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Gemeinde erlebt böse Überraschung

GZ Plus IconDie ungewöhnliche Geschichte der Bad Harzburger Kirchenglocken

Zwei Glocken stehen vor einer Kirche, während Menschen drumherum stehen.

Zu Pfingsten 2010 werden die neuen Kirchenglocken in die Lutherkirche gebracht. Danach erlebte die Gemeinde eine böse Überraschung. Foto: Schlegel

Glocken strukturieren Zeit, Feste und Rituale. Besonders an Weihnachten. Doch in Bad Harzburg erlebte die Kirchengemeinde bei einem Festgeläut eine böse Überraschung.

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Von Holger Schlegel
Mittwoch, 24.12.2025, 16:00 Uhr

Bad Harzburg. Seit Generationen gehört der Klang von Kirchenglocken zum Weihnachtsfest. So selbstverständlich er wirkt, so wenig ist bekannt, wie viel Planung und Technik dahintersteckt. Denn Kirchenglocken läuten nicht einfach „irgendwann“ oder „nach Gefühl“. Zeitpunkt, Dauer und Zusammenstellung der Glocken sind genau festgelegt. Sie folgen festen Regeln, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben.

Wie dieses System funktioniert, lässt sich beispielhaft an den Glocken der Bad Harzburger Lutherkirche erklären. Und an ihrer zum Teil ungewöhnlichen Geschichte.

Die Glocken der Lutherkirche

Für die alte Harzburger Kirche ist bereits 1475 eine Glocke belegt. Pastor Eyme ging davon aus, dass sie zersprang und 1674 neu gegossen wurde. Diese Glocke hängt bis heute in der Lutherkirche.

Die Westfassade der Lutherkirche mit dem Turm. Der Glockenstuhl befindet sich in circa 13 Metern Höhe.

Die Westfassade der Lutherkirche mit dem Turm. Der Glockenstuhl befindet sich in circa 13 Metern Höhe. Foto: Nachtweyh

Die 1901 abgebrochene Bad Harzburger Dorfkirche besaß zuletzt zwei Glocken: neben der historischen Glocke von 1674 eine zweite aus Bronze von 1883, gestiftet zum 400. Geburtstag Martin Luthers. Beide wurden 1903 in den Turm der neu erbauten Lutherkirche übernommen. Zur Einweihung kam eine dritte, große Glocke hinzu, die das Ehepaar Geißmar stiftete.

Im Ersten Weltkrieg mussten 1917 die Bronzeglocken abgegeben werden, das Metall wurde für die Rüstungsproduktion gebraucht. Übrig blieb nur die Glocke von 1674, mit der die Lutherkirche mehrere Jahre allein läutete.

Erst 1922 erhielt das Geläut wieder Verstärkung: Wegen Inflation und Materialknappheit entschied sich die Gemeinde für zwei Stahlglocken aus Bockenem. Seit Pfingsten 1922 erklangen sie gemeinsam mit der historischen Glocke von 1674.

Warum neue Glocken nötig wurden

Eisengussglocken haben allerdings nur eine begrenzte Lebensdauer. Schon seit den 1990er Jahren wiesen Sachverständige der Landeskirche darauf hin, dass die beiden Glocken aus dem Jahr 1922 langfristig ersetzt werden müssten. Im März 2009 wurde der Handlungsbedarf akut: Die größere der beiden Eisengussglocken musste außer Betrieb genommen werden, um Schäden oder gar ein Zerspringen zu verhindern.

Im Jahr 2010 werden die Kirchenglocken in der „Eifeler Glockengießerei Mark“ in Brockscheid gegossen.

