Goslars Frauenhaus sucht Verstärkung: „Gesellschaft muss hingucken“
Schutz vor Gewalt gegen Frauen ist auch eine Frage erfolgreicher Präventionsarbeit, insbesondere der Sensibilisierung der Gesellschaft. Foto: picture alliance/dpa
2024 war für das Goslarer Frauenhaus ein bewegtes Jahr, geprägt von Personalmangel und einer Trennung von der Awo. Heute arbeiten Frauenhaus und Trägerverein zum Wohle der Schutzsuchenden enger denn je zusammen und appellieren an alle, hinzugucken.
Goslar. Hinter dem Frauenhaus, das jetzt seine Bilanz vorlegte, liegt kein einfaches Jahr. 2024 war geprägt von Personalmangel und der Trennung von der Awo. Das machte einen Neuanfang notwendig – am Ende war alles gut. „Das ist das Beste, was uns passieren konnte“, bringt es die Vorsitzende des Frauenhaus-Vereins, Annett Eine, auf den Punkt.
„Es ist jetzt ein ruhigeres Arbeiten, es ist entspannter, die Abläufe sind transparenter“, pflichtet ihr Frauenhaus-Leiterin Viktoria Dewald bei, die Mitte 2023 zunächst in Mutterschutz und bis Ende 2024 in Elternzeit gegangen war. Eine Mitarbeiterin war zudem krankheitsbedingt das ganze vierte Quartal ausgefallen. Aufgrund des personellen Engpasses war eine Vollbelegung des Hauses nicht die ganze Zeit möglich, die Auslastung lag bei knapp 70 Prozent.
Viele Kinder im Frauenhaus
Auch aktuell sucht das Frauenhaus wieder Verstärkung fürs Team, eine Sozialpädagogin, die vor allem die Kinderbetreuung sicherstellt. Ein Großteil der Frauen, die Schutz im Frauenhaus suchen, kommt mit Kindern. So wurden im vergangenen Jahr 40 Frauen und 62 Kinder aufgenommen. 30 von den 40 Frauen (und 51 der 62 Kinder) hatten einen Migrationshintergrund, informiert Dewald. Das bringt fürs Team einen erhöhten Arbeitsaufwand mit sich, denn hier ist viel Integrationsarbeit gefragt. Allein die sprachliche Barriere sei eine Herausforderung, und die Wartezeit auf Sprachkurse liege schon bei bis zu einem Jahr. Die meisten Frauen bleiben bis zu drei Monate im Frauenhaus, bevor sie im Idealfall in eine eigene Wohnung ziehen. In dem Zusammenhang loben Dewald und Eine die engere Kooperation mit der GWG, die ein verlässlicher Partner an ihrer Seite geworden sei. „Das funktioniert super“, bekräftigt Eine, die seit der Trennung von der Awo einiges an Mehraufwand hat.
Keine Rolle rückwärts
Auslöser dafür, dass Awo und Frauenhaus heute getrennte Wege gehen, sei der Wunsch des Frauenhausvereins gewesen, die Buchhaltung extern zu vergeben. Kosten und Leistung hätten „in keinem Verhältnis“ zueinander gestanden, sagt Eine. Die Awo kündigte den Vertrag mit dem Frauenhaus darauf zum 31. Juli 2024. Nach ersten Überlegungen, sich ein neues Dach zu suchen, entschied sich der Verein, der „keine Rolle rückwärts“ machen wollte, anders: Inzwischen macht Annett Eine, Leiterin eines Reisebüros, die notwendigen Arbeiten fürs Frauenhaus mit. Sie habe sie schlicht in ihren Tagesablauf integriert, sagt Eine. Löhne anweisen, Versicherungen prüfen, Anträge beim Land stellen – alles geschehe in Absprache mit Viktoria Dewald. Die Folge: Frauenhaus und Frauenhausverein rückten enger zusammen, alles sei transparenter. „Das Wohl der Menschen steht im Vordergrund“, sagt Eine. Es laufe sehr gut, versichern beide Frauen, die sich auch für dieses Jahr noch einiges vorgenommen haben; dazu gehört die Teilnahme an einem Präventionstag auf dem Marktplatz (20. September). „Wir wollen stärker in die Außenwirkung gehen“, sagt Eine. Für den 25. November ist ein Fachtag im Kulturkraftwerk geplant; dann wird Christine Böttger, Anwältin für Familienrecht aus Bremen, über Schutzlücken im Umgangs- und Sorgerecht nach häuslicher Gewalt sprechen.
Femizide verhindern
Wie notwendig gerade die Präventionsarbeit ist, macht nicht zuletzt der Femizid in Oker im Monat Mai deutlich. Er habe „das ganze Frauenhausteam erschüttert und uns lange bewegt“, sagt Dewald: „Wir haben uns die ganze Zeit gefragt: Hätte man das verhindern können? Wusste sie von den Möglichkeiten der Hilfe?“ Die junge Mutter appelliert an alle, genau hinzuhören, bei Verdachtsmomenten die Polizei zu rufen, das gehe auch anonym. Hier seien Nachbarn, Freunde und Bekannte gefragt. Derzeit gebe es in Deutschland jeden Tag häusliche Gewalt und jeden zweiten Tag einen Femizid. „Die Gesellschaft muss hingucken“, sagt Dewald und ermutigt alle, besser einmal zu viel, als einmal zu wenig anzurufen: „Wir müssen die Sensibilität für dieses Thema verbessern.“
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