Zähl Pixel
Geheimes Idyll hinter der Stadtmauer

GZ Plus IconFamilie zieht in den Goslarer Kegelworth-Turm

Übergabe: Der ehemalige Besitzer Thomas Langmesser (von links) und die neuen Bewohner des Kegelworth-Turms, Franz und Carmen Steves, sind sich einig: Dieses Gebäude ist ein Schmuckstück.

Übergabe: Der ehemalige Besitzer Thomas Langmesser (von links) und die neuen Bewohner des Kegelworth-Turms, Franz und Carmen Steves, sind sich einig: Dieses Gebäude ist ein Schmuckstück. Foto: Hartmann

Im Goslarer Kegelworth-Turm ziehen neue Besitzer ein. Das spätmittelalterliche Verteidigungsbauwerk hat einen Anbau aus den 1980er Jahren und eine Decke aus Holz von der Verpackung der Marktkirchenorgel.

Von Petra Hartmann Sonntag, 12.10.2025, 18:00 Uhr

Goslar. Wer an der schier endlos langen Mauer an der Glockengießerstraße zum jüdischen Friedhof hinab wandert, übersieht das kleine Türchen zwischen den Felssteinen gewöhnlich. Doch dahinter tut sich ein überraschender Blick auf, und der Besucher landet in einer völlig anderen Welt: Im alten Kegelworth-Turm, der von der Straße aus kaum zu sehen ist, zog jetzt Familie Steves ein. Und ihr neues Zuhause ist wahrlich extravagant.

Carmen Steves liebt das Aufeinandertreffen von rustikalem Mittelaltercharme und moderner Architektur.

Carmen Steves liebt das Aufeinandertreffen von rustikalem Mittelaltercharme und moderner Architektur. Foto: Hartmann

Ein wuchtiger Turm aus hellen Felsbrocken erhebt sich nur wenig über die Mauerkante. Neben der alten Verteidigungsanlage aus der frühen Neuzeit leuchtet in Sonnengelb ein schiefergedeckter Anbau, der bewusst so gestaltet ist, dass er nicht versehentlich für einen Teil des historischen Bauwerks gehalten werden kann, sich aber trotzdem harmonisch in das Gesamt-Ensemble einfügt. Ein idyllischer Garten schmiegt sich in den Raum zwischen zwei 18 Meter langen Stadtmauerreihen, eine kleine Laterne spendet abends Licht. Ein Raum, in dem Epochen aufeinandertreffen. Und ein Ort mit Geschichte.

Baubeginn am „Urbanstag“

Der alte Turm in der Stadtmauer wurde im Jahr 1459 erbaut. Der Name Kegelworth-Turm erinnert an die Patrizierfamilie Kegel, die in der Nähe ihren Wohnsitz hatte und mehrere Grundstücke besaß. Baubeginn war am „Urbanstag“, 25. Mai. Fertigstellung: im selben Jahr. Über die Daten informiert ein Plakat, das die vorige Bewohnerin Heidrun Langmesser der Familie hinterlassen hat.

Ihr Mann Heinrich hatte den Turm von der Stadt erworben und ihn saniert, eine Aufgabe, die alles andere als einfach war, wie sich Sohn Thomas bei der Übergabe an das Ehepaar Steves erinnerte.

Die vergangenen Jahrhunderte hatten dem trutzigen Bauwerk übel mitgespielt. „Der Turm war eigentlich nur noch ein Schacht“, erzählte Thomas Langmesser. „Es sah aus wie ein Silo, alles offen. Es gab noch nicht einmal Zwischendecken. Mein Vater hat ihn vor dem totalen Verfall gerettet.“

Heinrich Langmesser war Bauunternehmer, und auch sein Sohn, Baujahr 1979, erwarb erste Erfahrungen auf dem Bau. „Inklusive eines Absturzes vom Gerüst“, erinnert er sich. Jedenfalls half der Junior bereits als 17-Jähriger im Unternehmen mit, auch bei der Sanierung des Turms.

Deckenholz aus Orgelverpackung

Viele kleine Besonderheiten haben die Langmessers hier eingebaut. Etwa das Holz der Decke im Erdgeschoss. „Es stammt von der Verpackung der Marktkirchenorgel“, erzählt der Sohn des Bauherrn.

