Junge-Szene-Interview
Dienstag, 10.01.2023 , 16:00 Uhr

Schönheitschirurg: „Beobachte eine Energie der Selbstoptimierung“

Junge Frauen streben immer mehr nach einem perfekten Körper und eifern dabei Schönheitsidealen nach. Vor allem Social-Media-Plattformen wie Instagram befeuern diese Entwicklung. Im Junge-Szene-Interview gibt Dr. Tobias Mett besondere Einblicke.

Besonders auf Social Media werden vermeintliche Schönheitsideale glorifiziert.

Besonders auf Social Media werden vermeintliche Schönheitsideale glorifiziert. Symbolbild: Unsplash

Pralle Lippen, eine makellose Haut und wohlgeformte Sanduhren-Körper sind Schönheitsideale, die besonders auf Social Media glorifiziert werden. Influencerinnen sprechen über ihre Eingriffe und erreichen dabei nicht nur psychisch stabile Erwachsene, sondern auch jugendliche Mädchen, die sich mitten in ihrer Findungsphase befinden und vielleicht gerade mit ihrem Aussehen zu kämpfen haben. Die Junge Szene hat mit dem Chefarzt der plastischen, ästhetischen und rekonstruktiven Chirurgie Dr. Tobias Mett über Schönheitseingriffe und den Einfluss von Social Media gesprochen.

Herr Mett, sehen Sie in Ihrem Berufsalltag eine gestiegene Nachfrage an Schönheitseingriffen bei jungen Erwachsenen?

Ja, gerade bei den jüngeren Patientinnen ist es so, dass sie durch die Sozialen Medien natürlich erheblich getriggert sind und dahin gehend Anfragen kommen.

Nach welchen Eingriffen werden denn da nachgefragt?

Das fängt mit den kleinen beziehungsweise nicht invasiven Eingriffen wie Botox und Fillerbehandlungen mit Hyaluron in beispielsweise den Lippen an. Auch kleinste Fältchen sollen so früh wie möglich weggespritzt werden. Das sind Eingriffe, die auch bei Instagram oft auftauchen. Die Anfragen laufen mittlerweile oft so ab, dass Patientinnen zu uns kommen und nur sagen: „Machen Sie das und wie viel kostet es?“ Seriöse Behandler schauen sich allerdings erst mal die Befunde an und gucken, was „nötig“ ist. Nur so kann bestimmt werden, wo die Reise hingeht und wie viel der Eingriff ungefähr kosten wird.

Welche Kriterien müssen denn für größere Eingriffe wie eine Brustvergrößerung erfüllt werden?

Diese Art von Operation ist natürlich ab 18 Jahren. Dann ist es so, je jünger die Patientin ist, desto eher bin ich dafür, mehrere Termine im Vorfeld zu vereinbaren. Oft sind junge Patientinnen sehr naiv und denken, sie lassen sich nur zwei Kissen einsetzen, überblicken aber nicht die kompletten Folgen. Das ist dann natürlich unsere Aufgabe, darüber aufzuklären und ihnen zu verstehen zu geben, dass das zu 100 Prozent nicht die letzte Operation im Leben sein wird.

Welche Risiken gibt es denn, die vielleicht gar nicht eingeschätzt werden können?

Also die ganz normalen Op-Risiken wie Blutungen und Infektionen nehmen viele in Kauf. Aber im speziellen Fall mit Implantaten ist es so, dass es ein Fremdkörper ist. Dieser wird vom Körper erst mal toleriert. Was viele allerdings erschreckt, ist, dass die Implantate selbst zwar vom Hersteller eine lebenslange Garantie auf Haltbarkeit haben, der Körper diese aber nicht ein Leben lang toleriert. Wir wissen, dass wir innerhalb von zehn bis 15 Jahren jede dritte Frau wieder operieren. Das können ästhetische Gründe sein, da der Körper Bindegewebe um die Implantate bildet, dies immer fester wird und teilweise auch Schmerzen verursachen kann. Außerdem müssen junge Frauen verstehen, dass die Familienplanung mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist und sich ihr Körper in den kommenden Jahren durch Zu- und Abnahmen noch verändern wird. Die äußere Hülle über dem festen Implantat wird sich daher verändern und sieht dann möglicherweise nicht mehr schön aus und dann entstehen Folgekosten.

Gab es schon Anfragen, die Sie abgelehnt haben?

Ja, das sind dann meist Vorstellungen, die nicht mit meinen übereinstimmen. Es gibt Damen, die kommen und sagen: „Ich möcht die Implantate dieser bestimmten Größe.“ Das sind dann manchmal Implantatgrößen, die mit meinem ästhetischen Verständnis nicht in Einklang zu bringen sind und bei denen ich auch die Sicherheit der Operation nicht mehr gewährleisten kann. Wenn eine zierliche junge Dame zu mir kommt, die sich wünscht, dass sie riesig große Implantate bekommt, weil ihre Freundin das auch so hat, dann ist das ein Grund, nein zu sagen. Diese Vorstellung passt weder zur Anatomie noch zu meinem ästhetischen Verständnis. Das ist vielleicht ein bisschen subjektiv, aber es gibt auch objektive Gründe, so eine Anfrage abzulehnen. Wenn die Wünsche mit der technischen Machbarkeit nicht übereinstimmen, dann ist es auf jeden Fall ein Grund abzulehnen. Gerade wenn man merkt, da liegt vielleicht noch etwas anderes begraben. Natürlich machen wir keine Psychotherapie, aber es gibt durchaus mal Situationen, wo man merkt, das ist jetzt nur ein Rettungsversuch, weil sonst irgendwas gerade nicht so richtig läuft. Dann versuche ich, das über zwei oder drei Termine rauszufinden – ist es wirklich rein der Wunsch einer Brustvergrößerung oder doch etwas anderes.

