Die politische Entwicklung hängt von vielen Akteuren aus dem Harz ab

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (r.), kündigt am Donnerstag seinen Verzicht auf eine abermalige Kandidatur an, er macht den Weg frei für Wirtschaftsminister Sven Schulze (beide CDU). Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa
Die Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt bergen nach dem Verzicht von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) auf eine erneute Kandidatur eine besondere Brisanz. Der designierte CDU-Spitzenkandidat muss sich gegen eine AfD im Aufwind behaupten.
Harz/Magdeburg. Der am Donnerstag bekanntgegebene Rückzug von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der zur Landtagswahl am 6. September 2026 nicht wieder antritt, birgt viele Risiken für die CDU und das Land Sachsen-Anhalt, auch mit Blick auf die im Nachbarland als rechtsextrem eingestufte AfD. Einige der Hauptakteure, von denen der Ausgang der Wahl abhängen wird, stammen aus dem Harz.
Das trifft insbesondere auf den designierten Spitzenkandidaten Sven Schulze zu. Der 46-jährige Wirtschaftsminister und sachsen-anhaltische CDU-Landesvorsitzende stammt aus Quedlinburg, studierte an der TU Clausthal und arbeitete einige Zeit bei der Firma Eckold in St. Andreasberg. Naturgemäß ist er im Land weit weniger bekannt als der 71-jährige Haseloff, mitunter wird er aber im Auftritt als blass beschrieben. In einer Phase, in der die AfD in Sachsen-Anhalt sich Chancen ausrechnet, stärkste Kraft zu werden, geht die CDU mit einem Kandidaten ins Rennen, der weniger bekannt und populär ist als der amtierende Ministerpräsident.
Magere Bilanz
Susan Sziborra-Seidlitz, Grünen-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt, teilte am Donnerstag mit, Schulze müsse sich erst noch beweisen. Seine „bisherige Regierungsbilanz als Wirtschaftsminister ist mager“, meint sie und fügt an, „auch aus seiner Zeit als EU-Abgeordneter bleibt den Menschen kein bleibender Eindruck“. Schulze vermittele bisher nicht den Eindruck, „Sachsen-Anhalt aus der Lähmung zu führen oder das Land wieder zusammenzubringen“.
Sziborra-Seidlitz stammt wie Schulze aus Quedlinburg, für ihre Partei will sie ebenfalls als Spitzenkandidatin zur Landtagswahl 2026 antreten, das hatte sie bereits vor einiger Zeit erklärt.

"Jeder wächst mit seinen Aufgaben", sagt Halberstadts Landrat Thomas Balcerowski (r.) über die neue Rolle von Wirtschaftsminister Sven Schulze (M.) als designierter CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen 2026. Das Bild zeigt beide 2022 mit Nationalparkleiter Roland Pietsch bei der Unterzeichnung eines Papiers zur Waldbrandprävention. Foto: Bein
Auch die SPD schickt für die Wahl einen Kandidaten aus dem Harz ins Rennen, sie hat bereits Umweltminister Armin Willingmann nominiert. Der 62-Jährige lebt in Wernigerode und zählt zu den profiliertesten Politikern des Landes, vor dem Umweltressort leitete er das Wirtschaftsministerium in Magdeburg. Bekannt ist er auch aus der Zeit, als er Rektor der Hochschule Harz war. Seine Partei holte bei den Landtagswahlen 2021 allerdings lediglich 8,4 Prozent. Die derzeit mit SPD und CDU regierende FDP erhielt 6,4 Prozent. Die Grünen kamen auf 5,9 Prozent, die Linke auf 11 Prozent. Hinter der CDU mit 37,1 Prozent wurde die AfD mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft.
Schamloser Kulturkampf
Ein weiterer Akteur der Politik in Sachsen-Anhalt stammt aus dem Harz. Der AfD-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt stammt aus Goslar. Sein Landesverband gehört zu denen, die laut Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch gelten. Darüber hinaus gilt die AfD in Sachsen-Anhalt als besonders aggressiv in der politischen Auseinandersetzung. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb kürzlich: „Nirgendwo führt die AfD ihren Kulturkampf so schamlos wie in Sachsen-Anhalt.“ Damit spielte die Zeitung auch auf die Attacken gegen das Bauhaus in Dessau an und auf einen Begriff von Kunstförderung, wonach diese „ihrer eigenen deutschen Kultur grundsätzlich bejahend“ gegenüberstehen sollte.
Dass das Szenario nicht unrealistisch ist, wonach die AfD in Sachsen-Anhalt nach Thüringen in einem weiteren Bundesland stärkste Kraft werden könnte, hat spätestens die Bundestagswahl im Februar gezeigt. Die AfD holte alle Direktmandate in Sachsen-Anhalt und kam auf 37,1 Prozent der Zweitstimmen, während die CDU bei 19,2 Prozent landete.
