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14 Jahre in der Kaiserstadt

GZ Plus IconGoslars Propst Thomas Gunkel nimmt Abschied

Propst Thomas Gunkel nimmt am Samstag in Goslar Abschied.

Propst Thomas Gunkel nimmt am Samstag in Goslar Abschied. Foto: Jörg Kleine

2011 wurde Thomas Gunkel zum Propst in Goslar gewählt, mit 66 Jahren nimmt er nun Abschied. Im GZ-Gespräch geht es um Gott und die Welt: Wie kann Kirche wieder mehr an Bedeutung für viele Menschen gewinnen? Und welche Veränderungen stehen an?

Von Jörg Kleine Donnerstag, 12.06.2025, 16:00 Uhr

Goslar. Thomas Gunkel (66) geht in den Ruhestand. Am kommenden Samstag, 17 Uhr, wird er in der Goslarer Marktkirche verabschiedet. Da schwingt auch Wehmut mit, denn er fühlt sich wohl in der Kaiserstadt – und möchte hier auch möglichst bleiben. Derweil steht die evangelisch-lutherische Landeskirche vor grundlegenden Veränderungen.

Geburt, Taufe, Schule, Sportverein, Kommunion oder Konfirmation, Ausbildung, erster Job, Hochzeit – und die nächste Generation beginnt von vorne. Rund 150 Jahre hat dieser Kanon gut funktioniert. Viele Strukturen in Deutschland bauen noch immer darauf auf, doch die Gesellschaft geht längst andere Wege. Genau hier liegt das Pro-blem, von dem Vereinsvorsitzende wie Kirchenvorstände ein Liedchen singen können.

Ob fromm oder nicht – die Kirche war lange für die meisten Menschen der Ort, an dem die wichtigen Etappen des Lebens greifbar wurden. Es ging um die besonderen und feierlichen Momente, die Wegstrecken markieren und in Erinnerung bleiben. Die aus Fotoalben immer wieder bildhaft ins Gedächtnis gerufen werden können – bis zum Tod. Doch auch der soll heute für viele vor allem einfach sein, wenig Platz einnehmen und pflegeleicht wirken. Damit die Hinterbliebenen auch am Ort der Erinnerung weniger Tränen und Wasser zu vergießen haben.

Was verbindet Menschen mit der Kirche?

All das lässt sich in Zahlen fassen. Als Thomas Gunkel am 8. Juni 2011 seine Aufgabe als neuer Propst in Goslar antrat, hatten die zugehörigen 31 Kirchengemeinden noch 34.300 Mitglieder. 14 Jahre – und eine Wiederwahl 2023 – später sind es noch rund 27.000, resümiert Gunkel. Ein Verlust von mehr als 20 Prozent – und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar.

„Kirche hat lange nach außen getragen, dass sie einen Anspruch darauf hat, dass die Menschen zu ihr kommen“, sagt Gunkel. „Aber das ist grundlegend falsch“, fügt er an – und verweist auf die Wurzeln. Hätte man Jesus Christus nach Kirche gefragt, dann hätte er wohl gesagt: „Kirche? Wovon redest du?“ Denn Jesus verstand sich als Mitglied einer jüdischen Gemeinde und verkündete nicht, die Kirche stark zu machen, sondern sich im Glauben wieder auf Ursprünge und Werte zu besinnen, macht Gunkel deutlich. Nicht von ungefähr symbolisierten die zwölf Jünger die zwölf Stämme Israels.

„Ich glaube, man muss deshalb unterscheiden – zwischen der Relevanz von Kirche und der Relevanz von Gott“, betont der Goslarer Propst. Dabei hat er seinen Optimismus für die Kirche keineswegs verloren – wenn sie sich weniger mit sich selbst befasst, sondern mit den gesellschaftlich relevanten Themen. Und wenn sie im Alltagsleben wieder mehr sichtbare Anknüpfungspunkte findet – vor allem auch für junge Menschen.

Aus der Schule in die Propstei

Manchen Gedanken davon wird Thomas Gunkel (66) wohl aufgreifen, wenn er am kommenden Samstag in der Marktkirche feierlich verabschiedet wird. Als Religionslehrer kam der gebürtige Braunschweiger 2011 nach Goslar. Zuvor hatte er in Göttingen studiert, als Pfarrer in der St.-Thomas-Gemeinde in Wolfenbüttel gearbeitet und hielt Rundfunkandachten bei NDR 1.

Die Stationen standen im Wechsel mit seiner Frau Kirstin Müller, auch um berufliche Konflikte zu vermeiden: Zunächst arbeitete sie als Religionslehrerin, er als Pfarrer – dann umgekehrt. Seit Herbst 2019 ist Kirstin Müller Pfarrerin in Braunlage.

Ihre beiden Söhne sind erwachsen und gehen ihren eigenen Weg. Vincent (30) ist Kulturanthropologe, wohnt in Berlin und arbeitet in Potsdam. Klaas (27) studiert Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Göttingen. Der berufliche Wechsel ihres Vaters kam damals mitten in der Schulzeit.

14 spannende Jahre in Goslar

Im Herzen Goslars: Thomas Gunkel vor "seiner" Marktkirche.

Im Herzen Goslars: Thomas Gunkel vor "seiner" Marktkirche. Foto: Jörg Kleine

In der Nachfolge von Helmut Liersch als Propst hatte sich Thomas Gunkel 2011 bei der Wahl durch die Synode gegen Christina Koch durchgesetzt. Die Herausforderungen in den folgenden Jahren waren groß, denn schwindende Mitgliederzahlen und damit auch geringere Einnahmen machten schon damals zu schaffen.

