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Ausbau der erneuerbaren Energien

GZ Plus IconSollen sich auch mitten im Lutter-Becken Windräder drehen?

Kurt Hübner (in der Mitte mit Mikro) von der Windpark Lutter Verwaltungs GmbH spricht auf dem Informationsabend für die Grundstückseigentümer.

Kurt Hübner (in der Mitte mit Mikro) von der Windpark Lutter Verwaltungs GmbH spricht auf dem Informationsabend für die Grundstückseigentümer. Foto: Gereke

Entsteht im Lutter-Becken ein Windpark? Über ihre Idee informierten jetzt Grundstückseigentümer und Planungsgesellschaft. Wie weit ist das Projekt gediehen? Wie viele Windräder sollen sich im Neiletal drehen?

Von Andreas Gereke Samstag, 31.08.2024, 09:55 Uhr

Lutter/Ostlutter/Nauen. Soll mitten im Lutter-Becken ein Windpark entstehen? Um diese Idee ging es am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung, zu der Planungsgesellschaft und Grundeigentümer geladen hatten, um darüber zu informieren. Ein Abend mit ungewöhnlichem Verlauf.

Die Meldung bewegte offenbar so einige: Im Herzen des Lutter-Beckens, quasi auf halbem Weg zwischen Bundesstraße 82 im Süden und dem Ortsrand von Lutter im Norden, sollen sich Windräder drehen. Das Thema lockte zahlreiche Interessierte in den Saal der Gaststätte „Blickpunkt“. Wer allerdings knallharte Fakten erwartet hatte, musste enttäuscht wieder nach Hause gehen. Denn viel Konkretes gab es zu dem Vorhaben noch nicht zu berichten. Immer wieder war von einer „Idee“ die Rede, die das Projekt bislang nur sei, und vom sehr frühen Stadium, in dem es sich befinde.

Bürgermeister Ingo Henze verwies in seiner Begrüßung darauf, dass es zu einem so frühen Zeitpunkt nicht oft eine Veranstaltung gibt, um die Öffentlichkeit mitzunehmen. Im Anschluss sprach Kurt Hübner für die Grundeigentümer, die in ihrer Einladung ihre Aktivitäten damit begründeten, den Ausbau der erneuerbaren Energien voran bringen zu wollen. Im Februar hatten sie die Windpark Lutter Verwaltungs GmbH gegründet, die etwa 20 Grundeigentümer vereint. Hübner ist ihr Sprecher.

Er berichtete, wie vor gut zwei Jahren ein Projektierer auf die Flächeneigentümer mit der Windpark-Idee zugekommen sei. Die Lutteraner nahmen daraufhin auch Kontakt mit anderen Projektentwicklern auf – unter anderem mit Terrawatt, der Partner, der jetzt mit im Boot ist. Der Partner, der ein Modell bietet, mit dem sich die Lutteraner das Vorhaben vorstellen könnten. 50 Prozent der Anteile der Windpark Lutter Verwaltungs GmbH sind im Besitz der Grundeigentümer, die anderen 50 Prozent hält Terrawatt.

Die Terrawatt Planungsgesellschaft ist in der Region bereits bekannt. Sie realisierte den Windpark bei Flöthe an der Autobahn 36 zwischen Braunschweig und Harz – und sie baut jetzt gemeinsam mit den Grundeigentümern auf der Haar den Windpark. Zwölf Anlagen, die allesamt eine Gesamthöhe von 250 Metern haben werden, werden in den kommenden Monaten rund um die alte Ausflugsgaststätte Haarhof errichtet.

Fläche fiel im Verfahren einst raus

Terrawatt-Geschäftsführer Klaus Kim Ko stellte zunächst sein Unternehmen vor und riss dann die Idee Windpark Lutter an. Die Fläche, auf der er entstehen könnte, war einstmals im Verfahren des Regionalverbands Großraum Braunschweig zur Ausweisung von Windkraftpotenzialflächen als Vorranggebiet identifiziert worden. Zusammen mit einer weiteren Fläche zwischen Lutter und Harzrand, die sich in West-Ost-Richtung entlang von B 82 und der Bahnlinie zwischen Neuekrug und Langelsheim entlangzieht. „Im Zuge der ersten Änderung des Regionalen Raumordnungsprogramm Windkraft sind sie damals nicht weiter verfolgt worden. Der Grund war die Nähe zum geplanten Windpark Haar“, erzählte Kim Ko. Es ist der Park, der jetzt entsteht.

