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Dystopie, Frauenbücher, Biografisches

GZ Plus IconElke Brummer gibt in der Jürgenohler Bürger-Bücherei Lesetipps

Elke Brummer gibt Buchtipps für den Leseherbst: Rund 50 Besucher kamen zum Literaturabend in die Jürgenohler Bürger-Bücherei und ließen sich inspirieren.

Elke Brummer gibt Buchtipps für den Leseherbst: Rund 50 Besucher kamen zum Literaturabend in die Jürgenohler Bürger-Bücherei und ließen sich inspirieren. Foto: Hartmann

Zehn Buchtipps für die dunkle Jahreszeit: In der Jürgenohler Bibliothek stellte Elke Brummer neuen Lesestoff vor. Dystopien, Autobiographisches, Frauenbücher und „klebriger“ Horror waren dabei. Und ein Buch, von dem sie nicht ganz überzeugt war.

Von Petra Hartmann Samstag, 11.10.2025, 04:00 Uhr

Goslar. Herbstzeit, Lesezeit. Wer sich auf lange, dunkle Abende mit einer warmen Kuscheldecke, einem heißen Tee und einem guten Buch vorbereiten wollte, der fand reichlich Inspiration in der Jürgenohler Bürgerbücherei. Elke Brummer, die für ihre Zuhörer regelmäßig Bestsellerlisten und mit Preisen ausgezeichnete Werke durchstöbert, hatte erneut zehn Lesetipps vorbereitet. Über 50 Besucher waren an diesem Abend in die Bücherei gekommen.

„Viel Herbst, aber auch noch ein bisschen Sommer“ hatte Brummer mitgebracht. Sehr unterschiedliche Werke, aber kein schlechtes: „Die Bücher, die ich blöd finde, lasse ich zu Hause“, versprach die Lese-Lotsin.

„Täuschend echt“, lautet der Titel ihres ersten Buchtipps. Der Roman von Charles Lewinsky handelt von einem Werbetexter, der bisher Sprüche über Müslis erfunden hat. Bis ihn eine KI ersetzte. Für den Helden des Buchs gibt es aber eine neue Chance, als er einen Mäzen trifft, der ihn als Autor anheuert. Es entsteht die anrührende Geschichte eines Mädchens aus Afghanistan, ein Roman, der mit höchsten Ehren und Auszeichnungen überschüttet wird. Was der Ex-Werbetexter geflissentlich verschweigt: Das Manuskript hat er sich von Chatgpt zusammenkleistern lassen. „Ganz witzig, hat mir gut gefallen“, so Brummers Fazit.

Folgenschwerer Kurzschluss

In „Wackelkontakt“ erzählt Wolf Haas von einem Trauerredner, der nicht zufällig den Namen Escher trägt. Die verschlungene, durch einen elektrischen Unfall ausgelöste Geschichte führt ihn mit dem Mafioso Russo zusammen, der per Zeugenschutzprogramm aus seinem Milieu aussteigen will. Escher liest ein Buch über Russo, Russo liest gleichzeitig ein Buch über Escher – und plötzlich gibt es einen Kurzschluss. „Ich verstehe nicht, dass die auf der Leipziger Buchmesse den Roman nicht ausgezeichnet haben“, kommentiert Brummer, die sich gern an Preisen und Auszeichnungen orientiert. Das Buch sei „beste Unterhaltung mit Sinn für Humor und Spannung“.

Den Preis, den Haas verpasste, erhielt Kristine Bilkau für „Halbinsel“, ein Roman für die Geschichte einer Mutter und ihrer Tochter, die sich nach Jahren der Trennung wieder näher kommen. Die Mutter hat ihre Tochter immer bewundert, die im Namen einer Umweltorganisation unterwegs ist. Doch dann erleidet die Tochter einen Schwächeanfall und muss wieder zu Hause einziehen ... „Ein Herantasten, ein sehr ruhiges Buch, fein aufgedröselt“, charakterisiert Brummer das Werk. Und: „Eher ein Frauenbuch.“

Der Kontrasttitel: „Das Lied des Propheten“ von Paul Lynch. „Für Zartbesaitete ist das nicht das richtige Buch. Nichts für alle, die so ein bisschen die Blümchenkante lieben“, warnt die Referentin. Ein Buch, das auch ein wenig wie ein Kommentar zur aktuellen Situation in den USA wirkt, obwohl das 2023 mit dem Booker-Preis ausgezeichnete Buch noch nicht unter dem Eindruck der zweiten Trump-Regierung geschrieben wurde. „Was passiert, wenn ein Land so sukzessive wegrutscht in ein faschistisches System?“, fragt Brummer. Lynch zeigt es anhand einer in Irland spielenden Dystopie. „Kein stimmungsaufhellendes Buch, kein Happy End, aber gut geschrieben.“

Ebenfalls um ein autoritäres Regime geht es in Christoph Heins „Narrenschiff“ – „ein ziemlicher Brecher, aber es liest sich gut“, kommentiert Brummer das Werk, das die Geschichte dreier Männer erzählt, die über 40 Jahre hinweg in der DDR Karriere machen. Die persönlichen Geschicke sind verbunden mit der Geschichte der DDR und der benachbarten Staaten, Erinnerungen an den Prager Frühling, den Mauerbau, Engpässe in der Versorgung, die Ära Chruschtschow werden verwoben mit drei Biografien, eine Chronik in Romanform. Das alles „gut eingefangen, gut lesbar und die 800 Seiten lesen sich schnell und zügig“, verspricht Brummer.

