Vor seinem Fenster steigen Rauchsäulen in die Luft, und wenn er zum Supermarkt geht, fliegen ihm Bomben entgegen. Alexander, ein Künstler aus Kiew, der in seinem Umfeld unter dem Künstlernamen Felan Grey bekannt ist, lebt mitten im Krieg. Zu Hause ist der 30-Jährige im nördlichen Teil der Stadt, zusammen mit seinen Großeltern lebt er im neunten Stock eines Hochhauses und muss jeden Tag Zerstörung, Leid und Trauer mit ansehen. Mit seinen Bildern möchte Grey hauptsächlich andere und nicht sich selbst glücklich machen. Ihnen Mut und Zuversicht schenken.
In einer internationalen Chatgruppe für Künstlerinnen und Künstler hat der 25-jährige Melvin Dreher, Felan Grey aus Kiew kennengelernt. Der gebürtige Clausthaler ist mit dem Künstler bereits seit einem Jahr befreundet und sagt: „Beim Beginn des Kriegs war ich durch Felan quasi live dabei.“
Sehr schnell kam es zu einer finanziellen Notlage. Kurz nach Kriegsbeginn hat die Bank Greys Konto eingefroren, bis er seine Schulden komplett abbezahlt hat. Von heute auf morgen hatte er kein Geld mehr zum Leben und für seine dringend benötigten Medikamente – Felan ist nämlich herzkrank.
Sowohl Melvin als auch die anderen Mitglieder der Chatgruppe haben schnell von seiner Situation gehört und darauf hin eine separate Gruppe eröffnet. Dort haben Menschen aus Polen, Tschechien, Deutschland, Portugal bis hin zu den USA und Australien, Spenden für ihn gesammelt. Rund 1200 Euro sind dabei zusammen gekommen. Felan Grey hätte nicht damit gerechnet, dass ihm so viele Menschen helfen würden. Er konnte dank der Spenden seine finanziellen Probleme innerhalb von zwei Tagen lösen und sagt: „Ich kann ihnen gar nicht genug dafür danken. Ich bin einfach froh, dass ich Teil dieser Gemeinschaft bin und sie mögen und schätzen, was ich tue.“
Von seinem Fenster aus kann Felan Grey die Rauchsäulen sehen, die durch die Explosionen verursacht werden.
Seine derzeitige Situation zu beschreiben fällt dem 30-Jährigen schwer. Es ist eine Ausnahmesituation, die jetzt schon rund einen Monat lang andauert. Er sagt, er hat sich an das Geschehen bereits gewöhnt. Dank seiner Freunde hat er genug Geld für Essen und um das Internet zu bezahlen, sonst hätte er gar keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Allerdings ist die psychische Belastung enorm. Er und seine Familie leben jeden Tag, 24 Stunden lang in einer absoluten Stresssituation, in der an Schlaf nur wenig zu denken ist. Dazu kommt noch, dass vor seinem Fenster ein Krieg tobt und die Explosionen nicht nur extrem laut sind, sondern ihn jedes Mal aufs Neue zusammenzucken lassen.
Melvin Dreher erzählt, dass eine andere Künstlerin aus der Ukraine ihre Fenster komplett verklebt hat. Zum einen sind die Zustände in der Ukraine so traumatisch, dass sie es sich nicht mehr jeden Tag ansehen kann, zum anderen ist die Gefahr so groß, dass die Fenster durch die Explosionen eingeschlagen werden, dass sie sich vor herumfliegenden Glassplittern schützen muss.
Felan Grey möchte die Menschen mit seinen Bildern in eine andere, vielleicht auch bessere Welt mitnehmen. Da er nicht hauptsächlich für sich selbst zeichnet, sondern um andere glücklich zu machen, orientiert er sich oft an den Ideen und wünschen anderer. Der 30-Jährige findet nur schwer die richtigen Worte um seine Gefühle auszudrücken, daher ist das Bild mit dem detaillierten Porträt seiner Fantasiefigur und dem Spruch „I‘m Fine“ entstanden. „Ich habe dieses Bild einfach aus den Gefühlen heraus gezeichnet, die ich in diesem Moment hatte, und wollte damit sagen, dass es mir gut geht.“ Sein Freund Melvin erklärt daraufhin: „Es geht ihm gut, im Sinne von, er kommt zurecht. Der Ausdruck in der Zeichnung zeigt die wahren Emotionen, während die Worte wie mit Tinte verschmiert aussehen.“ Felan habe wohl eher den Wunsch, sich selbst ein bisschen davon zu überzeugen, dass es ihm gut geht. Er muss nämlich nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie stark sein.
Das Thema Krieg möchte der30-jährige Künstler in seinen Bildern wenig thematisieren: „Ich zeichne Fantasiewelten oder Charaktere für Menschen. Ich möchte nicht wirklich die Schrecken des Krieges in meiner Kunst zeigen. Das würde niemanden glücklich machen. Und es nur für den Hype zu tun, ist nicht meine Art.“
Selbst wenn er die Möglichkeit hätte, ein Bild zu zeichnen, welches Putin zu sehen bekommt, würde er dies nicht machen. Er hält an seinem Kodex fest, nur zu malen, um Menschen glücklich zu machen und das Letzte was er möchte ist, dass Putin oder das russische Militär glücklich ist. „Das Einzige, was ich ihnen antun würde, wären die Worte „GEHT WEG.“
Von seinem Fenster aus kann Felan Grey die Rauchsäulen, die durch die Explosionen verursacht werden, sehen.
Niemand weiß, was in den nächsten Monaten noch in der Ukraine passieren wird. Wie viel Leid die Menschen dort noch erfahren müssen, wie viel Zerstörung sie zu Gesicht bekommen. Auch Felan Grey fällt es noch sehr schwer, über die Zukunft nachzudenken. Der einzige Wunsch, den er momentan hat, ist zu überleben, um noch mehr Fantasiewelten für die Menschen auf der ganzen Welt zu zeichnen.