An der Leinwand zeigte eine Karte, um welches Areal es konkret geht. „Es ist ein technisch geeignetes Gebiet, die vorgegebenen Abstände zu Siedlungen sind berücksichtigt“, erklärte er. Sofort kam von Anwesenden die Frage auf, warum denn nicht das südlichere Gebiet mit einem größeren Abstand zu Lutter und Ostlutter genommen werde. Kim Ko konnte nur erneut darauf verweisen, dass die Initiative von den Flächeneigentümern der nördlicheren Fläche kam.

Es war eine Nachfrage, die schon erahnen ließ, dass so manchen Besucher der Veranstaltung die räumliche Nähe des Parks zu Lutter mit seinen Folgen offenbar ein Problem ist. Der Terrawatt-Mann verwies dann noch auf die Vorteile für Anwohner und Kommunen, die der Windpark bieten könnte: direkte Stromversorgung von Gewerbe- und Industriegebieten, finanzielle Beteiligung von Anwohnern am Windpark, lokaler Stromtarif für Bürger im Umfeld des Parks oder auch Pro-Kopf-Direktzahlung an die Menschen um die Anlage herum.

Blick auf den Windpark Flöthe, im Vordergrund Klein Flöthe: Dieses Projekt hat Terrawatt realisiert.

Blick auf den Windpark Flöthe, im Vordergrund Klein Flöthe: Dieses Projekt hat Terrawatt realisiert. Foto: Gereke

Dann übernahm Moderatorin Emanuela Boretzki wieder das Wort. Sie ist ausgebildete Mediatorin und führte mit ihrem Team durch den Abend. Fragen sollten nun an Thementischen erörtert werden – hier die Grundbesitzer, dort gab es etwas zur Planung zu erfahren und in der anderen Ecke stand der Terrawatt-Geschäftsführer Rede und Antwort. Ein Format, das nicht bei allen auf Gegenliebe stieß, es erzürnte manche Lutteraner sogar. „Haben die einen an der Waffel?“, murmelte ein wütender Bürger, der umgehend den Saal verließ. Er hatte zuvor öffentlich eine Frage gestellt, war dann aber an einen der Tische verwiesen worden. „Ich bin sauer und enttäuscht. Man müsste sofort eine Bürgerinitiative dagegen gründen“, polterte er.

Im anschließenden GZ-Gespräch konkretisierte Kim Ko etwas die Vorstellungen zum Park. Etwa 100 Hektar misst die Vorhabenfläche im Lutter-Becken. Zwischen sechs und acht Windenergieanlagen seien dort möglich. Nach dem heutigen Stand der Technik hätten sie eine Höhe von 250 Metern. Wo ein Netzanschluss erfolgen könnte, das sei noch offen. Der Stromverbrauch könnte auch vor Ort in den Gewerbe- und Industriegebieten erfolgen. Wenn die Idee jetzt ins Rollen kommt, so schätzt Kim Ko, könnte in drei bis vier Jahren ein Windpark im Lutter-Becken Realität werden.

„Damals war ich nicht schlau genug“

Die Idee sorgte für teils aufgeregte Debatten im Saal. Sorgen bei den Bewohnern der Ortsränder von Lutter und Ostlutter vor Beeinträchtigungen: Schattenwurf, Geräuschkulisse, Wertverlust bei Immobilien. Großes Thema auch der Naturschutz. „Kraniche rasten, der Rotmilan fliegt, Wildgänse ziehen durchs Lutter-Becken“, das alles sieht eine Lutteranerin durch einen Windpark bedroht. Sie habe damals im Morgengrauen beobachtet, wie der Umweltfrevel an Kiefbach und Dolger Bach nahe Lutter begann, als Hunderte Bäume illegal gefällt wurden, und wirft sich noch heute vor, nicht früh genug reagiert zu haben, um noch Bäume zu retten. „Damals war ich nicht schlau genug, jetzt will ich was unternehmen“, erklärte sie. Andere sehen durch die Nähe zum Windpark auch die geschützte Teichlandschaft südlich von Lutter in Gefahr. Immer wieder die Frage an den Bürgermeister: Was sagt denn der Naturschutz dazu? Die Antwort: Bislang nichts, denn zu diesem frühen Zeitpunkt sei er noch gar nicht angehört worden.

Immer wieder auch der hinter vorgehaltener Hand geäußerte Vorwurf, es gehe nur ums Geld. Rüdiger und Nicole Rudolph aus Ostlutter wollen jetzt eine Unterschriftensammlung starten, um die Entscheider aufzufordern, dass nur Pläne für das südlichere Potenzialgebiet verfolgt werden sollen. So solle eine „Verspargelung“ des Lutter-Beckens verhindert werden. „Nichts gegen Windkraft, aber sie muss raus aus dem Lutter-Becken“, brachte der Ostlutteraner Jürgen Ehrenpfordt die Meinung so einiger auf den Punkt.