Im Jahr 2010 werden die Kirchenglocken in der „Eifeler Glockengießerei Mark“ in Brockscheid gegossen. Foto: Schlegel

Der Kirchenvorstand der Luthergemeinde entschied sich daraufhin für den Einbau von zwei neuen Bronzeglocken. Zum Projekt gehörten auch ein neuer eichener Glockenstuhl sowie umfangreiche Um- und Aufbauarbeiten im Glockenturm. Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 100.000 Euro, von denen die Gemeinde einen erheblichen Teil selbst aufbrachte. Unterstützt wurde das Vorhaben durch zahlreiche Spendenaktionen, Konzerte, den Verkauf kleiner Glocken und Karten sowie eine Kunstversteigerung beim Gemeindefest, deren Erlös vollständig dem Projekt zugutekam. Nach der Vergabe der Arbeiten begannen Anfang 2010 die praktischen Vorbereitungen. Ein besonderer Moment für die Gemeinde war die Fahrt von rund 30 Gemeindemitgliedern zur Glockengießerei in der Eifel im März 2010. Dort konnten sie miterleben, wie die neuen Glocken gegossen wurden – ein eindrucksvolles Erlebnis, das vielen noch lange in Erinnerung blieb.

Im April 2010 begannen die Arbeiten im Turm, kurz darauf trafen die beiden neuen Bronzeglocken in Bad Harzburg ein und wurden feierlich in die Kirche eingeholt. Am Pfingstmontag 2010 erklangen sie schließlich erstmals gemeinsam mit der historischen Glocke von 1674. Und da erlebte die Gemeinde eine sehr unangenehme Überraschung...

Der missglückte Glockenguss

Schon als während der Einweihung der beiden neuen Glocken das erste Festgeläut angestimmt wurde, merkten einige: „Da stimmt was nicht.“
Um die Glocken in den Turm zu bekommen, muss ein Teil der Wand herausgenommen werden.

Um die Glocken in den Turm zu bekommen, muss ein Teil der Wand herausgenommen werden. Foto: Schlegel

Der Dreiklang war anders, eigentlich sogar schief. Zwar hatte ein Sachverständiger der Landeskirche Braunschweig die Glocken vor dem Einbau getestet, muss sich dabei aber irgendwie verhört haben.
Im Glockenturm der Lutherkirche: Oben die historische Glocke von 1674, unten die mittlere, die 2011 noch einmal gegossen wurde.

Im Glockenturm der Lutherkirche: Oben die historische Glocke von 1674, unten die mittlere, die 2011 noch einmal gegossen wurde. Foto: Schlegel

Ein Kollege aus der Hannoverschen Landeskirche kam und horchte noch einmal genau hin. Sein Urteil: Die mittlere Glocke klang einen Vierteilton zu tief und konnte nicht neu gestimmt werden. Also: Wieder raus mit der Glocke, was im 27 Meter hohen Kirchturm mit sehr viel Aufwand verbunden ist. Glockenstuhl auseinanderbauen, Wand öffnen, eine Tonne Glocke mit dem Kran zu Boden hieven und ab in die Gießerei.
Der Glockenstuhl ist aus Eichenholz. Das soll die enormen Schwingungen der drei Glocken abfedern und auch den Klang positiv beeinflussen.

Der Glockenstuhl ist aus Eichenholz. Das soll die enormen Schwingungen der drei Glocken abfedern und auch den Klang positiv beeinflussen. Foto: Schlegel

Dort wurde sie eingeschmolzen und neu gegossen. Da der Fehler beim Sachverständigen der Landeskirche lag, übernahm sie letzten Endes auch die Kosten. Aber damit war das Ungemach noch nicht vorüber: Auch die neue große Glocke wurde noch einmal demontiert und in die Gießerei in der Eifel gebracht. Auch sie klang schief, konnte aber nachgestimmt werden. Das wiederum zahlte die Gießerei. Das ganze zog sich fast genau ein Jahr hin, erst Pfingsten 2011, ein Jahr nach dem ersten Versuch, wurden die Glocken erneut eingeweiht. Und als sie das erste Mal läuteten, herrschte Erleichterung: Sie klangen so, wie man es in Bad Harzburg seit Jahrzehnten kannte.