Zwei Bücher von Eve Harris legte sie den Zuhörern gleichfalls ans Herz: „Die Hochzeit der Chani Kaufmann“ und „Die Hoffnung der Chani Kaufmann“ erzählen von einer jungen Frau, die zu Beginn der Handlung 19 Jahre alt ist und in einer orthodoxen jüdischen Gemeinschaft in London aufwächst. Traditionsgemäß wird sie mit einem Mann verheiratet, den sie erst am Tag der Hochzeit kennenlernt. Ein Ausbrechen aus der Tradition ist nicht vorgesehen. „Das ist so, das war so, das wird immer so sein“, fasst Brummer zusammen. Wird Chani glücklich? Das verrät die Bücherfachfrau nicht.

Alle Wünsche werden wahr

Thomas Melle ist ein Autor, der es Brummer angetan hat. Und auch mit seinem neuen Buch „Haus zur Sonne“ hat der Autor ihr Herz getroffen. Ein autofiktionaler Roman, in dem der Autor, der selbst an einer bipolaren Störung leidet, über einen Helden mit derselben psychischen Krankheit schreibt. Dieser erhält ein ungewöhnliches Angebot zum Ausstieg aus seiner persönlichen Hölle: Im „Haus zur Sonne“ können Patienten den ersehnten Tod finden – und zuvor durch eine Droge in ihren Vorstellungen alle, buchstäblich alle Wünsche erfüllt bekommen. „Das geht unter die Haut“, so Brummers Leseerfahrung. „Ein irre dichter Text.“

Ein weiteres Buch, das von der biografischen Erfahrung des Verfassers geprägt ist: „Die Ausweichschule“ von Kaleb Erdmann. Der Autor war 2002 Schüler der Erfurter Gutenbergschule, als ein Amokläufer 16 Menschen tötete und danach sich selbst umbrachte. Erdmann war damals Fünftklässler und elf Jahre alt. Erst sehr viel später stellte er fest: „Das hat mit mir etwas gemacht, das hat mich beschäftigt, mein Körper reagiert auf bestimmte Dinge ...“ Er machte sich auf die Spurensuche. Ein eigentlich sehr ernstes Buch, aber zugleich auch stellenweise sehr lustig: „Es hat was von Loriot, es ist unglaublich gut, mit viel Sinn für Humor und Wortwahl“, sagte Brummer.

Dorothee Elmiger schildert in „Die Holländerinnen“ eine Expedition in den tropischen Regenwald. Eine namenlose Autorin erhält von einem berühmten Regisseur das Angebot, die Suche nach zwei verschwundenen Studentinnen zu begleiten. „Ich bin ja Cover-Käufer“, merkte Brummer beim Blick auf das Titelbild an. „Wenn ein Buch so schön aussieht, dann ist es meins.“ Inhaltlich sei die 150 Seiten starke Novelle schon ein Schwergewicht. „Das Buch fordert den Leser, es ist so klebrig, so ein Horror, so anspruchsvoll, es entsteht so eine Angst ...“, versuchte Brummer ihre Erfahrungen mit dem Büchlein in Worte zu fassen. Ihr Tipp: „Langsam lesen.“

Ein Buch, bei dem sie noch nicht ganz wusste, ob sie es gut oder schlecht finden soll: „Die Assistentin“ von Caroline Wahl. Eine junge Frau gerät als Assistentin an einen narzisstischen Leuteschinder. „Wenn sie nicht so ein Star wäre, hätte der Verlag das never ever als gebundenes Buch herausgebracht“, meinte Brummer. Der Verlag habe auch eine gewisse Verantwortung. „Hier wird eine junge Autorin extrem verheizt.“ Ihr Tipp: „Ausleihen oder warten, bis es als Paperback herauskommt.“

Raue Typen an Irlands Küste

Letzter Titel für diesen Abend: Benjamin Woods Roman „Der Krabbenfischer“. Geschichte eines Anfang-20-Jährigen, der das Leben eines 100-Jährigen führt. Ein Krabbenfischer, der täglich mit seinem Pferd und dem Schleppnetz an der Küste im flachen Wasser fischt. Ein karges Leben. Bis ein amerikanischer Regisseur im Ort auftaucht und den Mann zum Filmstar machen will. „Ein ganz ruhiges Buch, nebelverhangene Tage, dazu ein Glas Wein, ein schöner Tee, irische Küsten, raue See, raue Typen. Alles ist irgendwie rau und kalt“, fasst Brummer zusammen. Ihr Tipp, nicht nur für dieses Buch: „Selber lesen.“ Eine Empfehlung, der viele Zuhörer sicher nachkommen werden.

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