Harzer Schmalspurbahnen: Reparaturstau seit Jahren bekannt
Eine der Dampflokomotiven der Harzer Schmalspurbahnen am Hauptbahnhof Wernigerode auf einem Drehkreuz. Foto: Matthias Bein/dpa
Bei den bedrohten Harzer Schmalspurbahnen sind defekte Loks und ein riesiger Reparaturstau offenbar schon seit Jahren bekannt. Ein internes Papier aus dem Jahr 2019 zeichnet ein düsteres Bild des Fuhrparks.
Wernigerode. Ein maroder Fuhrpark und jede Menge Stau bei der Instandhaltung: Die Probleme bei den Harzer Schmalspurbahnen (HSB), die aktuell um ihren Fortbestand bangen, sind durchaus länger bekannt. Schon ein internes Papier aus dem Jahr 2019, das der GZ vorliegt, listet die Mängel auf und spricht von einem hohen Sanierungsbedarf. Das aktuelle Desaster beim „Rollmaterial“ sei bereits damals absehbar gewesen, heißt es aus Mitarbeiterkreisen.
Zum Hintergrund: In der vergangenen Woche war Aufsichtsratschef Thomas Balcerowski mit der Aussage an die Öffentlichkeit getreten, dass die HSB dringend Investitionen von den Ländern benötige, sonst „steht die Existenz der HSB möglicherweise infrage“ (GZ berichtete). Laut einer danach veröffentlichten Analyse eines Beratungsunternehmens weisen Infrastruktur und Fahrzeugflotte so deutliche Instandhaltungsrückstände auf, dass der Betrieb der Schmalspurbahnen auch kurzfristig gefährdet sei. Das Beratungsunternehmen sieht für die HSB bis zum Jahr 2045 Investitionskosten in Höhe von 544,1 Millionen Euro. Dazu kommen noch einmal laufende Kosten von 253,2 Millionen Euro. Nur mit diesen finanziellen Mitteln komme die HSB sukzessive in die Lage, ein nachhaltig wirtschaftliches Unternehmen zu sein.
Gerade der Zustand des Fuhrparks allerdings ist schon seit geraumer Zeit bekannt. In dem Papier aus dem Jahr 2019 wurde der Geschäftsführung mitgeteilt, dass es permanente Schwierigkeiten bei der Bespannung der planmäßigen Züge gebe. Grund seien fehlende betriebsfähige Triebfahrzeuge, hohe Schadanfälligkeit und stark steigende Instandhaltungskosten. „In den vergangenen Jahren hat sich diese Lage allmählich entwickelt, und sie verschärft sich weiterhin“, heißt es. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Dampf- und Dieselfahrzeuge sei durchaus ausreichend, das Problem bestehe „offensichtlich in einer ungenügenden Instandsetzungsleistung für die Schienenfahrzeuge über einen längeren Zeitraum“, so die Analyse.
Der Verfasser warnt: „Der Erhalt der Funktionssicherheit kann nur durch kontinuierliche und rechtzeitig ausgeführte Instandhaltungsmaßnahmen erreicht werden. Je später eine Maßnahme durchgeführt wird, desto größer ist der erforderliche Aufwand.“ Besonders wird auf einen Loktyp hingewiesen: „Im Fall der Baureihe 99.723-724 ist die wirtschaftliche Lebensdauer inzwischen um das Doppelte überschritten, wenngleich Rahmen, Dampfzylinder und einige weitere Baugruppen inzwischen erneuert wurden.“ Der Ersatz dieser Loks sei eigentlich „zum Ende der 1980er Jahre vorgesehen, also nach etwa 35 Jahren Lebensdauer“, erinnert der Verfasser. „Als 1991 die Entscheidung zum Weiterbetrieb der Dampfloks aus touristischen Gründen fiel, galt es, eine eigentlich abgefahrene Flotte weiter instand zu halten.“
Der Charme des Alters
Natürlich macht gerade das Alter der Lokomotiven den Charme einer Fahrt mit den HSB aus. Allerdings müsse man dann auch die notwendigen Pflege- und Instandhaltungsarbeiten durchführen.
