Wie Goslars Altstadt 1977 das Feiern neu erfand

Die Taufe im Marktbrunnen ist ein fester Bestandteil des Festes in den 70er und 80er Jahren. Hier muss der ehemalige IT-Chef der Goslarschen Zeitung, Hartmut Duczek daran glauben. Foto: Epping
Niemand ahnte 1977, dass aus einem kleinen Festexperiment eine große Tradition entstehen würde. Doch die Mischung aus Flohmarkt, Musik, Marktbrunnen-Anekdoten und kulinarischen Entdeckungen verwandelte die Altstadt in ein lebendiges Wohnzimmer.
Goslar. Als im Sommer 1977 die Goslarsche Zeitung titelte „Altstadtfest – unerwartet großer Erfolg“, ahnte wohl kaum jemand, dass damit der Auftakt für eine jahrzehntelange Tradition gelegt war. Was damals als Experiment begann, ist heute fester Bestandteil des Goslarer Veranstaltungskalenders: In diesem Jahr wird bereits die 49. Auflage gefeiert – und noch immer strömen Tausende in die Altstadt, um das besondere Flair zu genießen.
Die Premieren-Berichterstattung der GZ von damals liest sich wie ein begeisterter Rückblick: Schon am Freitag, dem ersten Festtag, setzte ein wahrer Besucheransturm ein. „Der Riesenandrang ließ den Fußgängerstrom durch die Innenstadt zeitweise stocken“, hieß es. Und tatsächlich: Die engen Gassen zwischen Markt, Abzucht und Schuhhof waren voll mit Menschen, die lachen, feiern, essen und staunen wollten.

Der Premieren-Artikel des Altstadtfestes 1977. Foto: Privat
Der Schuhhof mausert sich
Besonders hervorgehoben wurde im Artikel der Schuhhof, der sich „mauserte“ – aus einem bis dahin eher unscheinbaren Platz wurde ein zentraler Treffpunkt voller Musik und Begegnungen. Auch die Abzucht, sonst eine stille Flaniermeile, blühte auf: Bühnen, Stände und die stimmungsvolle Kulisse machten sie zu einem Magneten.
Unvergessen bleibt auch die Aktion am Marktbrunnen: Ein riesiges Goslar-Bild, aufgestellt direkt vor dem Rathaus, wurde von Kindern und Jugendlichen mit Farbe zum Leben erweckt. „Mit Eifer dabei“, schrieb die Zeitung über die jungen Malerinnen und Maler, die sogar eigene kleine Anmerkungen und Ideen einbrachten. Diese kreative Beteiligung verlieh dem Fest schon beim ersten Mal eine besondere, persönliche Note.
Natürlich ging es auch ums Kulinarische – und die GZ lobte ausdrücklich die Vielfalt: Von Bratwurst und Steak über Waffeln bis hin zu regionalen Spezialitäten sei alles „über die Erwartungen hinaus umgesetzt“ worden. Das Konzept, nicht nur einen Markt, sondern ein Fest für alle Sinne zu schaffen, sei damit voll aufgegangen.
Die Fortsetzung folgte
Die damalige Bilanz fiel eindeutig aus: Das Fest war „stark genug, um auch im nächsten Jahr einen Nachfolger zu haben“. Dass daraus nicht nur ein nächstes, sondern bald ein halbes Jahrhundert voller Feste werden würde, konnte 1977 niemand wissen.
Ein Jahr später, 1978, bestätigte sich der Erfolg eindrucksvoll. Die Goslarsche Zeitung titelte: „Altstadtfest 1978 war tolle Sache“. Auch wenn zwischendurch Regen niederging, tat das der Stimmung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Unter Regenschirmen und Zeltdächern wurde weiter gefeiert, gegessen und gelacht. Zu den Höhepunkten zählte der große Flohmarkt in der Münzstraße, wo sich Besucher dicht an dicht durch die Stände schoben.

