Ein großes Wunder für fünf Mark
Echte Kerzen am Weihnachtsbaum, das war in den 1960er Jahren noch üblich. Foto: Pixabay
„Mein schönster Weihnachtsbaum“ heißt in diesem Jahr der Titel unserer GZ-Adventsserie. Kurt Ritsche aus Harlingerode erzählt von einem wunderschönen Baum, den er als Junge auf den letzten Drücker kaufte.
Harlingerode. Es war Ende der 1960er Jahre und kurz vor Heiligabend, ich glaube, es war am 23. Dezember. Ich war noch ein Schulkind, keine zehn Jahre alt, und meine Eltern hatten in jenem Jahr viel zu tun. Eigentlich hatte mein Vater immer den Weihnachtsbaum mitgebracht, aber in diesem Jahr war er einfach nicht dazu gekommen.
Verliebt in einen Baum
Meine Mutter drückte mir fünf D-Mark in die Hand und sagte mir, ich solle eine Fichte bei einer Händlerin kaufen. Es war schon sehr spät, und so machte ich mich auf den Weg, einmal quer durch den Ort. Der Verkaufsstand befand sich in einem Garten in der Nähe der ehemaligen Nord-LB. Ich schaute dort jeden einzelnen Baum an, und die Verkäuferin meinte, ich möge mich beeilen, weil sie Feierabend machen wollte.
Die ganzen Fichten, die dort noch standen, waren aber alle klein, krumm, hatten nur an einer Seite Äste oder andere Makel. Nur ein Baum war anders – und unglaublich schön in meinen Augen: Über zweieinhalb Meter hoch, superschön gewachsen, unten komplett rund, und es gab keine leeren Stellen zwischen den Ästen.
Leider kostete der Baum zehn D-Mark, und ich hatte ja nur fünf D-Mark dabei. Die Verkäuferin merkte jedoch, dass dieser Baum mein großes Interesse geweckt hatte. Sie fragte mich, wie viel Geld ich mithabe. Ich zeigte ihr die fünf D-Mark. Sie murmelte etwas vor sich hin – und sagte dann: „Du kannst den Baum für die fünf Mark haben.“ Ich war soooo glücklich.
Mit dem Baum zu Fuß quer durch Harlingerode
Weil sie ihren Verkauf schließen wollte, legten wir den Baum vor ihren Gartenzaun. Ich musste mir erst Hilfe holen, denn den Baum konnte ich nicht alleine tragen. Also ab nach Hause, einmal quer durch Harlingerode, und einen meiner Brüder zum Tragen holen. Wir beide liefen zurück und fingen an, diesen langen, schweren Baum schrittweise nach Hause zu bringen.
Es war schon stockfinster, als wir an unserem Haus ankamen. Ich schloss die Kellertür auf, und wir brachten den Baum gemeinsam in die Waschküche. Ja, damals gab es noch Waschküchen in den Häusern. Da lag er nun, der Weihnachtsbaum. Mein Bruder und ich waren echt geschafft.
Von den Eltern droht ein Donnerwetter
Dann kam meine Mutter in den Keller. Natürlich wollte sie den vermeintlich „kleinen“ Baum sehen. Wir hatten vorher immer kleine Weihnachtsbäume, die auf einem Tisch standen. Aber das, was dort in der Waschküche lag, hat meine Mutter dann doch überfordert. „Warte ab, bis dein Vater nach Hause kommt, das wird richtig Ärger geben“, schimpfte sie: „Wie kannst du solch einen riesigen Baum holen, und was hat der überhaupt gekostet?“
Ich zog die Ohren ein und hatte Angst, was mein Vater nun mit mir machen würde, wenn er nach Hause kommt. Ein paar Stunden später war mein Vater da. Er fragte, ob jemand einen Baum geholt habe. „Ja“, sagte meine Mutter, „der Kurt hat einen geholt. Willst du ihn mal sehen?“ Meine Angst vor dem Donnerwetter, was nun kommen sollte, stieg ins Unermessliche.
Vaters Tränen vor Freude
Ich schlich langsam hinter meinen Eltern her. Mein Vater meinte, es rieche nach Weihnachten, und machte das Licht in der Waschküche an. Doch es kam nichts, kein Wort, einfach nichts. Meine Mutter wunderte sich, und mein Vater fasste in die Zweige des Baums. Dann drehte er sich um, und ich dachte, nun kommt das Donnerwetter.
Aber mein Vater hatte Tränen in den Augen, das habe ich vorher und auch später, nie wieder gesehen. „So ein schöner großer Baum, solch einen Baum wollte ich immer schon haben, so schön gewachsen“, waren seine Worte. „Da müssen alle mithelfen beim Schmücken.“
Familienspaß beim Schmücken
Es kam kein Donnerwetter, ich war erleichtert. Mein Vater sagte mir stattdessen, dass wir den Baum zusammen aufstellen an Heiligabend. Er besorgte noch einen großen Baumständer, und am 24. Dezember wurde dann im Wohnzimmer eine große Ecke freigeräumt, Möbel wurden verschoben und der Baum aufgestellt. Vom Fußboden bis zur Decke reichte er, und mein Vater hatte die ganze Zeit sehr viel Spaß. Man konnte es ihm ansehen, er war glücklich und zufrieden.
Im Hintergrund hatte meine große Schwester schon alles an Baumschmuck herangetragen, was es im Haus gab. Das erste Teil, die Spitze, brachte mein Vater an. Damals sahen Weihnachtsbäume noch etwas anders aus: mit alten, wunderschöne Kugeln, aus dem gleichen Material hatten wir auch bunte Vögel mit Schwänzen aus gefärbten Borsten. Strohsterne, Schmuck aus Holz, knallrote Äpfel, kleine geschnitzte Figuren und allerlei weiteren Schmuck gab es. Natürlich wurde der Baum auch mit silbernem Lametta reichlich behängt. Die ganze Familie hat mitgemacht.
Die Halterungen für die echten weißen Wachskerzen, die hat dann mein Vater am Baum festgemacht. Elektrische Baumbeleuchtung hatten wir nicht. Und dann gab es da noch solch dünne Stäbe, Wunderkerzen, die mit Tausenden Sternchen abbrannten, wenn man sie anzündete.
Der Baum war wunderschön, und abends zur Bescherung hat mein Vater ihn dann erleuchtet. Mein Vater war total selig, er liebte den Geruch von Baum, Wachskerzen und Wunderkerzen. So kann ich mich an dieses Weihnachtsfest noch erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Der Baum stand sehr lange im Wohnzimmer, auch wenn er schnell anfing zu nadeln. Heute kann ich sagen, es war mein schönster Weihnachtsbaum – und auch ein wirklich sehr schönes Weihnachtsfest.
Die nächste Folge:
„Da strahlt der silberne Christbaum“, eine Weihnachtsgeschichte aus Goslar.
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Dieses Jahr kaufen wir den Weihnachtsbaum aber früher
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