„Eigentor“: AfD-Landesvorstand prüft Konsequenzen

Hauptfiguren beim AfD-„Bürgerdialog“ am vergangenen Freitag in Seesen: Der Bundestagsabgeordnete Dirk Brandes, zugleich Geschäftsführer der AfD-Fraktion in der Regionsversammlung der Region Hannover, spricht zu den Besuchern im Jacobsonhaus. Am Rednerpult steht Main Müller, bislang Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Goslar. Mit dabei sind der Bundestagsabgeordnete Micha Fehre (l.), Mitglied im AfD-Landesvorstand. Foto: Neuendorf
Wie geht es mit dem AfD-Kreisverband in Goslar nach dem Streit beim „Bürgerdialog“ in Seesen weiter? Am 1. November soll es Neuwahlen geben. Doch der Zwist könnte Auswirkungen bis nach Hannover haben.
Hätten die Verantwortlichen aus dem AfD-Kreisverband Goslar geahnt, dass ihre als „Bürgerdialog“ angekündigte Veranstaltung in Seesen am vorigen Freitag in einem Fiasko enden würde, hätten sie wohl nicht den Videofilmer eingeladen, dessen Youtube-Beiträge als „Weichreite TV“ vor allem in der rechten Szene beliebt sind. So aber wird ein großes Publikum in Internet nach wie vor Zeuge des Schauspiels, das die AfD vor rund 80 Besuchern im Jacobson-Haus aufführte.

Rund 80 Besucher haben am Freitag im Jacobson-Haus in Seesen einen Streit auf offener Bühne erlebt, als sie einen AfD-„Bürgerdialog“ besuchten. Foto: Neuendorf
„Eskalation!!!!“ hat der „Weichreite“-Mann, der Medienberichten zufolge der AfD angehören soll, treffend über sein Video geschrieben, das den heftigen Zwist als denkwürdiges Stück mit Verbalattacken in ganzer Länge zeigt. Besonders markante Stellen zeigt „Weichreite“ in einem eigenen Ausschnitt. „Halt du die Fresse“ und „werd nicht frech“, sagt der aufgebrachte Landtagsabgeordnete Omid Najafi zum Kreisvorsitzenden Main Müller und fragt mehrfach, ob dieser ihm etwa drohe und ihn aufgefordert habe, gemeinsam vor die Tür zu gehen.
Streit zieht Kreise
Mittlerweile haben mehrere überregionale Medien über den AfD-Krawall in Seesen berichtet. Der AfD-Landesvorstand hat am Montag mitgeteilt, dass er das Verhalten aller Beteiligten missbillige und sich von „jeglichem unangemessenen Verhalten“ distanziere. Außerdem heißt es: „Wir entschuldigen uns bei allen Bürgern, die vor Ort waren.“ Der Vorfall ist der Partei unangenehm.
Ursprünglich hätten der umstrittene Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah und der Landtagsabgeordnete Mike Moncsek nach Seesen fahren sollen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Stattdessen reiste aber ein Trio aus Hannover an: die beiden AfD-Bundestagsabgeordneten Micha Fehre und Dirk Brandes sowie der AfD-Landtagsabgeordnete Omid Najafi.
Fehre, der dem Landesvorstand als Beisitzer angehört und als einer der ersten sprach, kam gleich zur Sache. Der Landesvorstand habe entschieden, einen Vertreter zu schicken. Dass dies richtig sei, habe sich gleich bestätigt, denn Main Müller habe einige Vorstandsmitglieder, mit denen er seit einiger Zeit im Clinch liegt, nicht begrüßt und zudem am Eingang zum Bürgersaal im Jacobson-Haus abgewiesen, ebenso den Landtagsabgeordneten Najafi.
Kritik am Kreisvorsitzenden Müller
Fehre erklärte weiter, dem Landesverband sei bekannt, dass der Kreisverband Goslar „ein Problem“ hat. Dies sei auch der Grund dafür, dass Krah und Moncsek abgesagt hätten. Sie hätten nicht in den Konflikt hineingezogen werden wollen, meinte Fehre. Das „Problem“, das der Kreisverband habe, hat aus Fehres Sicht einen Namen, auch wenn er das so nicht ausdrücklich sagte, aber er deutete es an, als er erklärte, „demokratische Mehrheiten würden nicht toleriert“. Stattdessen werde über sie hinweggegangen. Müller bezeichne sich als AfD-Chef, das sei auch anderswo bekannt. Es gebe aber in der AfD „niemanden, der hier einfach nur der Chef ist“, das seien „falsche Prinzipien“, die der Landesvorstand missbillige.
Fehre warf Müller zudem vor, dass dieser einen für vorigen Mittwoch in Oker geplanten AfD-Stammtisch abgesagt hatte. Müller begründete dies damit, dass die GZ sich angekündigt habe, er hätte von anderen Kreisvorstandsmitgliedern vor der Öffentlichkeit vorgeführt werden sollen.
