Niedersachsen. Samy Deluxe, Ende 1977 in Hamburg als Samy Sorge geboren, ist eines der großen Urgesteine im deutschen Hip-Hop. 1997 startete er die Band Dynamite Deluxe, 2001 kam sein Debütalbum „Samy Deluxe“ inklusive seines bekanntesten Songs „Weck mich auf“ auf den Markt, immer wieder weiß der Rapper und Street-Art-Künstler sein Publikum seither zu überraschen.
Und auch gesellschaftlich setzt Samy Akzente. Mit dem Projekt Brothers Keepers setzte sich der Sohn einer Deutschen und eines Sudanesen gegen Rassismus ein, zudem engagiert er sich seit vielen Jahren dafür, Kindern und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten an Kunst und Musik heranzuführen. Aber vor allem macht Samy Deluxe natürlich Musik. Steffen Rüth unterhielt sich mit dem Künstler, der seit zehn Jahren im Nirgendwo Niedersachsens lebt, ganz klassisch per Telefon.
Eigentlich will ich jedes Mal ein kompaktes und nicht zu schwer verdauliches Album mit zehn bis zwölf Tracks machen. So einen richtigen Klassiker halt. Aber das habe ich wieder nicht hinbekommen. Ich tendiere einfach zur kompletten Reizüberflutung. In den nächsten Monaten will ich sogar noch sieben, acht zusätzliche Songs rausbringen, die mehr den Spaßfaktor betonen, den es in meiner Musik ja auch gibt und der auf „Hochkultur 2“ ein bisschen kurz kommt.
Das stimmt, aber dann kam sehr viel zusammen, was diesen Plan verhindert hat. Auf dem Album sind noch einige Songs aus 2020, die meisten habe ich aber erst 2022, einige auch erst 2023 geschrieben. Eine Zeit lang habe ich die Musik überhaupt nicht mehr gefühlt, ich mochte meine eigenen Songs nicht mehr hören. Ein halbes Jahr hatte ich sogar ganz aufgehört, Musik zu machen.
Ich hatte mitten in der Pandemie so einen richtigen Tiefpunkt. Da kam einiges bei mir zusammen. Beziehungskram, aber auch eine fehlende kreative Erfüllung und Befriedigung. Ich war nicht mehr glücklich mit dem Gedanken, dass mein künstlerisches Leben die nächsten zwanzig Jahre so weitergehen sollte, wie es in den letzten zwanzig Jahren war. Das typische Hinterfragen halt. Dazu kam noch der Mord an George Floyd und die daraus entstandene „Black Lives Matter“-Bewegung, die noch einmal Kindheits- und überhaupt menschliche Traumata in mir aufgerissen hat.
Für mich war Rassismus nicht einen Tag im Leben inaktuell oder überwunden. Als dunkelhäutiger Mensch in Deutschland erlebe ich die Blicke jeden Tag auf der Straße. Ich hatte insgesamt viel mit mir zu knabbern, auch weil ich mich intensiv mit meiner eigenen Psyche beschäftigt habe.
Nein, im Gegenteil. Ich habe sehr viel über mentale Gesundheit gelesen, mir jede Menge Podcasts über Psychologie angehört, und mir wirklich selbst den Spiegel vor die Nase gehalten, um zu gucken, wo ich vielleicht nicht nur Opfer, sondern auch Verursacher meiner Ängste, meiner Sorgen, meiner Paniken sein könnte. Während dieser Zeit habe ich mich stark zurückgezogen. Auch meinen Podcast habe ich eingestellt, obwohl der sehr gut lief. Ich wollte mich in der Öffentlichkeit gar nicht mehr äußern, einfach nicht mehr in Erscheinung treten.
Manche müssen vielleicht auch Tabletten nehmen, aber ich kenne aus meinem engeren Umfeld Fälle, wo die Pillen den Leuten komplett die Emotionen genommen haben. Ich habe eher versucht, mich mit Selbstreflexion und Humor durch das tiefe Loch zu kämpfen. Natürlich kann man nicht alle Faktoren seines Lebens beeinflussen, aber man kann zum Beispiel entscheiden, welchen Input man sich täglich gibt.