Sie hatten die Kosten vorhin schon angesprochen. Diese liegen meisten bei mehreren Tausend Euro. Können Sie einschätzen, warum immer mehr Menschen so viel Geld dafür auszugeben?

Ich beobachte eine Energie der Selbstoptimierung und der Druck durch die Gesellschaft und die Sozialen Medien. Wenn man bei Instagram den Feed runterscrollt, wird einem schon viel präsentiert, was „show and shine“ ist. Ich glaube, da setzte man sich dann gerne in einen gewissen Wettbewerb und ist auch bereit, dafür Schulden aufzunehmen. Oft kommt von jungen Patientinnen auch die Frage nach einer Finanzierung. Wenn es um eine rein ästhetische Maßnahme geht, sollte das Geld schlicht dafür übrig sein. Junge Menschen, die frisch im Berufsleben stehen und die ersten Gelder haben ohne Verpflichtungen, sind sicherlich schnell mal bereit, auch ein paar Tausend Euro zu investieren und überblicken noch nicht so ganz, welche Folgen das mit sich bringen kann. Gerade da eine Operation auch mal nicht gut gehen kann.

Eine andere Sache, die sich auch während der zwei bis drei Jahre Coronapandemie gezeigt hat, ist, dass sich die Selbstwahrnehmung verändert hat. Die Leute waren sehr viel zu Hause, haben sich sehr viel mit sich selber beschäftigt und haben sich während der Zoom-Konferenzen ständig vor Augen gehabt.

Sie hatten bereits erwähnt, dass Social Media bei dem Wunsch der Selbstoptimierung eine Rolle spielt. Kommt es vor, dass junge Frauen mit einem Bild zu Ihnen kommen und sagen: „So möchte ich gerne aussehen.“

Ja, das kommt vor. Also, ich möchte Social Media nicht verbannen. Gerade für Informationen oder um sich dahin gehend Arbeiten und Ergebnisse anzuschauen, ist Social Media sehr praktisch. Oft werden wir auch nach Vorher-Nachher-Bildern gefragt, was auch völlig legitim ist. Man soll ein Gefühl dafür bekommen, wie wir arbeiten und wie die Ergebnisse aussehen können. Ich finde es erst mal nicht verkehrt, wenn eine Patientin mir ein Bild zeigt und sagt: „So würde ich es mir vorstellen.“ Dann ist allerdings die Frage, ob die Patientin auch die gleichen Voraussetzungen wie die Dame auf dem Bild mitbringt. Oder ob eine ganz andere Körperbeschaffenheit vorliegt. Das Bild an sich ist daher nicht das Problem. Das Problem ist, wenn Wunsch und Realität nicht in Einklang zu bringen sind – dann bringt auch das Bild relativ wenig.

Birgt es nicht auch Gefahren, wenn ich zu meinem Arzt gehe und sage: „So würde ich gerne aussehen“ als würde ich einfach nur zum Friseur gehen?

Auf jeden Fall. Es geht mittlerweile soweit, dass es 3D-Simulationen gibt, und dann kommt die Operation, wie aus dem Katalog bestellt. Ich versuche in der Aufklärung auch klar zu machen, dass das so nicht garantiert werden kann. Denn die Gefahr ist natürlich, dass die Patientin nach dem Eingriff wieder mit dem Bild da steht und sagt: „So sehe ich jetzt aber gar nicht aus.“ Um Machbarkeit und das potenzielle Ergebnis abzugleichen, sind Bilder ein gutes Mittel. Aber manche Aspekte sind einfach nicht realisierbar.

Was würden sie jungen Erwachsenen raten, wie sie trotz eines „Makels“ ohne Eingriffe glücklich mit sich sein können?

Prinzipiell ist es auch in der Sozialgesetzgebung so vorgesehen, dass die Psyche nicht mit dem Messer behandelt wird – und das mache ich auch nicht. Wenn wir beim Beispiel der Brustoperationen bleiben und es liegt zum Beispiel eine kleine Asymmetrie vor, versuche ich den Patientinnen erst mal klar zu machen, dass dies völlig normal ist. Ich habe fast keine Frau in der Sprechstunde, die 100 Prozent symmetrische Brüste hat. Bei solchen Fällen versuche ich, den Patientinnen ein gewisses Wohlgefallen des eigenen Körpers zu vermitteln.

Die Goslarsche Zeitung gibt es jetzt auch als App: Einfach downloaden und überall aktuell informiert sein.


Meist gelesen
Weitere Themen aus der Region
Aktuelle E-Paper-Ausgabe