Drei Frauen „weggetreten“: K.o.-Tropfen in Disco verabreicht?

Gläser stehen auf der Bar in einem Club. Gemeinsames Feiern kann gefährlich werden, wenn Täter aus dem Bekanntenkreis oder fremde Kriminelle Chemikalien nutzen, um Opfer wehrlos zu machen. Bekannt sind die Mittel als K.-o.-Tropfen. Foto: Jens Kalaene, dpa/pa
Einem Frauen-Trio wurde in Heinbockeler Disco (Landkreis Stade) plötzlich schwindelig, sie mussten sich erbrechen. Wurden K.-o.-Tropfen in ihre Getränke gemischt? Der Weisse Ring warnt: „Ein riesiges Dunkelfeld.“ Was Sie über K.o.-Tropfen wissen müssen.
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Drei Frauen sind in einer Diskothek in Heinbockel (Landkreis Stade) in eine „hilflose Lage“ geraten. Die Betroffenen im Alter zwischen 22 und 34 Jahren hätten dort gefeiert und seien nach wenigen Getränken „plötzlich weggetreten“, heißt es von der Polizei. Die Frauen hätten sich mehrfach übergeben müssen und seien dann in die Krankenhäuser nach Bremervörde und Stade eingeliefert worden. Die Polizei vermutet, dass Unbekannte den drei Frauen sogenannte K.o.-Tropfen in die Getränke gemischt haben. Die Polizei hat Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet.
Weißer Ring: Riesige Dunkelziffer
Die Opferschutzorganisation Weißer Ring fordert mehr Aufklärung. «Wir wissen nicht, wie groß das Problem ist. Die Datenlage ist schlecht, wir haben ein riesiges Dunkelfeld», sagte Céline Sturm, die bei der Organisation für Kriminalprävention zuständig ist. «Es muss mehr Licht ins Dunkle gebracht werden, indem mehr dazu geforscht wird.» Nur so sei herauszufinden, wie groß das Problem sei.
Die Substanzen wirken wie Drogen. Täter schütten die meist geschmacks- und geruchlosen Chemikalien in die Getränke ihrer Opfer. Nach einigen Minuten wird den Opfern schwindelig, sie können nicht mehr klar denken und wirken und fühlen sich, als wären sie betrunken. Kurz darauf werden sie für Minuten oder auch mehrere Stunden bewusstlos.
Die Täter nutzen diese Zeit für Sexualdelikte oder zum Ausrauben. Die Opfer können sich hinterher meist nicht mehr richtig daran erinnern.
Es gebe bis zu 200 verschiedene Substanzen, die als K.-o.-Tropfen eingesetzt werden, sagte Sturm. Die Gefahr bestehe darin, dass diese Substanzen schwer zu erkennen seien. Zudem seien sie nicht lange im Körper nachzuweisen - im Blut sechs Stunden nach Verabreichung, im Urin bis zu zwölf Stunden. Sturm riet, bei Feiern Getränke nie unbeobachtet zu lassen und aufeinander aufzupassen, um nicht zum Opfer zu werden. «Bei Frauen sind es häufig Sexualdelikte, bei Männern auch Raubdelikte.»
Opfer berichtet: «Mir fehlen zehn Stunden Erinnerung»

Alexandra Roth befürchtet, dass wieder mehr Betroffene Hilfe bei ihr suchen. Anders als in den vergangenen zwei Jahren darf nun ausgelassen und weitgehend ohne Corona-Beschränkungen gefeiert werden. Bei Festivals tanzen die Leute wieder ausgelassen. Bars und Clubs haben bis in den Morgen geöffnet. Ein leichtes Spiel für Täter.
Nicht wenige Opfer gehen nach einer Tat auch aus Scham nicht zur Polizei. «Man schämt sich so dafür. Hat man selbst einen Fehler gemacht?», fragte sich auch Alexandra Roth. Mit ihrer Initiative «NO! K.O.» will sie solche Ängste nehmen und Tipps geben: etwa Drinks in Clubs nicht unbeaufsichtigt lassen und aufeinander achtgeben. Sie rät zudem: «zusammen feiern und zusammen wieder nach Hause gehen».