Die Stadt Goslar, die zuvor Eigentümer des Turms war, scheute offenbar die Sanierungskosten und suchte einen Käufer, der sich der Sache annahm. Die ersten Planungen begannen 1984, als der Bauunternehmer sein Angebot an die Stadtgemeinde einreichte. 1986 wurde das Bauvorhaben angekündigt, im gleichen Jahr erfolgte der Kauf in Verbindung mit einer Sanierungsauflage. „Es war auch etwas schwierig, die vereinbarte Frist einzuhalten“, sagt Thomas Langmesser, es habe aber eine Fristverlängerung gegeben. 1989 wurde der Vertrag über die Baumaßnahmen einschließlich Instandsetzung des Turms und Errichtung eines Anbaus geschlossen.

Ein Hauch von Poesie

„Vielleicht schon in drei Jahren wird sich im 1459 erbauten Kegelworth-Turm an der Glockengießerstraße eine Wohnung befinden, um die sehr viele Bauherren Heinrich Langmesser beneiden dürften“, schrieb die Goslarsche Zeitung am 31. Juli 1991. Der Ort „lässt Stadtgeschichte zum Greifen nahe erscheinen und ist zudem von einem Hauch Poesie umgeben“.

Ein Plakat, das die ehemalige Bewohnerin malte, erinnert an den Baubeginn des Turms am "Urbanstag", 25. Mai 1459.

Ein Plakat, das die ehemalige Bewohnerin malte, erinnert an den Baubeginn des Turms am "Urbanstag", 25. Mai 1459. Foto: Hartmann

Es wurde ein Bauvorhaben, das sich lange hinzog. Auch als die Familie schon in dem Turm lebte, gab es immer noch viel zu verbessern und auszubauen. 2001 folgten die Sanitärarbeiten, Strom, Wasser und Abwasser. „2002 bis 2003 liefen Rohbau und Umbauarbeiten, dann ging alles Schlag auf Schlag“, sagt Thomas Langmesser. Im Jahr 2009 dann endlich die Schlussabnahme der Instandsetzung.

Sich von dem Turm jetzt zu trennen, war für ihn sicher keine leichte Entscheidung. Doch nach dem Tod des Vaters sei das Gebäude einfach zu groß für die Mutter gewesen, sie habe dort nicht allein leben können. Das Bauwerk sollte aber auf keinen Fall einfach nur an den Meistbietenden fallen. Schließlich ging es um die Übergabe eines Lebenswerks.

Ein modernes Büro mit dem Charme einer mittelalterlichen Schreibstube und mit traumhafter Aussicht.

Ein modernes Büro mit dem Charme einer mittelalterlichen Schreibstube und mit traumhafter Aussicht. Foto: Hartmann

Bei Familie Steves sprang dann sofort der Funken über.

„Ich habe hier drin gestanden und war fasziniert von dem Gefühl, das mir der Raum vermittelte“, erzählt Carmen Steves. Die 50-Jährige war beeindruckt davon, wie liebevoll hier das Haus in den Turmbau integriert wurde. Und das alles auch noch in einem Top-Zustand.

Ein Haus mit Charakter

Für Carmen Steves ist es auch ein Nach-Hause-Kommen. Denn die Beraterin und Gesundheitscoachin, die lange Zeit in Bonn gelebt und gearbeitet hat, ist gebürtige Goslarerin. Ihr Mann Franz ist Bonner. Der 65-jährige Architekt wollte sich aber nun gern in einer Kleinstadt ansiedeln. „Du suchst das Haus aus; ich möchte nur, dass es Charakter hat“, hatte er zu seiner Frau gesagt. Ein Haus mit Charakter hat sie zweifellos gefunden.

Und auch der neunjährige Sohn Leonhard ist zufrieden: Der Viertklässler hat oberhalb der Küche ein eigenes Reich, eine Räuberhöhle, die nur über eine enge Treppe zu erreichen ist. Ein kleiner Korb am Seil fungiert als Transportmittel für Verpflegung und Spielsachen. Für die beiden Eltern gibt es zwei Büros im Turm mit Ausblick auf die Straße.

Familie Steves vor der Tür zum versteckten Märchenschloss.

Familie Steves vor der Tür zum versteckten Märchenschloss. Foto: Hartmann

„Ich bin dafür dankbar, dass es geklappt hat“, sagt Carmen Steves. „Wir werden es wie ein Schmuckstück behandeln und in die Zukunft führen.“

Weitere Artikel
Weitere Themen aus der Region