Mit Herz und Haltung zurück ins Klassenzimmer

Wolfgang Ritzke (r.) und Lutz Kühnert sind eigentlich bereits pensioniert. Trotzdem unterrichten sie weiterhin an der AGG in Oker Foto: Bietz
Zwei pensionierte Lehrer unterrichten weiter an der Adolf-Grimme-Gesamtschule in Oker – aus Überzeugung, nicht aus Pflicht. Warum sie bleiben und was sie fordern, zeigt ein Blick in ihren besonderen Schulalltag.
Oker. Eigentlich sind Wolfgang Ritzke und Lutz Kühnert bereits im Ruhestand. Dennoch unterrichten sie weiterhin an der Adolf-Grimme-Gesamtschule (AGG) in Oker – mit viel Engagement und Herzblut. Ritzke, der zuvor jahrzehntelang an einer Berufsschule tätig war, gibt Werkunterricht. Kühnert ist studierter Musiker und Dirigent, unterrichtete viele Jahre an verschiedenen Musikschulen in der Region und leitet nun den Musikunterricht an der AGG.
Die beiden sind keine Einzelfälle: Bundesweit stehen über 5000 pensionierte Lehrerinnen und Lehrer wieder oder weiterhin vor der Klasse, in Niedersachsen sind es rund 350. Grund dafür ist der bundesweite Lehrkräftemangel – laut Kultusministerium fehlen derzeit etwa 25.000 Lehrkräfte. Besonders kreative Nebenfächer wie Musik oder Werken fallen an vielen Schulen dem Personalmangel zum Opfer. Nicht so an der AGG, wo der Einsatz erfahrener Pensionäre dafür sorgt, dass auch diese Fächer lebendig bleiben.
Aus Neugier wird Berufung
Ritzke war über 40 Jahre lang Berufsschullehrer und organisierte mit seinen Schülern regelmäßig Messeauftritte und Projekte. Nach seiner Pensionierung arbeitete er zunächst bei der AWO mit benachteiligten Jugendlichen – unter anderem an einem Bootsprojekt. Diese Idee brachte er schließlich auch an die AGG: „Ich bekam eine Gruppe mit 14 Sechstklässlern“, erinnert er sich. „Das war schon herausfordernd.“ Heute ist er mit seinen Schülern regelmäßig auf Veranstaltungen wie dem Stadtfest „Wildes Goslar“ vertreten. Sein Ziel: das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken.

Über die vergangenen Jahre hinweg hat Wolfgang Ritzke gemeinsam mit seinen Schülern ein ganzes Boot gebaut Foto: Bietz
Auch Lutz Kühnert fand seinen Weg ins Klassenzimmer eher untypisch. Als Musiker und Dirigent hatte er immer wieder Schüler, die über schlechte Noten im Musikunterricht klagten. Aus Neugier bewarb er sich selbst als Lehrer – zunächst vergeblich. „Quereinstieg war damals noch kein Thema“, sagt er. Erst Jahre später wagte er, auf Anraten von Freunden, einen neuen Versuch – erfolgreich. Als er im April vergangenen Jahres offiziell in Rente ging, wollte er eigentlich nur das Schuljahr zu Ende bringen. Doch daraus wurde mehr. Kühnert lacht: „Ich bin einfach geblieben.“
Was sie antreibt? Freude
Beide betonen, dass sie nicht aus finanziellen Gründen weitermachen, sondern weil ihnen der Beruf am Herzen liegt. „Viele können sich gar nicht vorstellen, dass ich das wirklich aus Spaß mache“, sagt Ritzke. „Man bekommt viel mehr zurück, als man rein gibt.“ Kühnert ergänzt: „Es muss von Herzen kommen.“ Natürlich bringt der Schulalltag auch Herausforderungen mit sich, etwa im Bereich der Digitalisierung. „Im Musikunterricht ist ein Smartboard schon toll. Solange es funktioniert“, sagt Kühnert. Für Ritzke sind digitale Tools auch eine Brücke zu jüngeren Kolleginnen und Kollegen: „So kommt man wenigstens ins Gespräch.“
Besonders dankbar sind beide für die Offenheit und das Vertrauen der Schulleitung. „Ich bin froh, dass ich hier sein darf und dass so viel Vertrauen in mich und meinen Unterricht besteht“, sagt Ritzke. Auch Kühnert schätzt die Flexibilität: „Ich kann ziemlich frei entscheiden, wo ich unterrichte und wo nicht.“ Für die Zukunft wünschen sich beide eine stärkere Förderung kreativer Schulfächer und fordern ein praxisnäheres Lehramtsstudium. Wichtig ist ihnen auch der Austausch mit jungen Kollegen, man könne beidseitig profitieren, so Ritzke. Ein weiterer Wunsch: Der Landkreis müsse die Bedeutung der kreativen Fächer erkennen, nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler, sondern auch, um Schulen als Lernorte attraktiver zu gestalten. Viele Schüler, die eigentlich Probleme im Unterricht haben, blühen gerade in diesen Fächern auf: "Es ist jedes mal schön, das zu beobachten, wenn sie aus sich herauskommen und lernen."
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