Zähl Pixel
Nachgedacht

GZ Plus IconAnmut sparet nicht noch Mühe

„Das in der DDR war kein Sozialismus“: Markus Söder, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident, regt sich sich über Worte der Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek auf.

„Das in der DDR war kein Sozialismus“: Markus Söder, CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident, regt sich sich über Worte der Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek auf. Foto: Peter Kneffel/dpa

Sozialismus? Abstimmung über Nationalshymne? Zum Ausklang der parlamentarischen Sommerpause hat die Bundespolitik doch noch mal richtig wichtige Themen ins Rampenlicht gerückt. Die Linken sind diesmal schuld.

Von Jörg Kleine Samstag, 06.09.2025, 09:00 Uhr

„Das in der DDR war kein Sozialismus“, sagte Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, diese Woche in einem Interview mit dem Magazin „stern“. Da brandete auf Knopfdruck natürlich massive Kritik auf – ob von CSU-Chef Markus Söder oder von Kommentatoren der „Welt“. Reichinnek solle sich schämen, und sie habe aus der Vergangenheit offensichtlich nichts gelernt.

Zwangskasernierung, Spitzel und Gleichmacherei

Warum die Stern-Redakteure nicht noch mal nachgefragt haben, wie Reichinnek das genau meine, bleibt dahingestellt. Denn Reichinnek liegt ja völlig richtig mit ihrem Urteil: Die DDR war in der Tat kein Sozialismus – sondern eine von Parteieliten und Spitzeln regierte Diktatur, die von Zwangskasernierung, Gleichmacherei und Duckmäusertum unten, aber Besitz und Herrschertum oben bestimmt war. Kaum anders als in Kuba oder China.

Wenngleich China einen Weg gefunden hat, zumindest mehr Menschen an Wohlstand und Wachstum teilhaben zu lassen.

Mit der Gedankenwelt von Karl Marx und Friedrich Engels, mit Kommunismus und Sozialismus, hatte das in der DDR-Realität aber wenig zu tun. Denn Sozialismus und Kommunismus sind Utopien, das lehrt die Geschichte. Das Paradies, in dem alle Menschen gleich und glücklich sind, Gesellschaft und Wirtschaft als Volkseigentum prosperieren und dabei Milch und Honig fließen, Äpfel und Bananen quasi in den Mund fallen, das gibt es eben auf Erden nicht.

Karl-Marx-Monument in Chemnitz:In seiner Utopie aus Armut und Feudalismus des 19. Jahrhunderts heraus hat Karl Marx bestimmt nicht an Systeme wie in der DDR gedacht.

Karl-Marx-Monument in Chemnitz:In seiner Utopie aus Armut und Feudalismus des 19. Jahrhunderts heraus hat Karl Marx bestimmt nicht an Systeme wie in der DDR gedacht. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Nationalhymne, Flagge und Bodo Ramelow

Wenn nun die lautstarke Heidi Reichinnek wahrhaft dieser Utopie verfallen wäre, dann hätten die Stern-Redakteure erst recht noch mal nachbohren müssen – beispielsweise, welche bewusstseinseintrübenden Mittel sie vielleicht regelmäßig nehme.

Derweil hat noch ein anderer Linken-Protagonist im ausklingenden Sommer für einiges Theater gesorgt. Bodo Ramelow, Bundestagsvizepräsident und vormaliger Ministerpräsident Thüringens, brachte seine überalterten Vorschläge für eine neue Nationalhymne und eine Debatte über die schwarz-rot-goldene Flagge noch mal aufs Tapet. Die Deutschen mögen darüber abstimmen, ob das „Lied der Deutschen“, das Hoffmann von Fallersleben 1841 dichtete, noch richtig sei – oder vielleicht besser die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht von 1950: „Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes Land.“ Zumal sich Brechts Text ebenso auf die Hymnen-Melodie von Joseph Haydn singen lässt. Auch mit dem schwarz-rot-goldenen Banner würden viele Deutsche fremdeln, meint Ramelow – insbesondere im Osten.

Politische Taktik und Strategien

Ob Volksabstimmungen über Hymne und Flagge wirklich realistisch sind – und der Sozialismus damit einkehrt – ist bei solchen politischen Äußerungen aber nicht entscheidend. Ramelow und Reichinnek sind ja nicht blöd. Es geht, wie in anderen Parteien auch, um politische Taktik und Strategien.

Vielmehr müsste sich also ein christsozialer Markus Söder Gedanken darüber machen, warum es den Linken mit ihrem Social-Media-Star Heidi Reichinnek bei der jüngsten Bundestagswahl gelungen ist, aus der politischen Selbstzerstörung heraus urplötzlich wieder auf 8,8 Prozent zu kommen. Von jüngsten Wahlprognosen für die AfD ganz zu schweigen.

„Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand ...“, würde Brecht vielleicht der Koalition in Berlin zurufen.

Weitere Themen aus der Region