Der Flohmarkt erstreckte sich in den Anfangsjahren über die gesamte Innenstadt. Foto: Epping

Kaum ein Durchkommen: Der Flohmarkt hatte seinen eigenen Charme. Foto: Epping
Antiquitäten, Kuriositäten und Selbstgemachtes wechselten hier den Besitzer – eine Tradition, die bis heute zu den beliebtesten Bestandteilen des Festes gehört.
Besonders lebendig schilderte die GZ das bunte Miteinander: Die Bürgerinitiative „Geistiger Rahmen des Festes“ brachte Künstler, Maler und Musiker in die Altstadt, Handwerker zeigten ihr Können, und die Gastronomie lockte mit Spezialitäten vom Braten bis zum Bällchen Reis. Auch Musikgruppen prägten das Bild – etwa die singende Bläserin Carla Lodders, die auf dem Marktplatz auftrat, oder spontane Straßensänger, die Passanten zum Mitsingen animierten.
Aufreger Zapfenstreich
Natürlich lief auch nicht alles rund: Manche bemängelten, dass die „Sitzgelegenheiten zu knapp“ am Schuhhof gewesen seien, andere beklagten die Schlangen vor beliebten Ständen. Auch ein Zapfenstreich in der Außengastronomie um 22 Uhr sorgte vor allem beim Jung-Volk ein wenig für Empörung. Meckerer gibt es halt bei jedem Fest, das hat sich bis heute nicht verändert. Doch insgesamt herrschte Einigkeit: Das Altstadtfest war gekommen, um zu bleiben. Die Zeitung schrieb anerkennend, dass es gelungen sei, „ein Fest für Kinder und Erwachsene“ zu schaffen, das Generationen zusammenbringt.

Der Vorgänger der heutigen Bimmelbahn fuhr in den Anfangsjahren noch durch die Rosentorstraße. Foto: Epping
48 Jahre Altstadtfest – das ist mehr als nur ein Datum im Kalender. Wer erinnert sich nicht an das Faxe-Schiff vor Karstadt, die Flohmärkte, die sich durch die gesamte Innenstadt zogen, oder den Party-Tower auf dem Marktplatz? Kultstatus genoss damals zur Anfangszeit auch die „Gautschen“-Taufe beim Altstadtfest, wenn frisch gebackene Schriftsetzer der Goslarschen Zeitung unter lautem Jubel im Marktbrunnen versenkt wurden. Das ganze Spektakel war eine Mischung aus Zunfttradition, Volksbelustigung und nasser Mutprobe. So etwas würde es heute wohl nicht mehr geben – zu wild, zu ungezähmt und doch unvergesslich. In Erinnerung bleibt auch das riesige Fest zum Stadtjubiläum 2022 – das erste für die heutige Geschäftsführerin der Goslar-Marketing-Gesellschaft (GMG) Marina Vetter, die zwar schon seit zwei Jahren im Amt war, aber durch Corona zuvor nur wenig Gelegenheit hatte, die Stadt in Feierlaune zu versetzen und dann unter anderem mit dem Videomapping ein Ausrufezeichen setzte. Diese Geschichten, voller Begegnungen, Lachen und gemeinsamer Momente, machen das Altstadtfest seit fast fünf Jahrzehnten zu einem unverzichtbaren Teil des städtischen Lebens.
„Einzigartiger Geist“
„Das Altstadtfest trägt seit 1977 einen einzigartigen Geist in sich – die Mischung aus Spontaneität, Kreativität und Gemeinschaft macht es bis heute unverwechselbar. Über die Jahre haben wir das Fest behutsam weiterentwickelt, ohne seinen Ursprung zu verlieren. Besonders das Comeback der Abzucht-Bühne zeigt, wie Tradition und neue Ideen zusammenfinden“, sagt Vetter. Die Tourismus-Expertin steht vor der charmanten Qual der Wahl: 2026 die 50. Auflage oder 2027 das 50-jährige Bestehen des Altstadtfestes – beides klingt nach einer guten Idee. Vielleicht liegt auch gerade in dieser doppelten Jubiläumschance die schönste Pointe der Geschichte der Altstadt-Sause: Dass ein Fest, das einst mit nassen Schriftsetzern im Marktbrunnen begann, nun gleich zweimal Grund zum Anstoßen bietet – und die Abzucht am Ende wie ein stiller Chronist alles mit sich fortträgt. Wir sind gespannt.

Party-Zone Abzucht: Es war rappelvoll, die Bühne ist noch über dem Flüsschen aufgebaut. Foto: Epping

Die Taufe im Marktbrunnen ist ein fester Bestandteil des Festes in den 70er und 80er Jahren. Hier muss der ehemalige IT-Chef der Goslarschen Zeitung, Hartmut Duczek daran glauben. Foto: Epping
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