Die großen Themen wie Klimawandel oder Energiewende – sie spielten am Donnerstagabend auf lokaler Ebene zumindest in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Also offenbar noch keine Zeitenwende im Kleinen nach dem russischen Angriffskrieg? Etwas, dass Mediatorin Boretzki mit ihren Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit bestätigte. Vor Ort überwiege die „direkte Betroffenheit“. Oft werde übrigens ihr Team zu Hilfe gerufen, wenn die Situation zwischen den Parteien schon verfahren sein – und nicht so wie jetzt in einem frühen Stadium.

Blick von der Brücke der B 82-Anschlussstelle ins Lutter-Becker: Genau in der Mitte der Strecke zwischen Bundesstraße und Lutter könnte rechts und links der L 496 der Windpark entstehen.

Blick von der Brücke der B 82-Anschlussstelle ins Lutter-Becker: Genau in der Mitte der Strecke zwischen Bundesstraße und Lutter könnte rechts und links der L 496 der Windpark entstehen. Foto: Gereke

Hahausens Ortsbürgermeister Eckhard Ohlendorf fasste es salomonisch zusammen: „Als Grundeigentümer, auf dessen Boden so etwas entsteht, findet man es klasse, als jemand der daneben wohnt und drauf guckt, sieht man das etwas anders.“ Aber es gibt natürlich auch die Stimmen, die der Idee positiv gegenüber eingestellt sind, wenngleich der Termin eher kritische Stimmen anzuziehen schien. Lutters Ortsbürgermeisterin Karin Rösler-Brandt bekannte sich zur Windkraft-Idee. Sie erinnert auch daran, dass es einstmals eine Abstimmung im alten Rat der Gemeinde Flecken Lutter gab, in der sich das Gremium knapp gegen Windkraft aussprach. „Leider folgte damals die Mehrheit nicht meinen Argumenten.“

Rat im Flecken Lutter lehnte einst Windkraft ab

2012 noch zu Samtgemeinde-Zeiten war es, als das Thema auf der Tagesordnung landete. Im Zuge der Neufestlegung von „Vorrang- bzw. Eignungsgebieten zur Windenergienutzung“ war damals auch der Rat beteiligt worden. Mit einer Stimme Mehrheit hatte er sich dafür ausgesprochen, dass im Gemeindegebiet keine Flächen ausgewiesen werden sollen. Die Fraktionsgrenzen waren damals zwischen Befürwortern und Ablehnern verwischt. Tenor auch damals: „Im Lutter-Becken, das durch die Umgebung des Waldes geprägt ist, wäre es eine maßgebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes.“ Eine andere Stimme merkte seinerzeit an: „Wir haben gegen 60 Meter hohe Masten der Höchstspannungstrasse Wahle-Mecklar im geschichtsträchtigen Lutter-Becken gekämpft, ich kann jetzt nicht für Windkraftanlagen stimmen.“

Der für die Planung zuständige Regionalverband Großraum Braunschweig bestätigt noch einmal, dass die Flächen im Lutter-Becken derzeit keine Vorranggebiete sind: „Ob sie es werden könnten, können wir zum derzeitigen Stand unser Neuplanung Wind nicht sagen“, so Kristin Kunath, Sprecherin des Regionalverbands.

Anna Weyde, Erste Verbandsrätin des Regionalverbands, ergänzte auf GZ-Anfrage: „Die ausgegebenen Flächenziele für Windenergieflächen von Bund und Land sind ambitioniert. Bis 2032 müssen insgesamt 3,18 Prozent des Verbandsgebiets für Windenergieanlagen ausgewiesen werden. Die Abstände zu den großen Höhenzügen in der Region, so auch zum Harz, sind bei der aktuellen Planung nach derzeitigem Arbeitsstand kein Ausschlusskriterium.“ Eine angenommen Fünf-Kilometer-Pufferzone zu Höhenzügen sei übrigens auch bisher kein Ausschlusskriterium gewesen. Vielmehr galt dort ein erhöhter Abwägungsbedarf, der aber nicht automatisch zu einem Entfall von Potenzialflächen in diesen Bereichen führte, heißt es.

Die Grafik zeigt das Areal, auf dem ein Windpark Lutter entstehen könnte.

Die Grafik zeigt das Areal, auf dem ein Windpark Lutter entstehen könnte. Foto: GZ/Quelle: Terrawatt

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