Emilio Sakraya im Interview
Samstag, 13.08.2022 , 15:00 Uhr

„Ich hatte Lust, einfach mal etwas anderes auszuprobieren“

Man kann ihn getrost als Multitalent bezeichnen. Emilio Sakraya ist einer der gefragtesten Jungschauspieler Deutschlands, ab Oktober etwa wird er in der Hauptrolle von Fatih Akins neuem Film „Rheingold“ in der Rolle des Rappers Xatar zu sehen sein.

Der deutsche Sänger Emilio. Sein Album „1996“ ist am 1. Juli erschienen. Foto: picture alliance/dpa/Another Dimension/Josselin

Der 26-Jährige, der mit seiner aus Marokko stammenden Mutter und einem Halbbruder in Berlin groß wurde, hat zudem musikalisch einiges drauf. „1996“ heißt sein zweites Album, es ist voll von modernen, ausgefeilten Pop-Songs, und in den Texten spiegelt Emilio mit teils originellen Sprachbildern die eigenen Unsicherheiten und die Suche nach dem Platz im Leben. Wir unterhielten uns mit Emilio in Berlin.

Emilio, Du bist als gebürtiger Berliner vor einem guten halben Jahr nach München gezogen. Wieso denn das?

Ich hatte Lust, einfach mal etwas anderes auszuprobieren, und in Deutschland kam für mich nur München infrage. Meine Musikproduzenten leben in der Stadt, was uns die Arbeit jetzt sehr viel leichter macht, aber vor allem ist München einfach ein Super-Ort, wenn du spontan ein, zwei Tage frei hast.

1996 ist Dein Geburtsjahr. Wieso hast Du das neue Album so genannt?

Weil es sich für mich anfühlt wie mein Baby. Wenn man das Album durchhört, versteht man recht gut, wer ich bin und wie ich ticke, was ich mag und was ich nicht mag. Insofern steht das Album wirklich für mich und für meine innere Gefühlswelt.

Im Vergleich zu Deinem Debüt „Roter Sand“ von vor zwei Jahren, klingt „1996“ moderner, urbaner und temporeicher.

Ja, definitiv. Die Musik ist insgesamt positiver. Wir haben die Melancholie ein bisschen verloren oder besser gesagt, uns dafür entschieden, sie zurückzufahren. „1996“ soll vor allem Spaß machen. Ich wollte ein Happy Album aufnehmen, das mehr nach vorne geht und tanzbarer ist.

Hast Du selbst auch Deine Melancholie verloren?

Nein, ganz bestimmt nicht. Das Spannende bei dieser Platte war, melancholische Themen wie das Ende einer Beziehung aufzugreifen und einen fröhlich klingenden Song daraus zu machen, so wie bei „SOS“.

Zu einem flotten Beat singst Du da „Die Nachbarn fragen sich, haben wir Sex oder Streit“. Eine Situation aus Deinem Leben?

Um Gottes willen. Ich war in der Wohnung noch nie so laut mit jemandem, dass die Nachbarn vorbeikamen. Ich finde den Satz cool, weil er sehr schön bildlich ausdrückt, wie nah Zerstörung und Liebe beieinander liegen können. In Songs geht es für mich auch darum, Sachverhalte mit wenigen starken Worten so auf den Punkt zu bringen, dass sofort Bilder in den Köpfen der Hörerinnen und Hörer aufploppen.

In „Winter“ singst Du, Du hättest so viele Rollen gespielt, dass Du nicht weißt, wer Du eigentlich bist. Einerseits keine schlechte Voraussetzung für einen Schauspieler und Musiker, andererseits auch ganz schön traurig. Was willst Du mit dem Satz sagen?

Dass ich immer noch dabei bin, mich selbst kennenzulernen. Was auch voll in Ordnung ist. Ich denke, das ist ein Prozess, der niemals ganz aufhören wird.

Du bist gerade 26 geworden, umgezogen, beruflich erfolgreich. Wie viel von einem erwachsenen Mann steckt denn in Emilio Sakraya?

Tatsächlich höre ich diese Frage in letzter Zeit immer öfter. Ich glaube, das Erwachsenwerden beginnt damit, dass man Verantwortung übernimmt, und das, wenn es nötig ist, auch kompromisslos. Irgendwann kannst Du halt nicht mehr sagen: „Das machen schon die Eltern“. Sondern Du musst selbst für die Dinge einstehen, die Dir wichtig sind – ob es im Job ist, bei privaten Beziehungen oder bei der Frage, was Du heute einkaufst.

Du stehst seit Deinem neunten Lebensjahr erfolgreich vor der Kamera. Bist Du in Sachen Selbstständigkeit und Verantwortung weiter als die meisten anderen Mittzwanziger?

Das kann ich nicht einschätzen. Ich habe gar nicht so viele Freunde, und mein engster Kreis ist tatsächlich wesentlich älter als ich. Ich glaube, dass sich die Menschen meiner Generation grundsätzlich schwer damit tun, sich zu entscheiden. Wir alle haben so viele Möglichkeiten und können unser Leben von heute auf morgen radikal umkrempeln, wenn uns danach ist. Gleichzeitig wissen viele Leute in meinem Alter noch so überhaupt nicht, wo sie hinwollen im Leben.

