Neue Biographie über Adenauer: „Kanzler nach der Katastrophe“
Historische Aufnahme: „Einigkeit und Recht und Freiheit“ lautet das Motto des Gründungsparteitags der Bundes-CDU im Oktober 1950 in Goslar. Bundeskanzler Konrad Adenauer spricht während des Parteitags im Odeon-Theater. Foto: Stadtarchiv Goslar
Kurz vor einem CDU-Spitzentreffen in Goslar bringt Historiker Norbert Frei zufällig eine prägnante Biographie zu Gründungskanzler Konrad Adenauer auf den Markt.
Goslar. Nein, sein fein gezeichnetes Portrait über den „Kanzler nach der Katastrophe“ hat Norbert Frei nicht deshalb geschrieben, weil sich Konrad Adenauers Christdemokraten im Herbst 1950 vor just 75 Jahren im Goslarer Odeon-Theater mehr als ein Jahr nach der ersten Bundestagswahl auf Bundesebene zu einer Partei zusammenschlossen. In Wahrheit hinterlassen die drei Tage vom 20. bis 22. Oktober im Herzen Deutschlands, das auch von den Westberlinern unter den 386 Delegierten gut zu erreichen war, keine Spuren im gerade erschienenen Buch.
Der renommierte Historiker aus Jena, einer der besten Kenner der deutschen Vergangenheitspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg und der Ära Adenauer, ist ein glänzender Stilist. Er macht seine Gedanken und Ausführungen am 150. Geburtstag des Gründungskanzlers fest. Konrad Hermann Joseph Adenauer wurde am 5. Januar 1876 als drittes von fünf Kindern in Köln geboren. Der Vater, ein Kanzleirat, hatte zunächst nicht das Geld, auch seinen dritten Sohn studieren lassen zu können. Dank des Stipendiums einer Kölner Bürgerstiftung war es Konrad doch noch möglich, seine im Alter von 18 Jahren im April 1894 begonnene Banklehre nach zwei Wochen abzubrechen und sich in Freiburg den Rechtswissenschaften zu widmen.CDU feiert ihre Gründung in Goslar
Bundesverband entstand unter Kanzler Adenauer im Odeon-Theater
Adenauers Tragödien
Der Weg zu einer bemerkenswerten Karriere war frei, aber nicht vorgezeichnet für einen Mann, dessen große persönlichen Tragödien hinter ihm lagen, als in der Nachkriegszeit seine politisch bedeutendste Schaffensperiode begann. Der frühe Tod seiner ersten Frau Emma, die er einst im Tennisclub Pudelnass kennengelernt hatte und die mitten im Ersten Weltkrieg 1916 nach langer Krankheit starb; das Siechtum seiner zweiten Frau Gussie, die 1944 in Gestapo-Haft einen Selbstmordversuch unternahm und 1948 ihr Leben aushauchte. Frei sieht einen „im Innersten zutiefst einsamen Mann“, der sich im Alter von fast 74 Jahren mit einer – seiner – Stimme Mehrheit am 12. September 1949 zum Bundeskanzler wählen ließ.
GOSLARER REDE
Seit 2015 erinnert die CDU mit der Goslarer Rede an den Jahrestag ihrer Parteigründung im Oktober 1950 im Goslarer Odeon-Theater. Ein prominenter Christdemokrat spricht jeweils zu aktuellen Themen der Zeit. Die Konrad-Adenauer-Stiftung bietet als Veranstalterin zum 75. Jahrestag gleich mehrere prominente Redner auf.
Die Goslarer Rede 2025 hält am Mittwoch, 5. November, im Hotel „Der Achtermann“ Generalsekretär Carsten Linnemann, der als einer der engsten Vertrauten von Kanzler Friedrich Merz gilt. Angekündigt ist eine „Grundsatzrede“. Außerdem sprechen Stiftungsvorsitzender Norbert Lammert sowie aus Niedersachsen der CDU-Landesvorsitzende und Landtagsfraktionschef Sebastian Lechner sowie Christoph Plett Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Braunschweig.
Der frühere Bundestagspräsident Lammert kommt 2025 übrigens auch und gleich zweimal auf einen runden Jahrestag in der Region. Vor zehn Jahren sprach er im März zunächst bei den Frankenberger Winterabenden in einer proppenvollen Kirche eloquent und mit Witz zum Thema „Alternativlose Politik braucht keine Parlamente“, bevor er im Oktober 2015 im Bündheimer Schloss mit dem Deutschen Staatsbürgerpreis der Staatsbürgerlichen Stiftung Bad Harzburg ausgezeichnet wurde. Die Laudatio hielt der damalige Vize-Kanzler und SPD-Chef sowie heutige Goslarer Ehrenbürger Sigmar Gabriel. fh
Korrektur: Mit dem Kanzler am Kaffeetisch
Der Goslarer Otto Fricke erinnert sich an den Besuch Adenauers
Adenauer überholt Hitler
Die dankten dem Alten vom Rhein seine Arbeit. Wenn auch nicht sofort. 1953 überholte Adenauer Hitler in der Gunst seiner Landsleute. 1957 stieß er Bismarck vom ersten Rang als „größter Deutscher“. Wofür die Meinungsforscher sich damals nicht so alles interessierten. Und auf wen die Deutschen seiner Zeit (immer noch) schworen. Für Adenauer galt stets Freiheit vor Einheit, Europa first. Ein kalkuliertes Beschweigen der deutschen Vergangenheit half auf seinem pragmatischen Weg. Er plädierte für ein geschäftsmäßiges Vorgehen bei der Entnazifizierung: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat.“ Gleichwohl war Adenauer sich deutscher Schuld bewusst – gerade gegenüber den Juden und Israel. Dass seine Zeitgenossen das Heimholen der Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion („Moskau 1955“) als seinen größten Triumph sahen und nicht etwa den Abschluss der Pariser Verträge? Geschenkt.
Ein „lernstarker Demokrat“
Frei legt eine kurze, packende, rührende, aber nicht rührselige und schon gar nicht unkritische Vita eines „lernstarken Demokraten“ auf den Tisch. Marke unbedingt empfehlenswert. Und sei es nur deshalb, weil sie auch mit vermeintlich kleinen Irrtümern aufräumt. „Nein, Rosen hat er nie gezüchtet. Aber das ist nur das schönste falsche Etikett, das Konrad Adenauer in der Erinnerung der Deutschen bis heute anhaftet.“ Eine von vielen gefütterte Medien-Ente, die er erst (zu) spät zu schlachten versuchte. Oder bleibt doch das (echte) Bonmot in Erinnerung, als er einem bayrisch-christlichen Bedenkenträger vor der Wahl des liberalen Freigeists Theodor Heuss zum Bundespräsidenten Bescheid stieß: „Aber er hat eine sehr fromme Frau, das genügt.“
Norbert Frei, Konrad Adenauer, C. H. Beck, 29,90 Euro
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