Müller, der sich als Opfer von Intrigen sieht, reagierte überrascht und wirkte zunächst überrumpelt. Als Sven Teske, einer seiner Kritiker aus dem Kreisvorstand als Redner angekündigt wurde, fragte er, ob jetzt der ganze interne Streit ausgebreitet werden solle. Am Ende der Szene, als Omid Najafi ihn verbal attackierte, sagte Müller zu Najafi, Brandes und Fehre: „Ist es das, was ihr heute machen wolltet?“ Dann sagte er, indem er nacheinander mit dem Finger auf die drei Abgeordneten zeigt: „Du hast heute ein Eigentor geschossen. Du, und du auch.“ Schließlich kündigte Müller, der als Freund des AfD-Landesvorsitzenden Ansgar Schledde gilt, „Konsequenzen“ an.
Konsequenzen prüfen
Wen tatsächlich Konsequenzen treffen könnten, das ist aktuell nicht klar. Der Landesvorstand hat in seiner Mitteilung vom Montag zwar angekündigt, „Parteiordnungsmaßnahmen“ prüfen zu wollen, er hat aber auch auf Nachfrage nicht erklärt, gegen wen sich diese richten könnten. Müller, der sich zu Unrecht angegriffen fühlt und im Jacobson-Haus mehrfach gesagt hatte, solche Dinge sollten hinter verschlossenen Türen geklärt werden, hatte am Montag auf Nachfrage erklärt, die drei Abgeordneten seien davon betroffen, nicht er.
Andere sehen hingegen in Müller ein Problem: Bevor der niedersächsische Landesvorstand dem gesamten Kreisvorstand Goslar kürzlich den Rücktritt und Neuwahlen für den 1. November nahelegte, waren Mitte August fünf Mitglieder des Kreisvorstands, der halbe Vorstand also, aus Protest gegen Müller zurückgetreten. Ende des Monats schickten sie dem Landesvorstand ein achtseitiges Papier, um sich über Müller zu beschweren. In Hannover sind sie also gut informiert über die Vorgänge im Kreisverband Goslar.
„Allgemeine zwischenmenschliche Probleme“, mehr nicht. So hatte der niedersächsische AfD-Landesvorstand am Freitag vor dem verbalen Showdown im Jacobson-Haus auf Nachfrage der GZ den Grund für die bekannten Dauer-Probleme im Kreisvorstand Goslar beschrieben. Als Auslöser für den länger zurückliegenden Konflikt kann der Besuch von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke gesehen werden, der im Juli Main Müller und dessen Lebensgefährtin Olga Grabo in Seesen besuchte. Müller gilt als bürgerlich-konservativ, so beschreibt er sich selbst. Das Treffen sei privat gewesen, er habe sich nur einen Eindruck von Höcke verschaffen wollen. Dennoch brüskierte er mit dem Besuch seinen Kreisvorstand, den Landesvorstand in Hannover und die meisten niedersächsischen Kreisvorsitzenden, die ihn daraufhin aus einer Chat-Gruppe ausgeschlossen haben, wie Micha Fehre am Freitag erklärte. Landesvorsitzender Ansgar Schledde hatte der GZ nach dem Höcke-Besuch seinerzeit erklärt, er sei nicht informiert gewesen und „schwerstens irritiert“.
Höcke in Seesen
Main Müller hatte die Bilder von Höcke, die den Rechtsextremisten aus Thüringen mit ihm am Küchentisch und lächelnd neben Olga Grabo zeigen, in einer internen AfD-Gruppe verbreitet. Sie fanden auch den Weg in die Goslarsche Zeitung. Daraufhin bezichtigte Müller mehrere Vorstandsmitglieder, sie hätten diese an die GZ weitergereicht und schloss sie aus Whatsapp-Gruppen aus.
Der Streit könnte auch für den Landesvorsitzenden zum Problem werden. Müller und Schledde sollen Jagdfreunde sein. Der Dachdeckermeister aus Seesen konnte nur Vorsitzender werden, weil Schledde den früheren Kreisvorstand um den Goslarer Dirk Straten im Juni 2024 handstreichartig ohne Vorwarnung und Anhörung abgesetzt hatte. Das Bundesschiedsgericht, bei dem der Fall nahezu ein Jahr lag, bezeichnete die Absetzung in seinem Urteil vom Juli dieses Jahres als „rechtswidrig“. Als Grund für den Sturz des früheren Kreisvorstands, der geräuschlos gearbeitet hatte, hatte Schledde seinerzeit erklärt, dieser nehme Interessenten nicht sofort als Parteimitglieder auf, sondern biete ihnen zunächst nur eine Fördermitgliedschaft an. Der Bundesvorstand sah darin aber kein gravierendes Fehlverhalten. Er stellte fest, es liege kein Verstoß vor, der eine Absetzung gerechtfertigt hätte.
Kurz bevor Schledde den früheren AfD-Kreisvorstand um Dirk Straten abgesetzt hatte, soll es eine auffällige Zahl von Bewerbungen für eine Mitgliedschaft im Kreisverband Goslar aus dem Raum Seesen gegeben haben. Main Müller wurde im Oktober 2024 zum Kreisvorsitzenden gewählt, als Straten abgesetzt war. Nun bleibt abzuwarten, wie der Landesvorstand in Hannover auf die, wie er sagt, „Verwerfungen“ reagiert, die ihre Ursache seiner Meinung nach in „Kommunikationsdefiziten“ und „mangelnder Disziplin“ haben. Main Müller hatte während des Streits erklärt, er sei sicher, dass der Zwist zu einer Spaltung des Landesverbands führe.
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