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Orange Day

GZ Plus IconFrauen und Kinder nach häuslicher Gewalt besser schützen

Das Kulturkraftwerk ist am Abend des "Orange-Day" in orangefarbenes Licht getaucht.

Das Kulturkraftwerk Harzenergie gehört zu den Gebäuden in Goslar, die am „Orange Day“ in orangefarbenes Licht getaucht werden. Damit beteiligt sich auch der Kleinkunstverein am Protest gegen Gewalt an Frauen. Foto: Kempfer

Der Schutz von Frauen und Kindern nach häuslicher Gewalt ist verbesserungsbedürftig. Das machte Kindeswohlforscherin Dr. Christine Böttger am Orange Day deutlich.

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Von Sabine Kempfer
Donnerstag, 27.11.2025, 19:30 Uhr

Goslar. Zu einem Fachtag trafen sich am Dienstag gut 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Einladung des Goslarer Frauenhausvereins im Kulturkraftwerk Harzenergie. Begrüßt wurden sie von Hausherrin Renate Lucksch und der Frauenhausvereinsvorsitzenden Annett Eine. Dr. Christine Böttger war eingeladen, über „Schutzlücken im Sorge- und Umgangsrecht nach häuslicher Gewalt“ zu sprechen – ein schweres Thema, das im Raum für atemlose Stille sorgte.

Die Referentin, die an er Universität Bremen interdisziplinär zum Kindeswohl forscht, stellte das, was eine gewaltgeprägte Beziehung der Eltern mit den Kindern macht, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung.

Allein die Faktenlage kann für Schnappatmung sorgen: Laut Böttger erlebt täglich eine Million Frauen weltweit Gewalt – und nicht selten seien davon auch die Kinder betroffen. „Worüber reden wir überhaupt? Was bedeutet es für Kinder, in einer Atmosphäre häuslicher Gewalt aufzuwachsen?“ Fragen, auf die Böttger Antworten hatte. Bevor die Fallbeiständin im zweiten Teil ihres Referats zu konkreten, anonymisierten Fallbeispielen kam, gab sie den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Überblick über die Situation und nannte durch Fakten untermauerte Thesen. Kinder, so Böttger, seien bei Gewalttaten im häuslichen Bereich „fast immer mit betroffen“ – selbst wenn Eltern der Ansicht seien, sie würden nichts mitbekommen. Das Gegenteil sei der Fall. Kinder spürten die angsterfüllte Stimmung und entwickelten später Verhaltensauffälligkeiten, manchmal Traumastörungen. Sie hätten ein großes Risiko, später selbst Opfer von Gewalt zu werden. Ganz klar: Die Erschütterung des Sicherheitsempfindens ist für Böttger ein Fall von „Kindeswohlgefährdung“.
Eine Vortragsrednerin gestikuliert am Rednerpult.

Dr. Christine Böttger hält am „Orange Day“ im Kulturkraftwerk den Fachvortrag zu Schutzlücken im Sorge- und Umgangsrecht nach häuslicher Gewalt. Foto: Kempfer

Am gefährlichsten sei die Situation sowohl für Frauen als auch für ihre Kinder in der Trennungsphase, in der die meisten Übergriffe (und Morde) stattfänden, hier benötigten sie am meisten Schutz. „Die Kinder sind die Achillessehne der Frauen“, sagte Böttger und berichtete an anderer Stelle, dass ein Mann seine eigene Tochter erwürgte, um seine Frau zu treffen.

Kein nationales Recht

Genau in dieser Situation der Trennung gebe es große Schutzlücken; zwar gibt es die Istanbul-Konvention, nach wie vor aber kein nationales Recht, wie man mit Gewalt an Frauen umgehen soll und damit eine „große Unsicherheit“. Oft werde das Ausmaß der Gewalt gar nicht erkannt, da Frauen die Männer nicht anzeigten und da gemeinsame Anhörungen die Frauen aus Angst vor weiterer Gewalt verstummen lassen. Um das Umgangsrecht der Väter zu realisieren, müssten Frauen sich bei der Übergabe der Kinder der Angst vor Begegnung stellen, die oft berechtigt sei, denn sie müssten erneute Übergriffe in Kauf nehmen: Das reiche von Beleidigungen und Erniedrigungen über Einschüchterungen und Drohungen und gehe bis hin zu körperlicher Gewalt und Tod.

Ein „begleiteter Umgang“ der Väter mit ihren Kindern könne hilfreich sein, bietet aber nicht immer ausreichend Schutz – viele Übergaben finden heute laut Böttger vor Polizeistationen statt. (Zu) selten werde ein Umgangsausschlussantrag gestellt, da man Vätern den Umgang mit den Kindern nicht nehmen wolle; außerdem könne das den Frauen vor Gericht negativ ausgelegt werden. Die Situation ist vertrackt, eine Lösung noch lange nicht in Sicht: „Wir müssen noch viel genauer hingucken“, fordert die Referentin und fragt: „Warum können wir Frauen nicht besser schützen? Warum bekommen wir den Kinderschutz nicht gut hin?“

Im Gepäck hatte sie negative und positive Fallbeispiele, vor allem aber formulierte sie Grundvoraussetzungen für einen Umgang zwischen Täter und Kind im Interesse des Kindes. Dazu gehört: Das Kind will den Umgang, der Schutz ist gewährleistet, das Kind ist stabil, der Vater sieht sein Fehlverhalten ein und lässt professionelle Hilfe zu. „Eine sehr engagierte Liste“, räumte Böttger ein: „Aber wenn ich das einhalte, kann es für das Kind ein Gewinn sein, wieder Kontakt zum Vater zu haben.“ Wenn – und kann.

Böttger machte abschließend deutlich, dass die Stärkung der Mütter eine große Ressource sei – und motivierte alle Vertreterinnen sozialer Einrichtungen, diesen Weg weiterzugehen. Forschungen hätten gezeigt, dass Mütter, die eine aktuelle Belastungssituation erst einmal überstanden hätten, danach wieder „genauso erziehungsfähig wie vorher“ seien – eine wichtige Erkenntnis gerade für gerichtliche Entscheidungen zum Sorgerecht.

Morgen, Samstag, 15 bis 17 Uhr, macht zum Ende der „Orange Week“ ein Info-Stand an der Jakobikirche auf die Situation der Frauen aufmerksam.

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