Paladine und Propagandisten: Wer Adolf Hitlers Komplizen sind
Der neu ernannte Reichskanzler Adolf Hitler (l.) grüßt nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 aus einem Fenster in Berlin heraus den vorbeiziehenden Fackelzug. Neben ihm stehen Innenminister Wilhelm Frick, Reichsminister Hermann Göring und der spätere Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß (v.l.). Foto: picture alliance / dpa
Warum stammen so viele Nazis aus dem Bildungsbürgertum? Ex-Cambridge-Professor Richard J. Evans hat Adolf Hitlers Komplizen in einem Buch untersucht. Eine Rezension.
Der Mann meinte, was er sagte. Und er setzte es in die Tat um: Adolf Hitler hat sich bestimmt nicht an die Spitze der Deutschen gelogen, als er sich am Ende der Weimarer Republik anschickte, mit seinen braunen Schergen die Macht zu übernehmen, die Juden mit allen Schikanen zu drangsalieren und noch Millionen andere Menschen in einem fürchterlichen Krieg in den Tod zu treiben. Richard J. Evans, 78 Jahre alter ehemaliger Cambridge-Professor und Nestor der britischen Geschichtswissenschaft, wählt in seinem fast 800 Seiten starken Buch über Hitler selbst und seine Komplizen einen biographischen Ansatz, um Dinge begreifbar(er) zu machen, die vielleicht nie vollständig zu begreifen sind.
Die Nazi-Bildungsbürger
Warum etwa stammen so viele führende Nationalsozialisten aus dem Bildungsbürgertum? Nach Evans kamen sie eben nicht vom Rande der Gesellschaft, sondern fast ausnahmslos aus einer Schicht, die ihren Verstand eigentlich besser hätte einsetzen sollen. Hätte einsetzen müssen. In den Führungsgremien habe es keinen einzigen Arbeiter gegeben.
Sogar der so grobschlächtig auftretende SA-Chef Ernst Röhm, kam aus sogenannten gutem Hause. Der Mann, der nach Kräften an einer Legende von sich selbst als einfacher und rücksichtsloser Soldat strickte, war ein guter Klavierspieler, las deutsche Klassiker und hatte in der Schule fleißig Latein gelernt. Und der Mann war homosexuell. Was deshalb interessant ist, weil er Ende Juni 1934 in der Nacht der langen Messer angeblich unter anderem aus Ekel über diese Eigenschaft liquidiert wurde. Vorher hatte der schwule Braunhemden-Boss seinen Duzfreund Hitler mit dieser Veranlagung nicht gestört. „Was geht es mich an, wenn ein Mann homosexuell ist, solange er Nationalsozialist ist und mir treu bleibt?“ Das wusste der „Führer“ und sagte es so. Röhm musste sterben, weil die Generäle angesichts von zwei Millionen Straßenschlägern in der SA Angst vor Konkurrenz bekamen.
Frank Heine Foto: Sowa
Die Röhm-Geschichte ist aber nur eine von 22 Viten, die Evans nach Hitler selbst unter den Kategorien Paladine, Vollstrecker und Werkzeuge einsortiert. Sein Vorgehen ist deshalb interessant, weil Evans bisher eher als Verfechter eines strukturgeschichtlichen Ansatzes galt und jetzt auf Biographien umschwenkt. Weil es neue Forschungsergebnisse gibt. Und weil immer mehr „skrupellose populistische Politiker in unserer eigenen Zeit“ sich nicht darum scheren, „ob das, was sie sagen, wahr ist“. Das massive Wachstum des Internets und der sozialen Medien haben laut Evans eine „weitverbreitete Unsicherheit in Bezug auf die Wahrheit hervorgerufen, gepaart mit einer Geringschätzung beweisgestützter Aussagen sowie der Arbeit von Wissenschaftlern und Experten“. All dies habe bei ihm ein Nachdenken ausgelöst.
Warnungen in den Wind geschlagen
Ein Nachdenken, das maximal lesenswerte Lebensgeschichten von Menschen zum Ergebnis hat, die alle Warnungen in den Wind schlugen und einem Mörder nicht immer nur folgten, sondern seinen Weg bereiteten, ihm halfen und ihn (lange) vergötterten. Wie Luise Solmitz, eine Hamburger Lehrerin, die von Hitler so begeistert war, dass sie ihren Bruder denunzierte, obwohl ihr eigener Mann jüdischer Abstammung war. Sie ist übrigens neben Leni Riefenstahl die einzige Frau, die im Buch ein Kapitel bekommt. Sicherlich deshalb, weil Frauen in den obersten Nazi-Etagen unterrepräsentiert waren. Aber eben auch nicht weniger verblendet, karrieregeil und skrupellos, wie das Beispiel Riefenstahl beweist, die sich ihr Leben nach dem Weltkrieg gnadenlos schön und harmlos gelogen hat.
Richard J. Evans, Hitlers Komplizen, dva, 40,- Euro
Copyright © 2025 Goslarsche Zeitung | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.