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Rabenklippengehege

GZ Plus IconDie unendliche Geschichte mit dem eigenwilligen Zuchtluchs

Im Gehege angekommen, hat es der Zuchtluchs eilig, seine Transportbox zu verlassen.

Im Gehege angekommen, hat es der Zuchtluchs eilig, seine Transportbox zu verlassen. Foto: Raksch

Im Harz ist ein neuer Zuchtluchs angekommen. Doch nur wenige Minuten nach der Ankunft in seinem Gehege an der Rabenklippe floh er über den Zaun. So verlief die anschließende Suche nach dem einjährigen Tier aus Nürnberg.

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Von Robin Raksch
Samstag, 08.06.2024, 11:34 Uhr

Bad Harzburg. Als Dr. Roland Pietsch, Leiter des Nationalparks Harz, und die Nürnberger Tierpflegerin Dagmar Fröhlich am Donnerstag gegen 16 Uhr die Transportbox öffneten, sprintete das ein Jahr alte Zuchtluchsmännchen zunächst aus seiner Box in sein neues Gehege an der Rabenklippe und begann zu erkunden. Jedoch nicht allzu lange.

Der Hintergrund des Ganzen: Der Nationalpark Harz beteiligt sich an einem internationalen Erhaltungsprogramm für Europas größte Katzenart. Im Luchsgehege an der Rabenklippe soll künftig ein Luchspaar leben, deren Nachwuchs an Artenschutzprojekte zur Auswilderung abgegeben oder zur Fortführung des Zuchtprogramms eingesetzt wird. Das erste Tier – ein einjähriges Männchen aus dem Nürnberger Tierpark – kam am Donnerstag in seinem neuen Gehege im Harz an und machte direkt Probleme. Das Tier zog nach seiner langen Anreise vom Nürnberger Tierpark ein paar Runden durch sein neues Zuhause, blieb stehen, setzte an, sprang mit Leichtigkeit über den 4,50 Meter hohen Zaun.

„So etwas hat hier noch nie ein Luchs gemacht“, würde Pietsch später sagen. Zunächst waren er und das Team rund um den Nationalpark-Luchsbeauftragten Ole Anders jedoch stundenlang damit beschäftigt, das geflohene Tier wieder einzufangen.

Zunächst ließ es sich im Dickicht zwischen dem Luchsgehege und dem Waldgasthof Rabenklippe nieder und blieb in Sichtweite. Die Anwesenden versuchten, sich dem Tier durch den dicht bewucherten Wald zu nähern, und es für Anders mit seinem Betäubungsgewehr in Position zu locken, ohne es aufzuschrecken. Dabei machten so wenige Geräusche wie möglich und kommunizierten größtenteils mit Handzeichen.

Ein junger Karpatenluchs (Lynx lynx carpathicus) sitzt auf einer Eiche im Tiergarten der Stadt Nürnberg.

Die Nürnberger Tierpflegerin Dagmar Fröhlich (r.) sichtet ihren früheren Zögling im Geäst, kurz vor der Waldgaststätte Rabenklippe. Foto: Raksch

Zwei Betäubungsschüsse, zwei Treffer. Aber statt zur Ruhe zu kommen, lief der Luchs panisch los und verschwand im Unterholz. Der erste Versuch war gescheitert. Die Pfeile waren offenbar nicht lange genug stecken geblieben, um genügend Narkosemittel abzugeben.

Erfolg beim letzten Versuch des Tages

Am Schaugehege des Nationalparks an den Rabenklippen können Neugierige die Luchse auch von einer Plattform aus beobachten.

Ole Anders hat das entflohene Tier mit seinem Betäubungsgewehr im Visier. Foto: Raksch

Dem Team bleibe an diesem Tag nur noch ein letzter Versuch, das Tier zu fangen, kündigte Pietsch daraufhin an. Denn die Abenddämmerung stand kurz bevor. Immerhin befand sich der Luchs noch immer im eingezäunten, aber nicht gesondert gesicherten Bereich, Hoffnung bestand also weiterhin.

Nach dem Eintreffen von Verstärkung ging es mit Kescher und Netzen los. Erneut kämpfte sich eine Gruppe Menschen systematisch durch das Waldstück. „War das da ein Vogel? Oder etwas Größeres?“ Schließlich tauchte auf einer Wärmebildkamera eine Signatur auf – der entflohene Luchs.

Von verschiedenen Seiten näherten sich die Fachleute und lenkten das Tier erneut in Richtung von Ole Anders. Eine weitere Gruppe umkreiste das Gebiet und meldete ihm mit dem Ausruf „Luchs“ Sichtungen des Tiers. Um 20.26 Uhr, fast viereinhalb Stunden nach dem Ausbruch, hatte Anders die Raubkatze im Visier seines Betäubungsgewehrs, konnte sie mit einem dritten Schuss narkotisieren und gemeinsam mit seinen Helfern zurück in seine Transportbox laden.