Es gab sogar ein Trostpflaster: Das Schlamassel um die verstimmten Glocken war nicht das erste dieser Art. Als Pfingsten 1922 die damals neuen Stahlglocken eingebaut wurden und das erste Mal läuteten, lag ebenfalls eine Glocke einen Ton daneben, auch sie musste neu gegossen werden. Von einer Tradition zu sprechen, wäre allerdings zu viel der Ironie.

Was Glocken eigentlich „sagen“

Der missglückte Glockenguss ist vergessen, mittlerweile legt sich schnell mal ein Lächeln auf die Gesichter der Kirchenleute, wenn die Sprache darauf kommt. Nein, die Luthergemeinde ist stolz auf ihre Glocken. Die haben natürlich auch eine ganz besondere Bedeutung, und sind nicht nur dazu da, den Menschen die Zeit anzuzeigen oder sie zu Gottesdiensten zu rufen (siehe Faktenkasten).
Die alten Eisenglocken stehen seit 2010 am Fuß der Lutherkirche. 

Die alten Eisenglocken stehen seit 2010 am Fuß der Lutherkirche. Foto: Schlegel

Glocken hätten seit Menschengedenken nicht nur in den christlichen Gemeinschaften eine wichtige Rolle gespielt, sagt die geschäftsführende Pfarrerin der Gemeinde, Petra Rau. Sie gehören schon immer zu spirituellen Handlungen. Gerade, aber nicht nur zur Weihnachtszeit. Doch da hört man sie natürlich besonders oft. Und besonders gern.

DER GEBRAUCH DER KIRCHENGLOCKEN IN BAD HARZBURG

Wann welche Glocke läutet, ist in der Luthergemeinde genau festgelegt. Der folgende Überblick zeigt, zu welchen Zeiten und Anlässen die Glocken erklingen.

Die Glocken sind durchnummeriert in

Glocke I (große Glocke von 2010, 1395 Kilo, Durchmesser 136,5 Zentimeter, Schlagton d1),

Glocke II (mittlere Glocke von 2011, 979 Kilo, Durchmesser 120 Zentimeter, Schlagton e1)

Glocke III (historische kleine Glocke von 1674, 513 Kilo, Durchmesser 93 Zentimeter, Schlagton g1).

Zeitansage

-Chronologische Zeitansage: Zwischen 6 und 21.45 Uhr zu jeder Viertelstunde (ein, zwei, drei oder vier Schläge), zur vollen Stunde zusätzlich ein bis 12 Schläge

-Liturgische Zeitansage: Samstagabend um 18 Uhr und Sonntagmorgen um 7.59 Uhr für sieben Minuten Glocke II und III;

-Mittagsläuten: drei Minuten Glocke II.

Gottesdienste

-Hauptgottesdienste: eine halbe Stunde vor Beginn Glocken II und III, zehn Minuten vor Beginn alle Glocken

-Vaterunser: während des Gottesdienstes jeweils ein Schlag nach den Worten „Dein Name...“, . „auf Erden“ und „unseren Schuldigern“.

-Sondergottesdienste: fünf Minuten vor Beginn Glocken II und III

Andachten und Amtshandlungen

-Andachten, Konzerte, Taufen: fünf Minuten vor Beginn Glocken II und III

-Trauungen: Zehn Minuten vor Beginn bis zum festgesetzten Termin des Gottesdienstes wird mit allen drei Glocken geläutet, danach noch gegebenenfalls zwei Minuten länger, sollte die Braut noch nicht anwesend sein.

-Weitere Amtshandlungen und Konfirmationsgottesdienste: alle Glocken zehn Minuten vor Beginn.

-Beerdigungen: circa 20 bis 25 Minuten nach Beginn der Trauerfeier alle Glocken zehn Minuten. Geläutet wird auch für Beerdigungen der katholischen Liebfrauengemeinde.

Weitere Anlässe

-Jahreswechsel: Mitternacht zehn Minuten alle Glocken

-Karfreitag: kein Geläut bis zur Mitte der Osternacht.

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