Wenn Spongebob und Miss Marple auf die Brockenbande treffen

Lesung aus „Der Junge, der die Zeit besiegte": Erik Elias Bolik (von links), Santiago Ziesmer und Martin Bolik in der Buchhandlung Böhnert. Foto: Hartmann
In der Goslarer Buchhandlung Böhnert stellte Martin Bolik sein Buch „Der Junge, der die Zeit besiegte“ vor. Mit dabei: Spongebob-Stimme Santiago Ziesmer und Lilly Höschen, die Miss Marple des Harzes, die einen Staatsanwalt zur Weißglut brachte.

Helmut (links) und Sascha Exner erzählen von der „Miss Marple des Harzes" und stellen eine turbulente Gerichtsverhandlung mit Lilly Höschen vor. Foto: Hartmann
Und es hatte sich gelohnt. Rund 90 Gäste kamen zur Lesung in die Buchhandlung Böhnert und erlebten zwei Stunden lang ganz großes Kino für die Ohren.
Schon die „Vorgruppe“ hatte es in sich. Schriftsteller und Verleger Helmut Exner hatte seinen neuen Krimi um die patente Lilly Höschen mitgebracht. Der 22. Teil der Reihe um die „Miss Marple des Harzes“ heißt „Lilly und der Racheengel“ und eröffnet dramatisch: Eine ältere Dame jagt in ihrem Auto durch Clausthal, hält bremsenquietschend vor dem Geschäft ihrer ehemaligen Klassenkameradin und zertrümmert mit einem Hammer das Schaufenster.„Man sollte Rita Sauschläger nicht einen Glasstein als Diamanten verkaufen“, kommentiert Zeugin Lilly Höschen in der anschließenden Gerichtsverhandlung, in der die drei Seniorinnen kein Blatt vor den Mund nehmen und mit Oberharzer Mundart und derben Beleidigungen den Staatsanwalt derart zur Weißglut treiben, dass er gegen Täterin, Geschädigte und Zeugin mehrere Tage Ordnungshaft verhängt.
„Wer dumme Fragen stellt, sollte nicht mit intelligenten Antworten rechnen“, kommentiert Lilly trocken und bedankt sich artig für die Chance, ein Drei-Tages-Seminar „Knastologie und Gitterkunde“ ohne Studiengebühren zu belegen. Das Ganze vom Autor, unterstützt durch seinen Sohn Sascha, liebenswürdig vorgetragen, mit einer Stimme, der man die greise Ermittlerin durchaus abnimmt.
Mit Rabenschwingen gegen die Zeit
Im zweiten Teil entfaltete dann Rabe Pjotr seine Schwingen, „die Stimme“, auf die alle gewartet hatten: Santiago Ziesmer, der sich als Synchronsprecher von „Sponge-Bob“ längst in die Herzen der Kinder hineingekrächzt hatte, las aus „Der Junge, der die Zeit besiegte“ und sorgte für große Augen bei den jüngeren Lesungsbesuchern. Mit Erik Elias Bolik, bekannt als Sprecher des „Luke Wild“ von der Brockenbande, hatte die Lesungsrunde einen weiteren Stimm-Promi zu bieten, sodass sich Autor Martin Bolik bei der Buchpräsentation über weite Strecken vornehm zurückhalten konnte. „Das Publikum wird gebeten, sich reisebereit zu machen“, erklang eine Stewardessen-Stimme. „Stellen Sie das Sprechen ein und das Handy aus.“

Volles Haus in der Buchhandlung Böhnert: Rund 90 Gäste waren zur Lesung gekommen. Foto: Hartmann
Damit begann die Zeitreise in die Zwischenwelt. Eine Reise in die Kriegs- und Nachkriegszeit, in die untergegangene Welt der Pommerellen und – ganz wichtig – ins Reich der Phantasie.
Ziesmer und die beiden Boliks erschufen Klangwelten und nahmen ihre Zuhörer mit auf die Suche des 19-jährigen Erik nach seiner Erinnerung, nach der verschollenen Sternenscheibe und nach seinem jüngeren Ich. Immer an seiner Seite: Rabe Pjotr, der krächzend und erzählend die Geschichte vorantrieb. Und dass Ziesmers Stimme trotz aller Rauheit auch für sanfte, lyrische Texte genau den richtigen Ton findet, stellte der Schauspieler spätestens mit seiner Interpretation von Eichendorffs „Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst“ unter Beweis.
Eine Maus in der Falle
Spannend und doch mit sehr viel Rücksichtnahme auf die Jüngeren im Publikum hatte Autor Martin Bolik die Szenen ausgewählt, die das Trio vortrug. Dass die Maus Blue in der Mausefalle landete und der Held Erik beinahe ertrunken wäre, als er aus dem Bett fiel und im Wasser lag, war die heftigste Begebenheit. Das spätere Abenteuer an Bord eines Flüchtlingsschiffs, das im Buch untergeht, brach Rabe Pjotr rechtzeitig vor der Katastrophe ab. Nein, Angst sollte dieser Abend schließlich keinem machen.
Sehr lebendig und auflockernd wirkten die Darbietungen eines Chors, der sich extra für diese Lesung formiert hatte: Sänger aus der Gruppe „Nice to be“ und aus „Concordia Wiedelah“ traten zwischen den Bücherstapeln zusammen und intonierten Grönemeyers Mambo von der Parkplatzsuche oder das zuvor von Ziesmer vorgetragene Eichendorff-Gedicht.
Über Gevögel und betrunkene Katzen
Klar, dass Helmut Exner und seine Lilly zum Abschluss noch ein paar Pfeile im Köcher hatten: Es kam zu einer launigen Begegnung zwischen der Ermittlerin und der Brockenbande, bei der sich Rabe Pjotr ein wenig über das „Gevögel“ in Lillys Polizeiwache echauffierte, woraufhin Miss Marple großes Interesse an der dauerbetrunkenen Katze aus Sorgemoos zeigte, die in der Litfaßsäule im Ort ihr geheimnisvolles Versteck bewohnt. Ob es sich dabei um eine Zeitmaschine handelt?
Unter viel Applaus verabschiedeten sich Autoren und Sprecher schließlich von ihren Fans. Ein wenig Stimmpflege war wohl angesagt nach diesem Abend, immerhin war für den nächsten Tag eine Lesung in Wernigerode angesagt. „Sonst krächze ich da“, meinte Santiago Ziesmer augenzwinkernd.
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