Ungewöhnlich kletterfreudig

Eigentlich hätte der Neue Zuchtluchs bereits am 21. Mai ins Rabenklippengehege einziehen sollen. Er selbst hatte das aber offenbar nicht gewollt. Das Tier war in eine Eiche in seiner alten Heimat, dem Nürnberger Tierpark, geklettert und hatte sich nicht in die Transportbox verladen lassen, wie die GZ berichtete. Als dann am Donnerstag das Team rund um den Nationalpark-Luchsbeauftragten Anders einen zweiten Versuch gewagt hat, ist das offenbar höchst ungewöhnlich kletterfreudige Tier erneut zum Problem geworden.

Seit Jahrzehnten gebe es nun Luchse im Rabenklippengehege und noch nie sei bisher einer am Zaun geklettert, sagt Pietsch. Er vermute, der Stress durch den Umzug habe das Tier zu einer solchen Aktion gebracht. „Diese Erfahrung nutzen wir, um daraus zu lernen und zu verhindern, dass so etwas erneut passiert“, führt er aus. „Dank des gut koordinierten Teams konnten wir das Tier wieder einfangen.“ Selbst eine erfolgreiche Flucht des Tieres wäre jedoch kein großes Problem gewesen. „Dann hätten wir eben einen Luchs mehr im Harz. Lediglich für unsere Zuchtbemühungen wäre es ärgerlich gewesen“, sagt er.

Laut Anders leben im Nationalpark insgesamt bereits 55 selbstständige Luchse in freier Wildbahn. „Zusätzlich rechnen wir mit 35 Jungtieren, die in dieser Saison geboren werden. Damit kommen wir auf 90 Luchse im Harz.“

Zuchtprogramm

Im Luchsgehege an der Rabenklippe lebten bisher drei Tiere – Paul, Alice und Ellen. Das neue Männchen, bisher noch ohne Namen, ist jedoch nicht zu ihnen ins Gehege gezogen. Der Grund: Es ist für die Zucht bestimmt und die Stammbewohner der Rabenklippe sind für diese Zwecke ungeeignet.

Zunächst hatten die Luchsbeauftragten das neue Tier daher in ein Übergangsgehege gesetzt: Jenes, aus dem er kurz darauf ausgebrochen ist.

Vor seinem Ausbruch erkundet der Luchs ein paar Minuten lang sein neues Gehege.

Vor seinem Ausbruch erkundet der Luchs ein paar Minuten lang sein neues Gehege. Foto: Raksch

Nach der Suchaktion ist der Luchs nun vorerst in einem besonders sicheren Gehege mit Dach und drei gemauerten Wänden untergebracht, wo er zur Ruhe kommen soll. In der kommenden Woche beraten sich die Verantwortlichen des Nationalparks, wo der Luchs in den kommenden Monaten unterkommt. Ursprünglich war die Idee, ihn bald im ehemaligen Gehege der legendären Luchsdame Pamina unterzubringen, die vor zwei Jahren im stolzen Alter von 17 Jahren eingeschläfert werden musste. Dort sind zuvor aber noch einige Ausbesserungsarbeiten geplant.

Kurz nach dem Jahreswechsel wird der Luchs dann Gesellschaft von einem Weibchen bekommen. Damit wird der Nationalpark Harz Teil eines internationalen Erhaltungszuchtprogramms für Luchse namens Ex-situ. Der Europäische Zooverband EAZA untersucht Luchse auf ihre genetische Eignung und stellt dann Zuchtpaare zusammen.

Ein solches Paar werden auch die beiden neuen Luchse im Rabenklippengehege. Um welches Tier es sich bei dem Weibchen handelt, und woher es kommt, sei aber bisher noch unbekannt, sagt Pietsch.

Bis die Luchsdame trächtig ist, können Gäste das Zuchtpaar im Schaugehege beobachten, beispielsweise bei Fütterungen. Die Jungen sollen jedoch ohne menschlichen Kontakt aufwachsen, um später ausgewildert werden zu können. Daher zieht das Paar vor der Geburt in ein Gehege außerhalb der Sichtweite von Besuchern.

Auch für die Namensgebung des neuen Kuders – die Bezeichnung für einen männlichen Luchs – hat sich der Leiter des Nationalparks bereits etwas ausgedacht: „Wir haben uns eine Schulklasse ausgesucht, die den Luchs benennen und besuchen darf“, sagt er. Um welche Schule und welche Klasse es sich handelt, das verrät er noch nicht.

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