Ungeahnte Dimensionen erreichten die Aufgaben durch die Corona-Pandemie, die ab Frühjahr 2020 die Gottesdienste und das kirchliche Leben in den Gemeinden zwischenzeitlich lahmlegte. Mit Video-Andachten und Gottesdiensten im Livestream antwortete die evangelisch-lutherische Kirche. Und der Zuspruch war nicht zu knapp: Livestreams der Goslarschen Zeitung aus der Marktkirche und der Frankenberger Kirche zu Ostern 2020 erreichten Tausende Zuschauer – sogar im Ausland.

Zu den Meilensteinen in der Amtszeit von Propst Gunkel gehörten ganz sicher die Ereignisse im Martin-Luther-Jahr 2017. Das Jubiläum „500 Jahre Reformation“ rückte in Goslar mit Ausstellungen, Projekten und einer Kunstaktion in den Blickpunkt. Dabei unterstrich das Luther-Jahr zugleich Goslars Bedeutung für die Reformation – und den Wert der Bibliothek der Marktkirche als wahre Schatztruhe.

Das Luther-Jahr 2017

„Hier stehe ich ...“ – und kann doch anders, lautete die Botschaft, mit der Gemeinden und Kirche 2017 in der Öffentlichkeit präsent waren. Was Thomas Gunkel im Nachhinein als Propst anders machen würde? „Ich bereue überhaupt nichts“, sagt er beim GZ-Gespräch in seinem Arbeitszimmer an der Kaiserbleek unterhalb der Pfalz: „Es war anstrengend. Aber wer Pfarrer wird, darf nicht zu sehr auf die Uhr schauen.“

Sein Abschied bleibt somit nicht ohne Wehmut: „Ich habe meinen Beruf gerne ausgeübt. Aber es ist jetzt auch ein Stück entlastend“, gesteht Thomas Gunkel mit Blick auf die nächsten großen Veränderungen, die in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Braunschweig anstehen.

Die Kirche und ihre Zukunft

Der propst vorm Altar: Thomas Gunkel nimmt auch Abschied als Pfarrer der Goslarer Marktkirche.

Der propst vorm Altar: Thomas Gunkel nimmt auch Abschied als Pfarrer der Goslarer Marktkirche. Foto: Goslarsche Zeitung

Schneller und zupackender hätte er sich dies gewünscht. Zumal der Personalmangel bei Pfarrstellen inzwischen nicht minder gravierend ist wie die Finanznöte. Aktuell reicht die Propstei Goslar von der Kaiserstadt bis Langelsheim, Liebenburg, Ringelheim (Salzgitter) und Rhene (Baddeckenstedt). Die Gemeinden sind bereits in vier Kirchengemeindeverbänden zusammengefasst, aber für die Zukunft sind weitere Einschnitte unausweichlich.

Zwei Modelle stehen dabei innerhalb der Landeskirche zur Diskussion, schildert Gunkel: entweder die Propsteien abschaffen und größere Gemeinden bilden – oder die Propsteien deutlich vergrößern. Gunkel favorisiert größere Propsteien, daraus macht er keinen Hehl. Entscheiden muss aber die Landessynode, also das übergeordnete Kirchenparlament – voraussichtlich im kommenden Herbst.

Zuschnitte von Propsteien und Kirchenverbänden sind das eine. Viel spürbarer werden die Änderungen sicher in direkter Nachbarschaft: Wie viele Gemeindehäuser kann sich die Kirche noch leisten? Wie viele Gotteshäuser werden überhaupt noch gebraucht? Da wird der Redewendung, die Kirche im Dorf zu lassen, zur echten Herausforderung.

Wäre da die Ökumene nicht auch baulich eine gute Lösung? Könnten evangelische und katholische Gemeinden die Gebäude nicht gemeinsam nutzen – von Gottesdiensten bis zu Jugendgruppen?

Thomas Gunkel nickt und schmunzelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Gemeinsamkeit an vielen Orten. Die Not ließ Menschen zusammenrücken und machte erfinderisch. Danach seien „kirchliche Landschaften entstanden, die heute irreal sind“, sagt der Propst.

Gebäude für die Ökumene?

Die Wertvorstellungen in der evangelischen und der katholischen Kirche seien in einigen Punkten sehr unterschiedlich. „Aber ein Stück Gemeinschaftlichkeit, das ist auch nicht gekünstelt“, zeigt sich Gunkel aufgeschlossen.

So blickt der Propst nicht hoffnungslos in die Zukunft. Mit der Verheißung von Glück und Seelenfrieden im Jenseits könne Kirche zwar „heute keinen mehr hinterm Ofen hervorlocken“. Mit Themen wie Klimaschutz, Umwelt und Menschenwürde könne Kirche aber mittendrin sein im Leben.

„Wir müssen Orte schaffen, an denen Menschen darüber diskutieren können“, sagt Gunkel, als wir von seinem Arbeitszimmer gemeinsam zum Fotografieren an der Marktkirche aufbrechen. Besuchergruppen tummeln sich wie immer im prächtigen Gotteshaus, denn es lebt auch als kulturhistorisches Monument.

Links vom Altar öffnet Thomas Gunkel die gegen Feuchtigkeit und Kälte frisch sanierte Sakristei. Einen neuen Tisch hat sich der Propst dort gewünscht – „am liebsten für zwölf Personen ...“

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