In einem Land in unserer Zeit

Die Andorraner stellen sich für einen Gesichtsscanner-Test in Reih’ und Glied auf. Die „Wirtin“ (li.) weigert sich zunächst. Hat sie vielleicht etwas mit dem Mord zu tun, der durch einen Steinschlag begangen wurde? Die Andorraner glauben eher, dass es das Flüchtlingsmädchen „Andri“ war. Fotos: Meyer-Zurwelle
Goslar. Gemobbt, getreten, dem Tod geweiht: Die Rolle des Sündenbocks ist im Leben wie auf der Bühne eine tragische. Wie es sich anfühlen muss, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, das haben die Nachwuchsschauspieler der Theatergruppe des Christian-von-Dohm-Gymnasiums (CvD) ausführlich diskutiert, bevor sie die Proben zum Stück „Andorra“ von Max Frisch aufnahmen.
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„Das ist generell schon gruselig, darüber nachzudenken“, sagt die 18-jährige Antonia Dräger. Sie spielt in dem Stück die Hauptrolle und muss es daher wissen. Denn ihre Figur „Andri“, die in dem Originalwerk des Schweizer Schriftstellers eigentlich ein jüdischer Junge ist, wird auf der CvD-Bühne das ausgestoßene Flüchtlingsmädchen im Hier und Jetzt. Unter den ausländerfeindlichen Bewohnern des fiktiven Kleinstaates Andorras ist „Andri“ die Außenseiterin. Angeführt von dem mächtigen Nachbarvolk, den sogenannten „Schwarzen“, bezichtigen die Andorraner „Andri“ am Ende sogar des Mordes an der „Reichsgräfin“, die ebenfalls zu den „Schwarzen“ gehört.
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Die Regie und Leitung des Theaterensembles liegt erneut in den bewährten Händen von Tanja Woitinas und Axel Dücker. Mit den Schülern haben die beiden gemeinsam erarbeitet, wie sie den Text des 1961 uraufgeführten Dramas aktualisieren könnten. Bereits als sie anfing, manche Zeilen mit aktuellen Zitaten und Entwicklungen von Ereignissen, wie etwa den Ausschreitungen in Chemnitz, zu verknüpfen, sei ihr schlecht geworden, weil es so gut gepasst habe, erzählt Tanja Woitinas. „Der Plan ist, mit dem Stück authentisches Material in einen künstlerischen Rahmen zu setzen“, ergänzt Axel Dücker.
Wie gut das gelungen ist, wird bereits nach wenigen Minuten Zuschauens bei den Proben klar. Hassreden verursachen nun mal ein klammes Gefühl im Magen, egal ob sie draußen auf der Straße oder im Theatersaal stattfinden. Vor allem, wenn Fiktion und Wahrheit angesichts eines wieder aufkeimenden Nationalismus plötzlich solche Überschneidungen aufweisen.
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Wie legt man so eine Rolle – sei es die der Getretenen oder die der Tretenden – nach achtstündiger Probe wieder ab? „Als ich das Textbuch bekommen habe, habe ich schon viel über die Thematik nachgedacht. Sobald ich im Saal bin und mein Kostüm trage, bin ich auch in der Figur, aber wenn ich die Kleidung der Reichsgräfin wieder ablege, dann kann ich das auch relativ schnell hinter mir lassen“, meint die 14-jährige Pia Theissing, die als „Gräfin“ eine besonders zwiespältige Rolle zwischen dem Bösem und dem Guten einnimmt. Auch der Zusammenhalt, und die gute Stimmung im Ensemble würde helfen, ergänzt „Andri“-Darstellerin Antonia Dräger. Dennoch sei vor allem auch die Auswahl der aktuellen Reden und Ereignisse mit fremdenfeindlichem Hintergrund „hart gewesen“, meint sie. „Wir mussten das ja dafür auch alles recherchieren und vor allem angucken. Das war nicht leicht“, schildert Dräger. Neben all dem Schrecklichen, das ihrer Figur widerfahre, gebe es für sie aber auch einen positiven Aspekt: „Ich empfinde es als eine gewisse Ehre, in dem Stück das Symbol der Menschen, die unterdrückt werden, darzustellen“, sagt sie.
Die Vorstellungen sind am 12., 14., 15. und 16. Februar um 19 Uhr im CvD. Karten gibt es dort sowie bei Opus 57 für 6 (ermäßigt 4) Euro. Weitere Infos auf theaterimcv.de.