Landrat Thomas Balcerowski aus Halberstadt klingt angesichts der Gemengelage dennoch vergleichsweise gelassen. Der Christdemokrat, der die Verwaltung des bevölkerungsreichsten sachsen-anhaltischen Landkreises leitet, kennt die Landespolitik gut, er saß nach der Landtagswahl 2021 für die CDU am Koalitionsverhandlungstisch.
Dass Schulze als Wirtschaftsminister nicht so bekannt ist, wie Ministerpräsident Haseloff hält Balcerowski nicht für ein großes Problem. Er erinnert daran, dass der seit 2011 regierende Haseloff, der zuvor wie Schulze Wirtschaftsminister war, seinerzeit ebenfalls als wenig profiliert beschrieben wurde, als er für die Nachfolge des kürzlich verstorbenen ehemaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer bereitstand. „Jeder wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Balcerowski.
Der Christdemokrat erinnert außerdem daran, dass die AfD bereits bei den Landtagswahlen 2021 so stark war, dass sie „drohte, mindestens stärkste Kraft zu werden“. Erst 14 Tage vor der Wahl habe sich der Wind gedreht. Die Menschen hätten „nicht das Schmuddelland“ werden wollen, sagt Balcerowski mit Blick auf die AfD.
Für die Wahlen im kommenden Jahr wird es laut Landrat Balcerowski „entscheidend sein, ob es in Berlin gelingt, das umzusetzen, was den Menschen Sorgen bereitet“. Derzeit gebe es zwar für die politische Lage in Sachsen-Anhalt keinen Gegenwind, „aber eben auch keinen Rückenwind“.
Spät, aber nicht zu spät
Den Generationenwechsel, den Haseloff mit seinem Rückzug eingeleitet habe, hält der Landrat für „überfällig“, wie er sagt. In dem Zusammenhang lobt er den Rücktritt von Niedersachsens Ex-Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Alter von 66 Jahren im Mai von allen politischen Ämtern. „Ich habe das mit Bewunderung gesehen, wie das in Niedersachsen gelaufen ist.“ Der Generationenwechsel in Sachsen-Anhalt „kommt spät, aber nicht zu spät“, sagt Balcerowski.
Für wie groß hält er die Gefahr, dass eine vom Verfassungsschutz als „rechtsextremistisch“ eingestufte AfD bald das Land regiert? Den Namen ihres Spitzenkandidaten Ulrich Siegmund aus Tangermünde, der Fraktionschef im Landtag ist, erwähnt Balcerowski nicht. Die FAZ schrieb über Siegmund, er sei ein Schwiegermutter-Typ und gehöre mit mehr als 500.000 Followern auf Tik-Tok zu den reichweitenstärksten deutschen Politikern auf dem Portal für Kurzvideos. Balcerowski nennt ihn indes einen „unerfahrenen und unprofilierten Kandidaten“, der noch keine Verwaltung von innen gesehen habe, also keine Behördenkenntnisse mitbringe. Er nennt ihn einen „Tik-Tok-Star“ und sagt: „Am Ende wollen die Menschen in Sachsen-Anhalt nicht von einem solchen Reality-Star regiert werden.“
So oder so wird es eine spannende Wahl in Sachsen-Anhalt, auch weil Ministerpräsident Reiner Haseloff als Bollwerk für eine Abgrenzung zur AfD auftrat. Mit seinem angekündigten Rückzug vom höchstem Amt drohen im CDU-Landesverband, der als politisch ungefestigt gilt, wieder Stimmen laut zu werden, die ein Ende der Brandmauer zur AfD fordern. Zwei Protaganisten dieser Strömung innerhalb der CDU stammen aus dem Harz, die Landtagsabgeordneten Alexander Räuscher aus Osterwieck und Ulrich Thomas aus Quedlinburg, der zugleich Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Harz ist.
Bruch mit Stahlknecht
Schon bei der Landtagswahl 2021 hatte es um die Frage, wie die CDU es mit der AfD halten soll, einen folgenreichen Streit gegeben. Haseloff hatte Ende 2020 seinen Innenminister Holger Stahlknecht entlassen, ebenfalls ein Mann mit Harz-Bezug, er hat eine Ferienwohnung in Hahnenklee. Haseloff zog seinerzeit die Konsequenz aus einem nicht abgesprochenen Interview seines Ministers zum Koalitionsstreit um den Rundfunkbeitrag, Stahlknecht hatte einen Bruch der Koalition mit SPD und Grünen und eine CDU-Minderheitsregierung ins Spiel gebracht. Eine Minderheitsregierung hätte indes bedeutet, dass die CDU auf die Stimmen der AfD angewiesen gewesen wäre.
Eine Brandmauer-Debatte fürchtet Balcerowski zwar aktuell nicht. Er sagt aber: „Kompliziert wird es, wenn wir nach der Wahl schwierige Machtverhältnisse bekommen und die Frage auftaucht, mit wem wir koalieren. Die entscheidende Frage sei, ob es zu einer „Mehrheit in der Mitte reiche“. Insofern spricht er von einer „Schicksalswahl“.
Copyright © 2025 Goslarsche Zeitung | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.