Der Zustand im Jahr 2019: „Der Anteil an wiederherstellender Instandhaltung ist zurzeit viel zu groß. Zeitweise muss bereits 3/4 der gesamten Werkstattkapazität (einschließlich Unterhaltung) darauf verwendet werden. Geplante größere Arbeiten werden mangels betriebstauglicher Lokomotiven gar nicht mehr ausgeführt, was paradoxerweise sogar zur drohenden Unterbeschäftigung führt, wo doch eigentlich alle Kapazität benötigt würde“, heißt es in dem Papier. Der Verfasser zieht daher das Fazit: „In Zukunft sollen weitgehend alle Instandhaltungsmaßnahmen einschließlich der schweren Instandhaltung in Wernigerode ausgeführt werden. Voraussetzung dafür ist die neu zu bauende Werkstatt mit dementsprechend guter personeller und maschineller Ausstattung.“ Am Ende konnte es die vor drei Jahren in Betrieb genommene „gläserne Werkstatt“ dann auch nicht mehr reißen.
Wie soll es nun weitergehen? Am Dienstag stellten Geschäftsführerin Katrin Müller und Aufsichtsratsvorsitzender Thomas Balcerowski, zugleich Landrat des Harzkreises, die Ergebnisse des jüngst fertiggestellten, mehrere hundert Seiten umfassenden Entwicklungs- und Konsolidierungskonzepts vor. Erarbeitet hat es die Beratungsfirma SCI Verkehr aus Köln. Das Konzept war von den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen verlangt worden, die der HSB in der bedrohlichen Situation mit zusätzlichen finanziellen Hilfen unter die Arme greifen.
Die Ergebnisse der seit Januar laufenden Untersuchungen hatte Katrin Müller den HSB-Mitarbeitern am Dienstag in einer Versammlung vorgestellt. Im Mittelpunkt steht die wirtschaftliche Betrachtung der aktuellen Situation und die Suche nach Maßnahmen zur Kostenbegrenzung und Erlös- und Effizienzssteigerung. Besondere Aufmerksamkeit lag dabei auf dem Erhalt des 140,4 Kilometer umfassenden Streckennetzes, der Sicherung des touristisch wichtigen Dampfbetriebs, sowie auf der Steigerung von Reisekomfort und Fahrzeugverfügbarkeit. Die Digitalisierung und moderne Technologien sollen eine wichtige Rolle spielen. So wurde die bereits angestrebte Umrüstung der noch betriebsfähig zu erhaltenden historischen Fahrzeuge auf umweltfreundlichere Antriebe, wie beispielsweise die Leichtölfeuerung bei den Dampflokomotiven, in die Untersuchungen einbezogen. Darüber hinaus wurde anhand verschiedener Szenarien aber auch untersucht, unter welchen finanziellen Voraussetzungen ein Weiterbetrieb des Gesamtnetzes oder nur von Teilstrecken möglich ist.
Die Ergebnisse belegen, „dass sich bei der HSB in den vergangenen Jahren erhebliche Investitions- und Instandhaltungsrückstände aufgehäuft haben – insbesondere bei der Infrastruktur und den Fahrzeugen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Landkreises Harz. „Für die nächsten zehn Jahre wird hier ein Sanierungs- und Modernisierungsbedarf in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe erwartet.“
SCI rät zur „Sanierung des Streckennetzes einschließlich aller dazugehörigen Bauwerke und technischer Anlagen“ sowie zur Anschaffung einer neuen Fahrzeuggeneration in Form von Triebwagen mit alternativen Antrieben und Modernisierung der zu erhaltenden Dampf- und Diesellokomotiven sowie der historischen Wagen.“ Empfohlen wird auch der Neubau einer erweiterten Werkstatt zur Instandhaltung der künftigen Triebwagen und die Umsetzung von Übergangsfahrplänen, bis die Modernisierungsmaßnahmen greifen. Zentrales Element sei die „notwendige Modernisierung der Werkstattinfrastruktur, da die bestehende Fahrzeugwerkstatt für die Instandhaltung einer neuen Fahrzeuggeneration nicht geeignet ist.“ Positiv heben Müller und Balcerowski hervor: „Ein Personalabbau ist nicht vorgesehen.“
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