Berlin. „Der deutschen Wirtschaft fehlen 137.000 IT-Fachkräfte. Die IT-Branche sucht händeringend nach Nachwuchs und gleichzeitig beobachten wir, dass Mädchen und Frauen in der Informations- und Kommunikationstechnik (ITK) stark unterrepräsentiert sind“, sagt Susanne Dehmel, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung. Zu diesem Anlass hat Bitkom eine Umfrage mit über 500 Geschäftsführern, Personaler und Verantwortlichen verschiedener Unternehmen durchgeführt.
Dehmel startet ihren Vortrag zunächst mit einer guten Nachricht: „Die ITK-Branche wünscht sich Frauen“. Eine Mehrheit der befragten Unternehmen sehen eine Erhöhung des Frauenanteils als Chance und finden, dass gemischte Teams zu einem besseren Betriebsklima beitragen. Sie seien auch davon überzeugt, dass ein höherer Frauenanteil sogar die Produktivität sowie Kreativität erhöhen würden und die Wettbewerbsfähigkeit der ITK-Sparte in Gefahr sei, wenn sich der Frauenanteil zukünftig nicht erhöhen wird. Dehmel stellt fest: „Der Branche ist schon bewusst, dass mehr Frauen unverzichtbar für ihre Zukunftsfähigkeit ist.“ Die Ergebnisse zeigen jedoch: Es geht nur sehr langsam voran mit der Umsetzung der Kenntnisse. Der Frauenanteil in der Belegschaft des ITK-Bereichs liegt 2023 bei durchschnittlich 15 Prozent. Je nach Unternehmensgröße ist der Prozentsatz etwas höher, bei jedem fünften kleinen Unternehmen der Branche befindet sich jedoch keine einzige Frau. „Ich glaube, diese Schieflage können wir uns nicht länger leisten und wir sollten keine Zeit verlieren, daran etwas zu ändern“, schildert Dehmel.
Auch beim Thema Frauen als IT-Fachkräfte zeige sich ein „erheblicher Nachholbedarf“. Die Ergebnisse der Umfrage sind eindeutig: In der Ausbildung sei durchschnittlich nur einer von 20 Ausbildungsplätzen mit einer Frau besetzt. Bei größeren Unternehmen seien es acht Prozent, bei mittleren Unternehmen sieben Prozent und bei kleineren Unternehmen sind es vier Prozent. Dabei gebe es laut Dehmel vielfältige und spannende Ausbildungsberufe wie IT-Systemelektronikerin, Fachinformatikerin oder Software-Entwicklerin. Jedes dritte Unternehmen habe bereits konkrete Ziele verankert, während sich 22 Prozent gar nicht mit dem Thema befassen. Sie begründen es damit, dass keine qualifizierten Bewerber vorhanden sind, Frauen wegen familiärer Gegebenheiten ungeeignet sind, sie die Position von selber ablehnen oder kein Handlungsbedarf bestehe. Trotzdem merke man, dass das Thema zunehmend in den Fokus der Führungsebenen rückt und Zuständigkeiten sowie Verantwortlichkeiten vergeben werden.
Doch wie soll die Rekrutierung umgesetzt werden? Unternehmen setzen auf speziell auf Frauen ausgerichtete Recruiting-Maßnahmen: zum Beispiel Kooperationen mit Hochschulen. Während des Studiums würden immer wieder Absolventinnen abspringen. Unternehmen sollten frühzeitig den Kontakt zu den Hochschulen suchen, um den weiblichen Studierenden den Einstieg zu vereinfachen und sich als Unternehmen attraktiv zu machen. „Je mehr Frauen im Studiengang sind und auch bleiben, desto höher sei die Chance, dass mehrere Absolventinnen dabei bleiben und gemeinsam ihren Abschluss machen“, erklärt Dehmel. Auch Schnuppertage, wie der Girls-Day seien eine gute Unterstützung dabei, authentische Einblicke in die digitale Arbeitswelt zu erlangen. Unternehmen würden zunehmend sehen, wie wichtig eine speziell auf Frauen ausgerichtete Kommunikation und Stellenausschreibungen ist, um diese erfolgreich anzuwerben. Auf die feste Regel, Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen, setzen wiederum nur 16 Prozent der ITK-Unternehmen.