Das war bei Dir anders.

Absolut. Ich bin wahnsinnig froh und dankbar, dass ich so früh gewusst habe, was ich machen will. Und dass ich einen Beruf ausüben darf, den ich wirklich von ganzem Herzen liebe. Ich glaube, wenn Du das, was Du machst, nicht gerne machst, dann endet das fast immer in einer Depression. Im Idealfall sollten wir alle unser Leben so führen, dass wir glücklich sind.

Wann hast Du gemerkt, dass Schauspiel und Musik Dein Leben sind?

Das war schon als kleines Kind ein Traum von mir, und bei der Umsetzung dieses Traums hat mich meine Mutter sehr, sehr unterstützt.

Auf „Roter Sand“ gibt es einen Song über Deine Mutter, auf „1996“ hast Du jetzt mit „Oma Ti“ ein Lied über Deine Großmutter aufgenommen. Was ist sie für eine Frau?

Meine Oma und auch meine Mutter sind positive Menschen voller Lebensenergie. Ich denke, diese Einstellung überträgt sich von Generation zu Generation. Mein Opa ist früh gestorben, meine Oma, die in Marokko lebt, ist morgens um 5 Uhr zum Markt gegangen, hat einkauft, für die Familie gekocht und ist immer das Bindeglied zwischen meiner Mutter und ihren Geschwistern gewesen. Ihre Kraft und ihr Durchhaltevermögen, eine Familie zu ernähren und zusammenzuhalten, finde ich sehr beeindruckend.

Wie war es für Dich, mit so starken Frauen aufzuwachsen?

Ich habe von beiden gelernt, dass ich alles erreichen kann, was ich will – unter einer Voraussetzung: Ich stecke wirklich harte Arbeit rein. Solchen Gedanken wie „Das kann nicht klappen“ oder „Das geht sowieso schief“ sind mir immer fremd gewesen. Weil meine Mutter mir nie das Gefühl gegeben hat, dass etwas nicht funktionieren kann. Wir hatten nie viel Geld, wir mussten immer schauen, dass wir auskamen. Aber meine Mutter hat es geschafft, dass wir das nicht merkten.

Wie wichtig ist Dir der materielle Erfolg vor diesem Hintergrund?

Der ist mir schon wichtig, weil ich in meiner Jugend so geprägt war, dass ich nie haben konnte, was die anderen hatten, ob es jetzt das neueste Handy oder eine coole Winterjacke war. Ich finde es auch schön, mich selbst zu belohnen und mir damit auch selbst zu zeigen, was ich erreicht habe. Oder meiner Mutter eine Reise nach Marokko zu schenken, damit sie ihre Familie besuchen kann. Ich glaube, ein gewisser Materialismus ist bei mir vorhanden, aber auf einem gesunden Level. Ich definiere mich nicht über die Sachen, die ich mir kaufe.

Wer waren in der Jugend Deine Idole?

Klassische Vorbilder hatte ich nie. In meinem Kopf steckte schon immer der Wunsch, meine eigene Geschichte zu schreiben, meine eigene Legende zu werden. Außerdem fällt es mir schwer, jemanden als Idol zu beschreiben, den ich gar nicht kenne. Aber was die Arbeit betrifft, finde ich es natürlich superspannend, was sich ein Leonardo DiCaprio für Rollen aussucht oder welche Beats ein Post Malone gerade benutzt.

Ende Oktober kommt der von Fatih Akin inszenierte Film „Rheingold“ ins Kino. Du spielst die Hauptrolle, den wirklich harten Gangster-Rapper Xatar. Habt Ihr Euch ausgetauscht?

Ja, sehr intensiv sogar. Das war eines meiner spannendsten Filmprojekte bisher. Jemanden zu spielen, den es wirklich gibt, und den man von Grund auf für die Rolle studieren muss, war eine tolle Herausforderung. Mir kam dabei sehr zugute, dass ich Musiker bin, singe, Klavier und Gitarre spiele und mich ein bisschen mit Hip-Hop auskenne.

Auch das Thema Liebe kommt auf „1996“ nicht gerade zu kurz. Dabei malt fast jeder Song beziehungstechnisch ein anderes Bild, von extrem glücklich bis zutiefst betrübt. Wie sieht es denn bei Dir selbst aus?

Ich sehne mich nach einer festen Bindung und nach einer Partnerin, mit der ich durchs Leben gehen kann. Aber wie wir vorhin schon besprochen haben – wir neigen zur Schnelllebigkeit, auch in der Liebe. Eigentlich sehnen wir uns total nach einer festen Beziehung, aber wir halten uns lieber alles offen für die nächste, vielleicht noch bessere Option. Ich glaube, dass ich nicht der Einzige bin, der so fühlt und der diese Erfahrungen macht. Für alle von uns, die, wie ich, den Partner oder die Partnerin fürs Leben noch nicht gefunden haben, ist die Suche nach der Liebe jeden Tag ein Thema.


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