumsfeier
Unter dem Motto „10 Jahre gemeinsam unterwegs“ will die Flüchtlingshilfe Bad Harzburg bei einer Veranstaltung am Samstag, 11. Oktober, den Blick auf den Beginn der Flüchtlingskrise im Oktober 2015 lenken. Die Jubiläumsfeier beginnt um 14 Uhr im Haus der Kirche und wird unterstützt von der Diakonie im Braunschweiger Land, der Bundesinitiative „Demokratie leben“ und der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Goslar.
Neben einem Rückblick auf die Arbeit der Flüchtlingshilfe in Bad Harzburg ist eine Podiumsdiskussion mit ehemals Geflüchteten unter Moderation von Renning Duckstein geplant. Außerdem gibt es Tanzaufführungen, Kinderbeschäftigung, vor allem aber bis 19 Uhr ausreichend Gelegenheit zum Austausch bei Kaffee, Kuchen und einem Buffet.
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