„Gleichzeitig müssen die Frauen, die bereits in der Branche angekommen sind, auch gehalten werden“, erklärt Dehmel. Maßnahmen zur Förderung der Frauenkarrieren: bessere Vereinbarung von Familie und Beruf durch mobiles Arbeiten, ein Kontakthalteprogramm während Elternzeit, Führung in Teilzeit, familienfreundliche Arbeitsbedingungen oder Einberechnung von Pflege- und Erziehungszeiten. Aber auch im Job sollen die neuen Arbeitskräfte Unterstützung in Form von Weiterbildungen oder Mentoring erhalten.
Fakt ist aber auch: Unternehmen sehen sich auf dem Weg zum höheren Frauenanteil mit Herausforderungen konfrontiert. Die größte Hürde für die Unternehmen sei die Rekrutierung der weiblichen Fachkräfte, der Quer- oder Wiedereinstieg, fehlende Frauennetzwerke und die traditionellen Rollenbilder.
Bitkom hat bezüglich der Umfrage Empfehlungen für die Politik herausgearbeitet: Investitionen in die Betreuungsinfrastruktur tätigen, verpflichtend Informatikunterricht einführen und gendersensible Bildungsinhalte sowie klischeefreie Berufsorientierung. Lea Schrimph, Referentin für Bildungspolitik bei Bitkom, stellt eine Lösung für die Betreuungsinfrastruktur vor: „Unternehmen bekommen die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und gemeinsam Betriebskitas zu eröffnen“. Für Unternehmen empfiehlt Bitkom messbare Ziele zum Frauenanteil in der Belegschaft, personelle Zuständigkeit für Gleichstellungsthemen, Stellenausschreibungen auf Frauen zuschneiden und Quereinstieg ermöglichen. Nadine Schön ist nicht nur Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU), sondern auch Mitglied des Steuerungskreises der Initiative „SheTransformsIT“. Sie ist eine interdisziplinäre Initiative vom Bundesverband der Deutschen Industrie und Bitkom, die aus Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, besteht. Ihr Ziel ist, dass mehr Frauen die Digitalisierung aktiv mitgestalten sollen. Die Initiative wurde 2020 zum Digital-Gipfel der Bundesregierung ernannt.
Schön hat ebenfalls eine klare Ansicht zu dem Thema: „Wenn es um IT-Sachen geht, werden überwiegend Männer auf Plakaten oder in Büchern gezeigt“. Die meisten Informatiklehrer seien männlich, was Schön ebenfalls als negativen Aspekt sieht. Schüler würden von Anfang an Eindruck bekommen, dass die IT-Welt eher männlich geprägt ist. Laut Schön solle mit der digitalen Bildung möglichst frühzeitig gestartet werden, am besten sollten Kinder bereits im Kindergarten spielerisch mit digitalen Tools in Berührung kommen. In der Schule solle fortlaufend Informatik als Pflichtfach eingeführt werden, damit Jugendliche nicht nur Anwender der digitalen Welt sind, sondern auch zu Gestaltern werden. Das sei die beste Grundlage für die „Arbeitswelt von morgen“, die immer digitaler wird und bestimmte technikbasierte Fähigkeiten voraussetzt. „Jungs wie Mädchen sollen frühzeitig gleichermaßen begeistert und ausgebildet werden“, erklärt Schön. Sie sieht es als große Hürde, wenn man Informatik nicht bereits in der Schule hatte. „Viele trauen sich das in der Uni dann gar nicht zu“, erklärt Schön.