Der Sänger Samy Deluxe steht beim Benefiz-Konzert «Peace x Peace» zugunsten von Kriegs- und Flüchtlingskindern am 18.06.2017 auf der Waldbühne in Berlin. Foto: dpa
Durch meinen Beruf fühle ich mich der Welt ziemlich ausgeliefert. Wir alle lernen, dass es schön ist, viel Zuspruch zu bekommen und dass wir maximal vielen Menschen gefallen müssen – im Beruf, im Sportverein, vor allem auch in den sozialen Medien. Seit ich also mit Anfang 20 in der Öffentlichkeit stehe, werde ich sehr, sehr viel bewertet und beurteilt. Manchmal hat mich das ermutigt und bestärkt, oft habe ich darunter gelitten. Speziell in meinen Anfangsjahren war ich sehr unsicher. Ich habe immer versucht, souverän zu wirken, dadurch dachten viele Leute, ich sei arrogant.
Mit ganz einfachen Sachen. Sachen, die gar kein Geld kosten. Mit Spaziergängen, Stretching, dem Versuch, mehr auf meinen Körper zu achten und so viele Schadstoffe wie möglich aus meinem Alltag zu beseitigen. Ich habe schlechtes Essen und andere Gifte dadurch ersetzt, mich viel draußen in der Natur aufzuhalten. Ich habe mir zum Beispiel eine alte Frankfurter Straßenbahn in den Garten gestellt und mir als Atelier ausgebaut.
Ja, ganz besonders gern sprühe ich Graffitis und mache Street-Art. Meine Liebe zur Kunst ist immer größer geworden in den letzten Jahren. Auch, als ich keine Musik mehr machen wollte, habe ich weiter gemalt.
Die Einöde tut mir sehr gut. Auch meine Wohnung in Berlin, die ich zwischendurch hatte, habe ich aufgegeben. Hier auf dem Land kann ich wunderbar auf mich selbst achten, auch das Alleinsein hier bekommt mir gut. Ich hatte immer so viel Verantwortung für andere, zahlreiche Menschen waren auch finanziell von mir abhängig, und es war vor allem während der Pandemie anstrengend, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Jetzt ist alles eine Nummer kleiner, der Druck nicht mehr so hoch und meine Außenwirkung auf andere, die mir immer sehr wichtig war, spielt keine so große Rolle mehr.
Es war sehr wohltuend und eine Erleichterung, drei Jahre lang einfach nur Mensch zu sein und nicht am Applaus der anderen zu hängen. Ich spiele immer noch gerne für andere Leute, aber das gibt mir nicht mehr so viel wie früher.
Viele Leute fordern von mir seit einigen Jahren ein „Weck mich auf, Teil 2“. Gerade während der Pandemie war es erstaunlich, wie viele Menschen diesen Song scheinbar in dem Moment zum ersten Mal mit Inhalt gefüllt haben, wo sie selbst von gefühlter Ungerechtigkeit betroffen waren und viele Fragen hatten, wie der Staat oder die Pharmaunternehmen mit uns umgehen. Ich hatte aber keinen Bock, mit plakativen Phrasen aufzuwarten und fürchten zu müssen, von den falschen Leuten bewusst falsch verstanden zu werden.
Die Botschaft des Songs war immer akut. Es gibt Themen, die so verankert sind in der Menschheit, dass sie nie irrelevant werden. Dazu gehören Liebe und Herzschmerz, aber auch der Kampf gegen Unterdrückung und für mehr Freiheit. Wir hier in Deutschland sind verglichen mit den meisten Ländern auf der Welt sehr privilegiert, aber trotzdem ist nicht jeder Bürger jeden Tag zufrieden. Wir alle haben es auf unterschiedliche Weisen schwer. Die einen suchen Identifikationsflächen in politischen Parolen, die anderen in Liedern.
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