Was Sie über K.o.-Tropfen wissen sollten
K.o.-Tropfen betäuben - sie sollen das Opfer willenlos machen. Oft mischen Täter die Substanz gezielt in Getränke. „Du hast plötzlich geschwitzt. Dir war übel. Du hast gezittert und warst nicht mehr ansprechbar.“ So beschreiben meist Freunde hinterher einen Zustand, an dem man sich selbst nicht erinnern kann. Man weiß nur noch, dass man vielleicht mit Kumpels in einer Bar war und einen Drink bestellt hat. Der Rest: ein einziger Filmriss.
„Man sollte aufmerksam werden, wenn sich das Verhalten einer Person plötzlich ändert und zum Beispiel ihre Stimmung nicht allmählich, sondern plötzlich umschwenkt“, sagt Petra Zahn, Chefärztin in de Klinik für Interdisziplinäre Notfallmedizin in den Kreiskliniken Reutlingen. Sie räumt aber ein, dass in solchen Fällen auch immer andere Ursachen vorliegen können: „Auch Alkohol wirkt als psychotrope Substanz, hat Einfluss auf das zentrale Nervensystem und kann im Vergiftungsfall die gleichen Symptome hervorrufen.“
Ein Anzeichen: Der Rausch tritt plötzlich auf
Woran merkt man also, ob eine Person einfach nur betrunken ist oder ob ihr jemand etwas ins Glas gemischt hat? „Auffällig ist, dass der Rausch bei K.o.-Tropfen schneller und stärker eintritt“, sagt Arwen Jäkel, die beim Projekt „mindzone“ des Landescaritasverbandes Bayern arbeitet. „K.o.-Tropfen wirken bereits innerhalb weniger Minuten“, erklärt die Sozialpädagogin. Wichtig sei, sich selbst und auch Personen aus seinem Umfeld dazu zu animieren, auf das eigene Getränk aufzupassen, damit es erst gar nicht zu einer solchen Situation kommt.
Der Tipp „Pass gut auf dein Getränk auf“ war der 25-jährigen Kim Eisenmann aus Waldbronn in Baden-Württemberg nach einem Vorfall mit K.o.-Tropfen in ihrem Bekanntenkreis jedoch nicht mehr genug. Das Armband, das sie deswegen gemeinsam mit ihrem Team entwickelte, gibt es heute sogar in Drogerie-Märkten zu kaufen. Man tupft etwas von seinem Getränk auf das Armband und bekommt dann angezeigt, ob es „sauber“ ist oder die betäubende Substanz GHB enthält, eine der am geläufigsten bei K.o.-Tropfen.
Auch wenn das Thema Angst macht: Reden Sie!
Auch wenn es Kritiker gibt, die sagen, dass nicht nur diese Substanz für Verbrechen genutzt werde, wirken die Armbänder präventiv, indem sie potenzielle Täter abschrecken können, erklärt Arwen Jäkel. Dass das Thema vielen Eltern Angst macht, kann sie gut verstehen. Dennoch sollte es auf den Tisch kommen: „Durch eine Tabuisierung oder ein striktes Verbot wird meist nur erreicht, dass sich Kinder bei Problemen oder im Notfall nicht melden“, erklärt die 30-Jährige.
Auch Carola Klein vom Beratungszentrum Lara, einer Berliner Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen, rät, das Thema K.o.-Tropfen anzuschneiden. „Haben die Jugendlichen schon mal von einem K.o.-Drogen-Delikt gehört? Was wissen oder denken sie selbst darüber? Könnte ihnen das auch passieren?“ - all das sind Fragen, die Klein mit den jugendlichen Kindern klären würde.
Im Ernstfall keine Vorwürfe machen
Bei einem Ernstfall rät Jäkel Eltern, ruhig und ohne Vorwürfe zu reagieren. Dem stimmt auch Klein zu: „Der Fokus liegt aus unserer Sicht darauf, dass die alleinige Verantwortung beim Täter liegt. Die Opfer sind nicht dafür verantwortlich zu machen.“ Stattdessen sollte schnell entweder das Blut oder der Urin des Opfers getestet werden.