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Nach Sturz des Assad-Regimes

GZ Plus IconDrei Goslarer Syrer besuchen die Heimat ihrer Eltern

An der Grenze zum Libanon: Laith (von links), Tim und Leon Yassin Hulwani auf dem Weg aus Syrien zurück nach Deutschland.

An der Grenze zum Libanon: Laith (von links), Tim und Leon Yassin Hulwani auf dem Weg aus Syrien zurück nach Deutschland. Foto: Privat

Aus Goslar nach Syrien: Drei Schüler des Christian-von-Dohm-Gymnasiums haben die Heimat ihrer Eltern besucht. Bisher kannten sie Syrien nur aus Erzählungen. Sie sind begeistert von der Freundlichkeit der Menschen und schockiert vom Straßenverkehr.

Von Petra Hartmann Dienstag, 28.10.2025, 14:00 Uhr

Goslar. Das also ist das Land, aus dem ihre Eltern kommen: Die Geschwister Laith (16) und Leon Yassin Hulwani (14) und ihr Cousin Tim Hulwani (15) haben sich in den Herbstferien in Syrien umgesehen. Ein Land, das sie selbst nur aus Erzählungen ihrer Eltern kannten, das aber doch auch Heimat ist. Seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember sehen viele geflüchtete Syrer in dem Land wieder ihre Zukunft und denken an Rückkehr. Für die drei Goslarer beziehungsweise Jerstedter wäre es keine „Rückkehr“ – sondern für sie gibt es ein völlig neues Land zu entdecken.

Möglich machte die dreiwöchige Reise für die drei Schüler des Christian-von-Dohm-Gymnasiums eine Sondergenehmigung des Schulleiters, der den Start eine Woche vor Ferienbeginn erlaubte. Ein bisschen Unterrichtsvorbereitung war es gleichwohl: Später wollen die drei ein Referat über ihre Reise und ihre Erlebnisse halten.

„Ich war als kleines Kind da, aber ich hatte keine Erinnerungen mehr daran“, sagt der 16-jährige Laith, der älteste der drei, der im Jahr 2010 zusammen mit seinen Eltern das Land verließ. Vater Obaida Hulwani und Mutter Diana Allusch waren es nun, die mit den drei Jungen nach Syrien flogen und ihnen das Land zeigten.

Auf dem Qasyoon-Berg in Damaskus mit Ausblick auf die Hauptstadt: Laith (von links), Tim und Leon-Yassin Hulwani erkunden Syrien.

Auf dem Qasyoon-Berg in Damaskus mit Ausblick auf die Hauptstadt: Laith (von links), Tim und Leon-Yassin Hulwani erkunden Syrien. Foto: Privat

„Ich fand die Atmosphäre sehr lebendig, die Menschen waren freundlich“, sagt Laith. „Mir hat es auch gut gefallen“, sagt Cousin Tim. „Es war ein schönes Erlebnis, Syrien kennenzulernen.“

Sie trafen viele Verwandte, besuchten die Mittelmeerküste, schauten sich die Hauptstadt Damaskus an und – ganz wichtig – sie waren in Homs zu Besuch, der Heimatstadt des Vaters, und brachten auch ein Foto von der großen Uhr mit nach Hause, dem Wahrzeichen der Stadt, das in verkleinerter Nachbildung auch im heimischen Wohnzimmer steht. Die Uhr hatten sie in ihrer Zeit in Homs täglich vor Augen, sie war ein wichtiger Orientierungspunkt bei ihren Entdeckungsreisen.

Einige überraschende Begegnungen gab es. Etwa, als die drei allein unterwegs waren und der Vater sie bat, ihm ein Foto von der Straße zu schicken, durch die sie gerade gingen. „Ihr steht genau vor dem Haus meiner Cousine“, sagte er dann. Die drei klingelten und wurden sofort herzlich empfangen.

Tourismus – die Zukunft des Landes?

Ein bisschen Arabisch haben die drei Jugendlichen schon gelernt und konnten sich verständigen. Ihr deutscher Akzent dürfte aber nicht zu überhören gewesen sein, glauben sie. Aber auch viele Deutsche haben sie schon getroffen. Wenn sie sich untereinander auf Deutsch unterhielten, wurden sie oft angesprochen, von Syrern, die in Deutschland gelebt hatten, aber auch von Touristen, die bereits langsam das Land für sich entdecken. Tourismus könnte überhaupt die Zukunft für Syrien sein, glauben sie, und auch einige Influencer machen bereits Werbung für Urlaub in Syrien. Sehr beeindruckt hat sie, wie sauber die Strände und das Meer dort sind.

Im Zentrum von Damaskus, mit der neuen syrischen Flagge im Hintergrund.

Im Zentrum von Damaskus, mit der neuen syrischen Flagge im Hintergrund. Foto: Privat

Schrecklich dagegen: Der Verkehr. „Es gibt keine Regeln“, sagt Laith. Alle hupen, keiner achtet auf Ampeln, die einzige Regel scheint zu sein: „Wenn du fährst, bremse ich. Wenn ich fahre, bremst du.“ Und einen Führerschein braucht dort offenbar auch niemand. Aber: „Unfälle haben wir gar keine gesehen“, sagt Leon verwundert.

