Der Rap-Musiker Friedrich Kautz alias Prinz Pi, groß geworden am Berliner Schlachtensee als relativ Armer unter Reichen, klingt auf seinem 17. Album „ADHS“ so bissig wie seit langem nicht. Die Beats sind härter, die Melodien nicht mehr so weichpoppig, und die Themen, die der 43-jährige Familienvater auf seiner Platte mit großem poetischen Geschick anspricht, sind absolut relevant und wichtig.
Ja, das tut mir sehr gut. Ich denke ohnehin, die geistige Verfassung sollte kein Tabuthema sein. Und zunehmend ist es das ja auch glücklicherweise nicht mehr. Wenn du dir das Bein brichst, machst du ja auch keinen Hehl daraus. Auch wer sich körperlich optimiert, sei es, sich Haarwurzeln implantieren lässt oder viel Geld ausgibt, um einen runderen Po zu bekommen, macht selten ein Geheimnis daraus. Dabei ist doch das Wichtigste, was du für dich tun kannst, die mentale Selbstfürsorge. Unser Gehirn ist ein Wunder der Natur, es unterscheidet uns von allen anderen Spezies – und dementsprechend viel Pflege sollte man ihm zukommen lassen.
Ich versuche, die Fragen, die mich bewegen, zu bündeln und in meiner Musik zusammenzufassen. Das ist abgesehen von meinem Lieblingssport, dem Boxen, das wirkungsvollste therapeutische Mittel, das ich kenne. Ich liebe es, mich superlange mit meinen Songs auseinanderzusetzen. Allerdings quäle ich mich bei dieser Arbeit auch ganz schön.
Weil ich schrecklich hohe Ansprüche an mich selbst habe und so gut wie nie zufrieden bin. Ich sitze an einem Song und denke die ganze Zeit, dass ich kompletten Schrott fabriziere, und dann tüftele ich so lange, bis ich halb zufrieden bin. Nur um anschließend wieder alles in Frage zu stellen.
Leider nein. In den letzten paar Jahren sind meine Selbstzweifel sogar noch mal schlimmer geworden. Ich arbeite nicht so, dass ich gewissermaßen tagesaktuell irgendwelche Stücke raushaue, sondern versuche, große und komplexe Sachverhalte in meine kleinen Songs zu verpacken. Manchmal ist der Zeitgeist heutzutage jedoch so schnelllebig, dass es eng wird mit der Aktualität, wenn ein Lied dann endlich rauskommt. Auf „ADHS“ ist zum Beispiel die Nummer „Telegrammgruppe“, für mich der wichtigste Song des ganzen Albums, die davon handelt,wie extrem wir alle in unseren eigenen Blasen leben. Bei manchen der erwähnten Charaktere habe ich jetzt nur die Sorge, dass ihr Haltbarkeitsdatum überschritten ist, dem Virologen zum Beispiel. Diese Berufsgruppe war zwei Jahre lang täglich in den Medien und ist mittlerweile total in den Hintergrund gerückt und von der Zeit überholt worden.
Dass der Typ komisch ist, weiß man spätestens, seitdem er sein Kind nach einem Testflugzeug benannt hat. Aber gut, er hat durch Innovation die Auto-Industrie umgekrempelt und in wenigen Monaten eine Fabrik in Brandenburg gebaut, während Berlin zwanzig Jahre lang an seinem Flughafen verzweifelte. Das muss man ihm lassen. Trotzdem scheint er gerade am Durchknallen zu sein und sich dorthin zu begeben, wo Kanye West längst ist: in den Wahnsinn.
Absolut. Nichts tut so sehr weh, als wenn die eigenen Idole fallen. Und Kanye ist echt verdammt tief gefallen. Jahrelang spielte er sehr gekonnt auf der Klaviatur des Skandale-Verursachens, das Übertreten von Grenzen war für ihn ein erfolgsversprechender Marketingmechanismus. Allerdings mussten nun auch die größten Fans erkennen, dass er einfach nur ein antisemitisches Arschloch ist. Und gefährlich wird es meines Erachtens, wenn sich Milliardäre nicht einfach weiterhin Yachten, Inseln und Privatraketen kaufen, sondern sich Medien wie Twitter, Zeitungen oder Messangerdienste zulegen. Die öffentliche Meinung ist in der Hand von fragwürdigen Milliardären nicht besonders gut aufgehoben.
Ich habe drei Kinder, 13, sieben, und zwei Jahre alt, die machen mich sehr glücklich. Selbst, wenn sie ständig wie die Saurier über ihr Müsli herfallen und ich dann wieder alles aufräumen darf (lacht). Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob man über sich selbst glücklich ist. Die letzten Jahre waren eine Zeit, in der sich viele, ich mich auch, sehr intensiv mit sich selbst beschäftigt, Dinge reflektiert und aufgearbeitet haben. Das geht den Individuen so, aber auch ganzen Gesellschaften – in den USA wird verstärkt über Rassismus debattiert, in der Schweiz über das einstige Schicksal der Verdingbuben, die im Prinzip Kindersklaven waren, in Deutschland etwa geht man selbstkritischer mit seinem kolonialen Erbe um und gibt beispielsweise Raubkunst zurück an die rechtmäßigen Besitzer.
Ich war sicher einer der besten Kunden der Stadtbibliothek Zehlendorf-Mitte (lacht). Ich hatte immer den ganzen Rucksack voller Bücher und habe echt unheimlich gerne und auch viel gelesen. Ich habe sogar irgendwann eine besondere Technik gelernt, das „improved reading“, auf Deutsch „verbessertes Lesen“. Viele Juristen und Mediziner praktizieren das auch. Dabei trainierst du dein Gehirn, schneller zu lesen, dadurch nimmt es außerdem auch mehr von dem Lesestoff auf. Im Schnelllesen war ich bei uns immer der Klassenbeste.
Mein Wunsch war es eher, eine Ausbildung zu machen. Ich wäre richtig gerne Tischler geworden. Jetzt ist die Tischlerei mein Hobby. Die Möbel bei uns zu Hause habe ich fast alle selbst gebaut. Ich finde es eine Schande, dass Ausbildungsberufe in unserer Gesellschaft nicht so hoch angesehen werden wie akademische Berufe. Und dann fehlen bei uns in ganz vielen handwerklichen Berufen die Leute. Industrie und Handwerk suchen verzweifelt nach Personal, und aus der Politik tönt es „Wir dürfen keine Menschen mehr in dieses Land lassen“. Was für ein Widerspruch!
Ich weiß nicht. Vielleicht. Quasi der Grund, wegen dem ich mich entschieden habe, Musik zu machen, ist ein sehr altes Buch von Cicero: „De re publica“ („Über das Gemeinwesen“). Es handelt davon, was der Einzelne für die Gesellschaft tun sollte, bei den Römern war das Gemeinwohl eine wichtige Angelegenheit. Die meisten wurden Soldaten, was im alten Rom zwanzig Jahre bei der Armee bedeutet, es gab aber auch Menschen, die zum Nachdenken animierten, weil sie gut reden konnten. Ich überlegte also, wie ich selbst mit meinen begrenzten Mitteln einen Mehrwert schaffen könnte – und kam auf Schriftsteller, Musiker oder eben Politiker.
Unter anderem, weil ich es schwierig fand, eine Partei zu finden, die sich mit meinen Überzeugungen und Einstellungen deckt oder in der keine Leute sind, die ich für korrupt und charakterlos halte. Die allermeisten Berufspolitiker haben sich so krass vom normalen Bürger entfernt, dass sie überhaupt kein Gespür mehr für die wirklichen Probleme der Menschen haben.
Von Steffen Rüth