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Verhandlung am Landgericht

GZ Plus IconOkeraner Mordprozess: Sohn gerät heftig mit Verteidiger aneinander

Das Braunschweiger Landgericht: ein großes historisches Gebäude mit Sandsteinfassade an einer nassen Straße, mehrere parkende Autos und Fußgänger, herbstliche Bäume mit gelben Blättern.

Am sechsten Verhandlungstag im Okeraner Mordprozess wird es emotional am Braunschweiger Landgericht: Der Verteidiger des Angeklagten und dessen 22-jähriger Sohn geraten aneinander. Foto: Klengel

Die Emotionen kochen hoch: Der 22-jährige Sohn des Opfers und des Angeklagten reagiert heftig auf die Fragen des Verteidigers, bis der Richter eingreift.

Von Corina Klengel Samstag, 22.11.2025, 04:00 Uhr

Braunschweig/Oker. Auch am sechsten Verhandlungstag des Mordprozesses vor dem Landgericht Braunschweig zeigte der Angeklagte, ein 50-Jähriger, zuletzt in Oker lebender Familienvater syrischer Herkunft, keinerlei sichtbare Regung. Sein Sohn dagegen, dessen Vernehmung an diesem Tag fortgesetzt wurde, konnte seine Gefühle kaum unter Kontrolle behalten.

Der 22-Jährige und auch sein fünf Jahre jüngerer Bruder belasteten ihren Vater von Anfang an schwer. Beide Söhne waren dem Angeklagten gegenüber extrem distanziert. Der jüngere nannte den Vater ausschließlich bei Vor- und Zunamen, der ältere benutzte in seiner Aussage nur Personalpronomen. Beide mochten das Wort Vater nicht in den Mund nehmen.

Angeklagter bestreitet die Tat

Die Mutter soll Anfang Mai in ihrem Bett liegend mit Benzin übergossen und angezündet worden sein. Gegen vier Uhr nachts fiel oder sprang sie aus dem Fenster und landete brennend auf einer Wiese. Die Frau starb später an ihren schweren Verletzungen. Der 50-Jährige befindet sich seither in Untersuchungshaft. Er bestreitet die Tat.

Der 22-Jährige war der erste, der die noch immer brennende Frau erreichte. Sie soll dreimal „Abu“ gesagt haben, das arabische Wort für Vater. Der 22-Jährige schloss daraus, dass dieser seine Mutter angezündet hatte. „Ein Fehlschluss“, sagte Verteidiger Matthias Jochmann auch an diesem Tag dazu.

Die Aussage des älteren Sohnes begann bereits am dritten Verhandlungstag. Über zwei Sitzungstage verteilt musste der 22-Jährige insgesamt sechs Stunden Rede und Antwort stehen, wobei die Fragen der Verteidigung rund vier Stunden in Anspruch nahmen. Während der junge Mann alle Fragen der Strafkammer und des Staatsanwaltes geduldig und sachlich beantwortete, kochten schon bei den ersten Fragen des Verteidigers die Emotionen hoch – und das nicht nur bei dem Zeugen.

Einige Verständigungsprobleme

Viele der von Rechtsanwalt Matthias Jochmann gestellten Fragen betrafen nicht das Kerngeschehen, sondern Nebenschauplätze. Der Zeuge, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, verstand einige der Fragen wohl nur schlecht. Auch brachte er Daten durcheinander oder hatte Erinnerungslücken. „Wir befinden uns nicht in einer Talkshow oder einem Bazar.“ Mit solchen Worten setzte Jochmann dem 22-Jährigen zu. Er wolle damit Erinnerungen wecken, verteidigte der Anwalt seine Befragungsstrategie gegenüber der Kammer. Jedoch baute der Verteidiger so viel Druck auf, dass der 22-Jährige schließlich im Gerichtsflur mit Wucht auf eine der Metallbänke einschlug und sich verletzte. Nach diesem Vorfall stellte der vorsitzende Richter Dr. Ralf-Michael Polomski an den Verteidiger gerichtet fest, dass die Grenze der Belastbarkeit des Zeugen erreicht sei und sich die Kammer aufgrund ihrer Fürsorgepflicht vorbehalte, dass Fragen über das Gericht zu stellen seien. Zudem setzte sich die Nebenklagevertreterin Stefanie Artelt-Tiede neben ihren Mandanten. Von da an verlief die Vernehmung wesentlich ruhiger.

Aggressive Reaktion des Zeugen

Tatsächlich reagierte der Zeuge auf Nachfragen vonseiten des Verteidigers extrem aggressiv. Den zum Teil sehr herben Wortwechseln war zu entnehmen, dass der 22-Jährige den Rechtsanwalt einige Zeit zuvor zusammen mit seiner Mutter aufgesucht und um Hilfe gebeten hatte. Jochmann stellte, ebenfalls mit erhobener Stimme, klar, dass er das Mandat seinerzeit abgelehnt habe. So gestaltete sich diese Zeugenvernehmung als extrem schwierig, zumal sich der Verteidiger die traumatischen Erlebnisse jener Nacht immer wieder schildern ließ. Dabei bestätigte der 22-Jährige erstmals, dass sein Vater doch zu der brennenden Mutter gekommen sei. Er habe sie mit einem Handtuch „bedeckt“, sagte er. Der Angeklagte hatte dies als Löschversuch dargestellt. Was wirklich gemeint war, blieb unklar.

“Schlechte Gebete“ über den Vater

„Sein Kopf war total leer“, so versuchte später der jüngere Bruder die Erinnerungslücken des 22-Jährigen zu erklären. Auch der 17-jährige Sohn bestätigte, dass die Mutter „Abu“ gesagt und „schlechte Gebete“ über den Vater geäußert habe, als sie auf der Wiese lag. Der junge Zeuge schilderte die bedrückende Veränderung seines Vaters von einem einst freundlichen Menschen bis hin zu dem von Eifersucht und Aggression gebeutelten Mann, der er zuletzt gewesen sei. Er habe nicht mehr mit der Familie gegessen, weil er Angst hatte, vergiftet zu werden, und habe längere Phasen nicht geschlafen. Neben ständigen Beleidigungen habe er auch mehrfach gedroht, die Familie zu bombardieren, abzustechen oder anzuzünden, so der 17-Jährige.

Am Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt.

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