Der Name ist nicht cool. „Er ist unser Arschgeweih“, sagt Jonas Frömming sogar. Man erwartet Musik schaffende mit einem solchen Bandnamen eher bei Mittelalterrockfestivals in irgendwelchen abgelegenen Burgen statt in Clubs und Konzertarenen. Musste halt schnell gehen damals, als sich Frömming und Max Kennel kennen, wie mögen lernten und bei ihren ersten Auftritten nun einmal irgendwie zu heißen hatten. „Und jetzt klebt dieser sperrige, komische Name eben auf alle Zeiten an uns“, so Kennel. „Doch was willst Du machen?“ Um aus der Sache noch erhobenen Hauptes rauszukommen, ist es nach neun gemeinsamen und zunehmend erfolgreichen Jahren jedenfalls zu spät.

Der Weg nach oben

„Das Lumpenpack“ also. Davon abgesehen läuft es furios für Max Kennel und Jonas Frömming, der eine ursprünglich aus Augsburg, der andere aus Kassel, aktuell ansässig in Stuttgart respektive Heidelberg. Gemeinsam ist man vehement auf dem Weg nach oben. Wem bisher noch nicht klar gewesen sein sollte, dass wir es hier mit einer der gewitztesten Rockbands der Republik zu tun haben, weiß das genau jetzt, Auge in Auge mit „emotions“, dem fünften Studioalbum dieser nahtlos humorigen jungen Herren. Zwölf Lieder, alles Hits.

Nehmen wir „Die Liebe in Zeiten von Amazon Prime“. „Bei jeder Nummer, an die wir uns setzen, haben wir schon Bock, ein Riesending daraus zu machen“, sagt Max. Und Jonas weiß: „Jedes unserer Lieder ist eine Bastelarbeit, die geil werden soll.“ Im Text geht es um die Schnelllebigkeit des Zwischenmenschlichen und um Beziehungen, die nur so lange halten, bis man den Retourenschein ausgefüllt hat.

An der Liebe festhalten

„Doch traurig“, findet Max, „ist das nur, wenn man an dem alten Begriff von Liebe festhalten will. Wir finden es okay, wenn sich Leute ständig neu verlieben, weil es mit dem nächsten Menschen vielleicht noch besser passt, als mit dem bisherigen, auch wenn mich sowas persönlich befremdet.“ Unsere beiden Burschen haben ihre jeweiligen Herzdamen mittlerweile geheiratet.

Auch in den Lebensrealitäten ihrer Alterskohorte fühlen sie sich heimisch. Fünf Jahre nach ihrem bisher größten und 16 Millionen Mal geklickten Hit „Guacamole“, der die Verspießerungstendenzen von Mittzwanzigern zum Thema hatte, widmet man sich in „HausKindBaum“, noch so einem Früher-sagte-man-Gassenhauer, den Kinderwunschphantasien des Mannes von Anfang 30. „Uns ist wichtig, über Dinge zu singen, von denen wir auch eine Ahnung haben“, sagt Jonas Frömming. Eines der frühen Lieder widmete sich Nacktbadenden am dänischen Nordseestrand und ist den beiden im Nachhinein ein wenig peinlich.

Ein politisches Album

Auf „emotions“ geht es deutlich politischer zu. Max („Man kann es sich als Künstler nicht mehr leisten, keine politischen Positionen zu beziehen“) und Jonas, beide links, nah am Punk gebaut und stilistisch Bands wie Madsen und ganz besonders den Ärzten nahestehend, widmen sich in der Gitarrenrockhymne „Dolce Wohnen“ dem kalten Herz des Kapitalismus. Und das schlägt bekanntermaßen nirgends so eisig und unbarmherzig wie in der Brust von Vermietern und Vermieterinnen. „Warm im Altenheim“, leise akustisch beginnend, und sich dann reinsteigernd, ist ein maximal halblustig gemeintes Lied über den Klimawandel und die Ignoranz, mit der wir ihm entgegentreten. „Magst oder stirbst“ setzt sich durchaus anprangernd mit der Suche und der Sucht nach Liebe und Hass im Internet auseinander. „WZF?!“ (lies: Was zum Fick?!“) ist eine - musikalisch Green Days „When September Ends“ aufgreifende -Worst-Of-Rockparade 2020.

Böse und sarkastisch

Und „Ein Schlaflied für Aufgewachte“, so zart es musikalisch herumschleicht, krallt sich Querdenker, Wutbürger und Dieter-Nuhr-Fans, um sie einmal kräftig durchzustreicheln. Denn der Witz des Lumpenpacks ist bisweilen böse und sarkastisch, ätzend oder verletzend ist er nicht. Jonas: „Wir beide sind Menschenfreunde. Unsere Songs sind irgendwie zynisch, und sie können piesacken, aber wir treten nach oben und gehen die Sache eher spielerisch an.“

Gelernt ist gelernt. Beide kommen aus der Kleinkunst. Max Kennel war 2012 und 2013 bayrischer Meister im Poetry Slam, Jonas Frömming holte sich die entsprechende Landesmeisterschaft 2013 in Rheinland-Pfalz. 2012 treten sie zum ersten Mal zusammen auf, 2013 kommt das erste Album „Steil-geh-LP“, das endgültige Erweckungserlebnis bietet 2014 ein berauschender Auftritt beim „Open Flair Festival“. Danach beschließen sie trotz abgeschlossener, seriöser Studiengänge (Max Psychologe, Jonas Lehrer für Deutsch und evangelische Theologie), an der verbotenen Frucht namens Rock’n’Roll nicht länger nur zu naschen, sondern sich komplett von ihr zu ernähren. Max Kennel: „Unsere Konzerte sind richtige Glücksduschen, die uns maximal euphorisieren.“ Also Schluss mit richtiger Arbeit und rein ins harte Rockmusikervergnügen. Konsequent ist die Evolution des Lumpenpacks seither vorangeschritten.

Vor drei Jahren verabschieden sie sich endgültig von den oft genug etwas miefigen und piefigen Comedy- und Kleinkunstbühnen. Sie spielen nun ausschließlich vor stehendem Publikum. Und sie haben dem Lumpenpack nach dem 2019-Album „Eine herbe Enttäuschung“ (Platz 14 in den deutschen Albumcharts) und kurz vor Pandemiebeginn ordentlich Zuwachs verschafft. Man spielt jetzt in praller Fünferbesetzung. Lola Schrode am Bass, Alexandra Eckert am Schlagzeug und Jason Bartsch an der Gitarre sind nun feste Bandmitglieder. „Zu fünft bekommst du einfach viel mehr Druck auf die Bühne als zu zweit“, so Jonas Frömming. „Und die Gesamtatmosphäre ist viel fürsorglicher und wärmer geworden, seitdem wir kein reiner Herrenclub mehr sind.“ Nur auf ihre legendäre Konfettikanone, auf die wird „Das Lumpenpack“ auch bei allen zukünftigen Liveauftritten keinesfalls verzichten.

Von Steffen Rüth