Viele Solaranlagen

Ein Land, das nach dem Ende des Assad-Regimes wieder aufgebaut wird. Viele Ruinen haben die drei gesehen. In der Hauptstadt laufen bereits viele Projekte, erzählt Laith, „aber außerhalb ist sehr viel zerstört“. Tim fügt hinzu: „In Homs ist am meisten zerstört. Man merkt, dass die neue Regierung versucht, es wieder aufzubauen.“ Beim Stromnetz zum Beispiel seien bereits Erfolge zu sehen: „Vorher hatten sie nur zwei Stunden am Tag Strom, jetzt sind es sechs bis acht Stunden am Tag. Das hört sich für uns hier in Deutschland wenig an, aber es ist schon ein sehr großer Fortschritt.“

Beeindruckt hat die drei, wie viele Solaranlagen auf den Dächern zu sehen waren.

Auf dem Uhr-Platz in Homs, der Heimatstadt von Vater Obaida Hulwani (3. v. li.)

Auf dem Uhr-Platz in Homs, der Heimatstadt von Vater Obaida Hulwani (3. v. li.) Foto: Privat

Und ist es nun ein Heimatland oder etwas völlig Fremdes? „Die Kultur war ein Teil unseres Lebens“, sagt Laith. „Aber man kann sich manches so gar nicht vorstellen. Bis vor einem Jahr gab es für uns noch keine Möglichkeit, das Land zu sehen, nur Bilder und Videos.“ Aber eines ist klar: „Ich habe mich in Syrien wohlgefühlt und sehr sicher.“ „Auch wenn wir Deutsch geredet haben, war das in Ordnung, die haben sich sogar sehr gefreut“, sagt Leon. Tim: „Für mich ist Syrien ein Teil meiner Heimat, aber größtenteils als Heimatland meiner Eltern. Seit dem 8. Dezember gibt es die Möglichkeit, das Land zu besuchen. Das Land ist frei, man kann es sehen, wenn man es möchte.“

Begeistert von der Küste

Schlimm fand Laith das Ausmaß der Zerstörung, sehr gefallen hat ihm die Küste: „Alles war extrem sauber, das Wasser sehr durchsichtig.“ Traurig fand Tim, dass viele der Häuser nicht mehr da waren. Etwa die Grundschule seines Vaters. Sehr positiv überrascht ist er von der Modernität, die ins Land Einzug gehalten hat. Leon erinnert sich an ein paar „wunderschöne Ecken, wo uns die Leute erzählt haben: Vor dem 8. Dezember hätte sich niemand getraut, an dieser Stelle stehenzubleiben.“ Denn das Regime hatte die schönsten Plätze, für sich reserviert, und wer in der Nähe stehen blieb und sich umschaute, wurde von Assads Schergen zusammengeschlagen oder mitgenommen.

Sich vorzustellen, dass man noch vor kurzer Zeit als Elf- oder Zwölfjähriger ins Gefängnis geworfen werden konnte, erschreckt Laith. In Syrien lernten schon kleine Kinder, sich von Beamten fernzuhalten.

Über Folter spricht man nicht

Ein Land im Aufbruch. Menschen, die sich einfach nur freuen wollen, dass die schreckliche Zeit vorbei ist. Die nach vorne blicken und ihr Land aufbauen wollen. Die drei CvD-Schüler erinnern sich vor allem an die positive, freundliche Stimmung. Aber haben sie auch Leute getroffen, die in Assads Folter-Gefängnissen eingekerkert waren? Langsam schütteln sie den Kopf. Nein, niemanden ... „Doch“, sagt Vater Obaida Hulwani ruhig. „Onkel Achmed war neun Monate im Gefängnis und Onkel Tamir ein Jahr.“ Aber davon haben die Erwachsenen geschwiegen. „Sie wollten mit euch noch nicht darüber reden, weil ihr noch so jung seid.“

Und könnten sich die drei nun vorstellen, wieder nach Syrien zu fahren? Oder gar, in das Land ihrer Eltern „zurück“ zu kehren. Einen syrischen Pass haben sich die drei tatsächlich vor Ort ausstellen lassen. Aber: Erstmal wollen sie die Schule beenden. Danach vielleicht etwas tun, um das Land mit aufzubauen. Und weitere Urlaubsreisen in das Land könnten sie sich auch vorstellen.

Leon Yassin (von links), Tim und Laith Hulwani haben sich Syrien, das Heimatland ihrer Eltern angeschaut. Sie sind betroffen von der Zerstörung, aber begeistert von der Freundlichkeit der Menschen.

Leon Yassin (von links), Tim und Laith Hulwani haben sich Syrien, das Heimatland ihrer Eltern angeschaut. Sie sind betroffen von der Zerstörung, aber begeistert von der Freundlichkeit der Menschen. Foto: Hartmann

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